Hundertjährigen-Studie:Der Optimismus der Uralten

Hundertjährige Christiane Wegener

Eine von etwa 13.000 Deutschen, die 100 Jahre oder älter

Die Hochbetagten sind mit ihrem Leben zufrieden.

(Foto: dpa)

Nach den ersten 100 Jahren fällt das Leben leichter: Hochbetagte sind einer Heidelberger Studie zufolge erstaunlich zuversichtlich, obwohl kein einziger mehr gesund ist. Wie kann das sein?

Von Berit Uhlmann

Auch wenn ein 100. Geburtstag noch oft die Posaunen erklingen lässt, exklusiv ist das Ereignis nicht mehr. Erreichten im Jahr 2000 nur etwa 6000 Menschen in Deutschland dieses oder ein höheres Alter, waren es 2010 schon 13.000. Die Hälfte aller nach 1970 geborenen Mädchen wird neuen Hochrechnungen zufolge mehr als ein Jahrhundert lang leben. Doch ist das ein Fortschritt? Oder verlängern die gewonnenen Jahre doch nur das Warten auf den Tod?

Gerontologen der Universität Heidelberg haben insgesamt 112 Hundertjährige aus ihrer Region befragt. Auf den ersten Blick stimmt nicht sehr optimistisch, was die Senioren oder ihre Vertrauenspersonen berichteten: Kein einziger der alten Menschen war gesund; im Schnitt zählte jeder vier verschiedene Krankheiten auf. 80 Prozent waren Pflegefälle. 40 Prozent lebten in Heimen oder ähnlichen Institutionen. Und doch: Acht von zehn der Hochbetagten bekundeten, mit ihrem Leben zufrieden zu sein.

Psychologen kennen dieses Paradox der Lebenszufriedenheit. Studien zeigen immer wieder, dass sich 75-Jährige heute ebenso wohl fühlen wie 40-Jährige. Allerdings haben Untersuchungen an sehr alten Menschen auch ergeben, dass das Wohlbefinden kurz vor dem Tod deutlich nachlässt. Aber wieso sind die Hundertjährigen so zufrieden? "Möglicherweise handelt es sich hier um eine Gruppe, die große psychische Ressourcen mitbringt und somit gute Bewältigungsstrategien entwickelt", sagt Studienleiterin Daniela Jopp. Denn am wichtigsten für das Wohlbefinden sind der Heidelberger Erhebung nach die Stärken der Seele.

Der Lebenswille und die Selbstwirksamkeit, also das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten, waren bei den Hundertjährigen hoch. Am erstaunlichsten aber war, welch optimistische Einstellung die Befragten offenbarten: Sie waren zuversichtlicher als eine Vergleichsgruppe von 80 bis 94-Jährigen. "Wir haben es hier sicher mit einem Selektionseffekt zu tun", sagt Daniela Jopp. Das heißt, mit zunehmendem Alter überleben die Optimisten die Pessimisten und geraten in die Überzahl. Dennoch will sie nicht ausschließen, dass manche Hochaltrige noch an Zuversicht gewinnen können. "Das hohe Alter ist eher negativ besetzt, doch vielleicht ändert sich die Sicht mit dem 100. Geburtstag. Möglicherweise sehen manche Betagte dieses Alter als eine Errungenschaft an."

"Die allermeisten haben noch Pläne"

Einen geringeren Einfluss auf die Lebenszufriedenheit haben der Studie zufolge die äußeren Lebensbedingungen. Am einflussreichsten ist noch das Zusammenleben mit anderen. Wer allein lebt, ist deutlich unzufriedener. Dagegen spielen gesundheitliche Einschränkungen eine vergleichsweise geringe Rolle.

So erwarteten die Hundertjährigen durchaus noch einiges vom Leben. "Die allermeisten haben noch Pläne, Ziele und Zukunftsvisionen", so Jopp. Nur zehn Prozent wünschten sich den baldigen Tod.

Die aktuelle Hundertjährigen-Studie ist bereits die zweite ihrer Art. Im Vergleich zur ersten Auflage aus dem Jahr 2001 stellten die Forscher vor allem Verbesserungen bei der kognitiven Leistungsfähigkeit fest. Inzwischen weisen 52 Prozent keine oder nur geringe geistige Einbußen auf. 2001 lag diese Anzahl noch bei 41 Prozent. Der Anteil der Demenzkranken und Pflegebedürftigen blieb dagegen nahezu gleich. Spätestens an diesem Punkt trübt sich der optimistische Blick auf das Alter. Noch werden 60 Prozent der Hundertjährigen in Privathaushalten, überwiegend von Angehörigen, versorgt. Doch "dass die Pflege weiterhin hauptsächlich durch die Kinder wahrgenommen wird, ist in der Zukunft nicht realistisch", so Jopp.

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