SPD-Idol Hinrich Wilhelm Kopf:Die braune Vita von Niedersachsens erstem Ministerpräsidenten

Provisionen für "Entjudung": Niedersachsens erster Ministerpräsident Kopf war in Nazi-Verbrechen verstrickt. Was bislang Gerücht war, hat eine Historikerin nun dokumentiert. Der Sozialdemokrat regelte die Ausbeutung von Zivilisten in Oberschlesien.

Hinrich Wilhelm Kopf SPD

Ministerpräsident Hinrich Wilhelm Kopf 1951 in seinem Arbeitszimmer in Hannover

(Foto: dpa)

Vier Jahre lang hat die Göttinger Historikerin Teresa Nentwig gebraucht, um das SPD-Idol Hinrich Wilhelm Kopf (1893-1961) zu entzaubern. Das Ergebnis ihrer Arbeit ist eindeutig und erschütternd zugleich: Der Mitbegründer und erste Ministerpräsident des Landes Niedersachsen war zwischen 1939 und 1942 in Verbrechen der Nationalsozialisten verstrickt.

Als Generaltreuhänder der "Haupttreuhandstelle Ost" half Kopf den Nazis beim Raub von Privateigentum jüdischer und christlicher Polen in Oberschlesien. "Kopf hat sich gekümmert, dass diese Prozesse laufen", sagt Nentwig im Gespräch mit Süddeutsche.de. Für seine Verdienste bei der "Entjudung" und "Deutschmachung" des besetzten Polens erhielt Kopf satte Provisionen. In polnischen und britischen Archiven fand sie unter anderem Kopfs Unterschriften auf Beschlagnahme-Befehlen - Belege dafür, dass der Sozialdemokrat Kopf ein zuverlässiger Handlanger war.

Kopf war bereits 1919 in die SPD eingetreten. Nach der deutschen Niederlage half ihm diese Mitgliedschaft, beim Aufbau eine führende Rolle zu übernehmen. 1945 ernannte ihn die Britische Militärregierung zum Regierungspräsidenten in Hannover, danach war er maßgeblich an der Gründung des neuen Bundeslandes Niedersachsen beteiligt, dessen erster Ministerpräsident er 1946 wurde. Kopf arbeitete auch an der Landesverfassung mit.

Ein Auslieferungsersuchen der inzwischen kommunistischen polnischen Behörden, die ihn als Kriegsverbrecher sahen, blieb unerhört. Seine politische Funktion und der Kalte Krieg schützten ihn.

Der 1961 gestorbene Ministerpräsident ist kein Einzelfall - nicht in Niedersachsen, wo laut einer Studie aus dem vergangenen Jahr 204 von 755 Abgeordneten in der Nachkriegszeit eine Mitgliedschaft in der NSDAP nachgewiesen wurde. Und auch bundesweit nicht: 2011 erklärte das Bundesinnenministerium, dass alleine 26 frühere Bundesminister Mitglieder der NSDAP oder anderer Organisationen wie SS oder SA gewesen waren.

Historische Leistungen einerseits, tiefe Schatten andererseits

"Kopf hat als Landesgründer unbestritten Verdienste erworben, die will ich ihm ja gar nicht nehmen", sagte die Historikerin Nentwig zur dpa. "Aber wir dürfen nicht den Fehler machen, etwas aus zu großer Hochachtung vor einer Person zu beschönigen oder unter den Tisch fallen zu lassen. Das sind wir schon den Opfern schuldig."

Namhafte Politiker, darunter der amtierende Ministerpräsident Stephan Weil (SPD), fordern jetzt eine lückenlose Aufarbeitung. Ihn empören nicht nur die Verbrechen, sondern auch, dass Kopf seine Vergangenheit geleugnet hat. "Sagen wir es klipp und klar: Kopf hat den Landtag angelogen", so Weil.

Im Gegensatz zum ehemaligen Landtagspräsidenten Jürgen Gansäuer (CDU) sieht Weil in der Causa Kopf aber weder einen Schaden für die SPD, noch für die Politik insgesamt. Es sei ein gesellschaftliches Problem: "Wie gehen wir eigentlich mit Persönlichkeiten um, die historische Leistungen für sich in Anspruch nehmen können, aber gleichzeitig in ihrem Leben auch tiefe Schatten aufweisen?"

Schulen, Straßen und Plätze sind nach Kopf benannt

Ein Blick über die Landesgrenzen zeigt, wie andernorts mit dem Problem umgegangen wird. Im hessischen Rüsselsheim beschloss im März der Stadtrat, eine nach dem Ex-Bürgermeister und Landtagsabgeordneten Walter Köbel (SPD) benannte Turnhalle in Großsporthalle Rüsselsheim umzubenennen. "Es wurde offensichtlich, dass Köbel in jungen Jahren von den Strukturen des NS-Regimes profitiert und diese Vergangenheit später geleugnet und verharmlost hat", sagte Bürgermeister Dennis Grieser (Grüne). Er könne daher kein Vorbild mehr sein und die "Konsequenz daraus ist die Umbenennung der Halle".

Dies fordert Gansäuer auch für die zahlreichen Schulen, Straßen und Plätze, die in Niedersachsen nach Kopf benannt sind - immerhin hat sogar der Landtag die Adresse Hinrich-Wilhelm-Kopf-Platz 1.

"Umbenennungen sind nicht immer zwingend notwendig", betonte dagegen Nentwig. Wichtig sei aber in jedem Fall, dass beide Seiten der Geschichte erkennbar seien, etwa durch Zusatzschilder. Anders sieht das Michael Fürst, Landeschef der Jüdischen Gemeinde in Niedersachsen: "Ich glaube nicht, dass der Landtag umhinkommt, die Stadt zu bitten, den Namen des Platzes zu verändern". Hilfreich sei zudem ein zusätzliches Schild, das erkläre, wie der Platz früher hieß und warum man den Namen geändert habe.

Einzig Helge Strickstrack, der als CDU-Mitbegründer Kopf persönlich kannte, will seinen politischen Rivalen von einst nicht kritisiert wissen: "Man sollte die Geschichte Geschichte sein und Kopf in Ruhe lassen", sagte der 92-Jährige.

Mit Material von dpa (Marco Hadem)

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