Alt-OB Erich Kiesl gestorben:Ein Mann von überschäumendem Temperament

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Erich Kiesl (2.v.r.) bei der Feier zu seinem 80. Geburtstag. Nun ist der Münchner Ex-Oberbürgermeister gestorben. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Erich Kiesl war als CSU-Politiker eine Ausnahme als Münchner Oberbürgermeister - seine Amtszeit war von diversen Skandalen und Skandälchen überschattet. Für die SPD war sein Wahlsieg 1978 lange ein Trauma. Nun ist Kiesl einer schweren Krankheit erlegen.

Peter Fahrenholzund Christian Mayer

"I mog d' Leit und d' Leit mögn mi" - das war der Lieblingsspruch von Erich Kiesl, und selten hat ein einziger Satz so viel über einen Mann ausgesagt, im Guten wie im Schlechten. Kiesl war neben Karl Scharnagl, der noch von den Alliierten eingesetzt worden war und lediglich drei Jahre amtierte, der einzige CSU-Oberbürgermeister in München. Von 1978 bis 1984 hat er im Münchner Rathaus regiert, und man wird sagen dürfen, dass es eine durchaus turbulente Periode war.

Die Turbulenzen haben mit dazu beigetragen, dass Kiesl auch der einzige Münchner OB war, der nach nur einer Amtszeit wieder abgewählt worden ist. 1984 verlor er das Duell gegen Georg Kronawitter, der auch sein Vorgänger war. Am Freitag wurde bekannt, das Erich Kiesl, schwer krank, im Alter von 83 Jahren gestorben ist.

Die letzten Jahre hatte sich Kiesl völlig aus der Öffentlichkeit zurückgezogen, isoliert auch in seiner eigenen Partei, deren Ehrenvorsitzender er gleichwohl immer noch war. Die Nach-OB-Zeit hat ihm kein Glück gebracht, im Landtag fristete er jahrelang das Leben eines weitgehend unbeachteten Hinterbänklers, mit dubiosen Geschäften geriet er in den neunziger Jahren so in die Bredouille, dass er wegen Falschaussage und Steuerhinterziehung zu einer Bewährungsstrafe verurteilt wurde.

Wäre es nach ihm selbst gegangen, hätte er den größten Erfolg seiner politischen Laufbahn gar nicht erlebt. Denn Münchner Oberbürgermeister wollte der Postbeamtensohn aus dem niederbayerischen Pfarrkirchen eigentlich nie werden. Er saß als Staatssekretär im bayerischen Innenministerium und träumte davon, dass ihm irgendwann der Ministersessel zufallen würde. "Propeller-Erich" wurde Kiesl damals genannt, wegen seiner Vorliebe für Dienstflüge mit dem Hubschrauber.

"Propeller Erich" mit absoluter Mehrheit

Um die OB-Kandidatur hatte sich in der Münchner CSU in der Tat nie jemand gerissen. Doch Ende der siebziger Jahre hatte sich die SPD in München so sehr selber zerlegt, dass die CSU plötzlich eine reale Chance hatte. CSU-Chef Franz Josef Strauß, mit dem sich Kiesl nie sonderlich gut verstand, vergatterte seinen Münchner Bezirksfürsten zu der Kandidatur - und Kiesl holte 1978 tatsächlich die absolute Mehrheit für die CSU. "Er hat stark von der damaligen Krise der Münchner SPD profitiert", sagt der heutige OB Christian Ude (SPD).

Kiesl war ein Mann von überschäumendem Temperament, und das war vermutlich sein größtes Problem. Alles war immer eine Spur zu überdreht, wenn er leutselig war, war er eine Spur zu leutselig, wenn er ruppig wurde, vergriff er sich oft im Ton. Als Kiesl gerade mal 100 Tage im Amt war, beschrieb ihn die SZ als einen Mann, der "in angegriffenem Zustand am Rande der Aschenbahn keucht".

Kiesls Amtszeit war von diversen Skandalen und Skandälchen überschattet. Von der Erhöhung seiner eigenen Bezüge ("Wir sind doch nicht in Hinterpfuideifi") über den Kronleuchter für sein Amtszimmer bis zur "Hofdame", die seiner Frau zur Verfügung gestellt wurde, damit sie die Repräsentationspflichten einer OB-Gattin wahrnehmen konnte. Den größten davon, den umstrittenen Verkauf eines städtischen Grundstücks an seinen Spezi Josef Schörghuber, schlachtete Kronawitter im Wahlkampf 1984 genüsslich als "Baulandgeschenk" aus und trug damit entscheidend zu Kiesls Niederlage bei.

Dabei hatte der umtriebige Kiesl durchaus auch Erfolge vorzuweisen. Aus der biederen Honoratiorenpartei, die die Münchner CSU in den Siebzigerjahren war, machte er eine dynamische Großstadtpartei. Er kurbelte den Wohnungsbau an und leitete in der Stadtverwaltung "couragierte Reformschritte" ein, wie sein Nach-Nachfolger Ude heute noch anerkennt.

Ein Weggefährte kennt Kiesls Verdienste

Peter Gauweiler gehört zu den Weggefährten in der Münchner CSU, die bis zuletzt Kontakt zu Kiesl hatten. Vor drei Jahren gab es noch einmal "eine sehr schöne Feier mit ihm", als die Partei zum 80. Geburtstag des früheren OB in den Franziskaner lud. "Ich denke ganz gerne an ihn zurück, er war ein Riesentyp", sagt sein Parteifreund.

Gauweiler, der zu Kiesls Amtszeit Münchner Stadtrat und in dessen Anfangsphase als OB auch sein Pressesprecher war, fällt es nicht schwer, auf die Verdienste des früheren Oberbürgermeisters hinzuweisen. "Er hat in München viel mehr erreicht, als manche heute wahrhaben wollen." Kiesl habe den Wohnungsbau in allen Bereichen vorangetrieben. "Unmittelbar nach den Olympischen Spielen 1972 war da zu wenig passiert - das hat er nach seinem Amtsantritt geändert", sagt Gauweiler. Wichtige Entscheidungen am Mittleren Ring gingen auf seine Initiative zurück, etwa der Trappentreutunnel. "Das hat Autofahrer und Anwohner damals enorm entlastet." Auch die Internationale Gartenbauausstellung, die 1983 im Westpark stattfand, zähle zu seinen Erfolgen.

Zurück auf die Leberkäs-Etage

Dass Erich Kiesl im linksliberalen München auf heftige Abneigung stieß, führt Gauweiler nicht nur auf dessen niederbayerische Herkunft zurück. "Da ging es viel um Äußerlichkeiten und Stilfragen. Die Prosecco- und Scampi-Gesellschaft in der Stadt hat Kiesl einfach nicht gemocht."

Wobei dem CSU-Mann auch in der eigenen Partei ein Hang zur Großspurigkeit vorgeworfen wurde. Als Kiesl, noch vor seiner OB-Zeit, in den Wirren des Kreuther Trennungsbeschlusses von 1976 Franz Josef Strauß die Stirn bot, schimpfte Strauß, der Mann solle doch von der Champagner-Etage auf die Leberkäs- Etage zurückkehren.

Für die Sozialdemokraten in der Großstadt, so sieht es Gauweiler, sei Kiesls Sieg 1978 nach jahrzehntelanger SPD-Regentschaft nicht nur ein Debakel gewesen, sondern eine regelrechte Demütigung. Gauweiler selber war 1993 denkbar knapp an Ude gescheitert. Seither hatte kein CSU-Bewerber mehr eine Chance bei der OB-Wahl.

© SZ vom 06.07.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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