Syrien-Politik des Westens:Hauptsache, es wird nicht schlimmer

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Das Flüchtlingslager Saatari mit seinen 120.000 Bewohnern ist inzwischen die viertgrößte Stadt Jordaniens

(Foto: REUTERS)

Hohe Kosten, kaum Chancen: So skizziert das Pentagon die Optionen für einen Militäreinsatz in Syrien. Der Westen scheint zu akzeptieren, dass der brutale Bürgerkrieg noch Jahre dauern wird. Wegen der Flüchtlingsmassen könnte ein Herrscher stürzen - allerdings nicht der bekämpfte Baschar al-Assad.

Von Matthias Kolb

Eines ist General Martin E. Dempsey in diesen Tagen besonders wichtig: Immer wieder betont der Vorsitzende des Vereinigten Generalstabs, dass das Militär den gewählten Politikern nur Optionen vorlegen könne, die Entscheidungen müssten jedoch Weißes Haus und Kongress treffen.

Nachdem die Abgeordneten den ranghöchsten US-Soldaten in der vergangenen Woche im Verteidigungsausschuss des Senats zum Bürgerkrieg in Syrien befragten, erhalten sie von ihm nun quasi eine Entscheidungshilfe. In einem dreiseitigen Brief mit einer ungeahnten Fülle an Details bewertet der Vier-Sterne-General die Kosten und Risiken für ein militärisches Engagement der USA im Bürgerkrieg. Die Bewertung fällt ernüchternd aus.

Dempsey analysiert in dem Schreiben an den Demokraten Carl Levin (Originaldokument als PDF) fünf Optionen. So könnte Amerika die Opposition "trainieren, beraten und unterstützen" (Aufwand: 500 Millionen Euro pro Jahr) oder mit Hunderten Kampfflugzeugen, Schiffen und U-Booten "gezielte Angriffe auf Militär-Einrichtungen der Assad-Regierung" durchführen (die Kosten gingen "in die Milliarden").

Die Durchsetzung einer Flugverbotszone über Syrien, welche den Spielraum der syrischen Luftwaffe einschränken könnte, würde ebenso die Einrichtung von humanitären Korridoren zum Schutz von Flüchtlingen etwa eine Milliarde Dollar kosten - pro Monat wohlgemerkt. Noch teurer käme der Versuch, die chemischen Waffen des Regimes mithilfe von "Tausenden Spezialkräften und andere Bodentruppen" unter amerikanische Kontrolle zu bringen.

Der Wiederaufbau daheim steht im Mittelpunkt

So unterschiedlich die Vorschläge sind, eine Sache haben sie gemeinsam: Dempsey hält sie alle für äußerst riskant und wenig erfolgsversprechend. Es sei nicht auszuschließen, dass Extremisten profitierten, indem sie neue Waffen oder Rückzugsmöglichkeiten erhielten. Und natürlich sei damit zu rechnen, dass die Assad-treuen Kräfte Vergeltung üben würden und so das Leben und die Gesundheit von US-Soldaten gefährdeten.

US-Präsident Barack Obama weiß, dass so etwas in Amerikas kriegsmüder Gesellschaft nicht gut ankommt. Die Insolvenz der Großstadt Detroit hat dem US-Präsidenten noch klarer verdeutlicht, wie wichtig der Wiederaufbau des eigenen Landes ist. Das im hochverschuldeten Amerika immer knapper werdende Geld, so der Wunsch der Bürger, soll lieber im Inland in Infrastruktur investiert werden. Ein weiteres Kriegsabenteuer lehnt ein Großteil der Bevölkerung ab.

Wie es derzeit aussieht, wird sich Washington darauf beschränken, eine Verhandlungslösung zu fordern und gleichzeitig Waffen an die Rebellen zu liefern. Seit Obama im Juni doch noch in den Sog des Konflikts geriet, hat die Regierung hinter den Kulissen viel Überzeugungsarbeit leisten müssen: Vizepräsident Joe Biden, Außenminister John Kerry und CIA-Chef John Brennan mussten wochenlang skeptische Abgeordnete am Telefon bearbeiten. "Trotz starker Zweifel" an den Plänen der US-Regierung hat der Geheimdienstausschuss des Repräsentantenhaus inzwischen zugestimmt, dass der Auslandsgeheimdienst CIA in dieser Causa aktiv werden darf, wie der Republikaner Mike Rogers jüngst erklärte.

Bereits im August könnten erste Waffenlieferungen über die Türkei und Jordanien erfolgen. Louay Sakka von der Syrian Support Group, welche die Freie Syrische Armee (FSA) um General Samil Idris unterstützt, sagte dem Nachrichtensender al-Dschasira, dass sich die Rebellen vor allem Gewehre und Panzerabwehrwaffen wünschten.

Die Zweifel des David Cameron

Die europäischen Befürworter einer Bewaffnung tun sich mit ihrer Entscheidung noch schwerer: Nachdem Großbritannien und Frankreich durchgesetzt hatten, das Waffenembargo gegen Syrien Ende Mai auslaufen zu lassen, um die nicht radikalen Assad-Rebellen unterstützen zu können, ist kaum etwas geschehen.

Vielmehr zeichnet sich beim konservativen britischen Premier David Cameron eine Kehrtwende ab: Im BBC-Interview sprach er kürzlich von einem "Stillstand" in Syrien, weil das Assad-Regime zuletzt "stärker" geworden sei. Assad sei "ein böser Mann", aber unter den Rebellen gebe es "zu viel Extremismus". Großbritannien sollte nichts mit Kräften zu tun haben, die Grausamkeiten begangen hätten, forderte er.

Im Klartext: In London wächst die Sorge, dass die westlichen Waffen in die Hände der Radikalen fallen. Damit spricht Cameron all jene Einwände an, die Skeptiker im Frühjahr vorbrachten - und die er damals abschmetterte. Französische Diplomaten in Paris betonen ebenfalls, dass man keineswegs Waffen an Islamisten liefern dürfe.

Da andere EU-Staaten wie Deutschland die Rebellen vor allem mit Lieferung von "nicht tödlichem Material" wie Schutzwesten unterstützen und ansonsten weiteres Geld für die Millionen syrischen Flüchtlinge (beim G-8-Gipfel sagte Merkel 200 Millionen Euro zu) freigeben, dürfte sich an der humanitären Katastrophe und dem militärischen Hin und Her in Syrien nichts ändern. Auch die Experten der renommierten International Crisis Group stellen in ihrem aktuellen Bericht nüchtern fest, dass mit einem baldigen "Durchbruch" nicht zu rechnen sei.

Während es dort mittlerweile zu Kämpfen zwischen der moderaten Opposition und islamistischen Gotteskriegern kommt, die außer dem Hass auf Präsident Assad nichts verbindet, richtet sich der Rest der Welt auf eine quälend lange Fortsetzung des blutigen Bürgerkriegs ein.

Unvorhersehbare Folgen für die Region

Sehr genau registriert die Weltgemeinschaft, dass Obamas Sprecher Jay Carney jüngst seine Wortwahl änderte: Nachdem er lange davon sprach, dass Assads Tage gezählt seien, erklärte er in der vergangenen Woche nur noch, das Weiße Haus gehe davon aus, dass der Präsident "nie wieder ganz Syrien" regieren werde. Das lässt auch darauf schließen, dass Washington eine Teilung des Landes für möglich hält.

Der Syrien-Experte Andrew Tabler vom Washington Institute for Near East Policy möchte angesichts von Carneys Neuformulierung und den Ausführungen von General Dempsey zu den Militäroptionen in Syrien zwar nicht von einer echten Änderung sprechen. Der New York Times sagte er jedoch: "Es ist das Eingeständnis, dass die Ziele der Regierung wohl nicht mehr in dieser Amtszeit erreicht werden."

Welche unangenehmen und unvorhersehbaren Folgen ein jahrelanger schwelender Bürgerkrieg für die fragile Situation in der Region sowie die nun möglicherweise bald beginnenden Friedensgespräche zwischen Israelis und Palästinensern haben könnte, verdeutlicht die Anhörung von Martin Dempsey im Verteidigungsausschuss des Senats. Auf die Frage, ob Präsident Assad in einem Jahr noch regieren werde, wenn die Amerikaner ihre Politik nicht ändern würden, sagte er: "Wahrscheinlich".

"Worauf warten unsere Freunde?"

Bedrohlicher könnte die derzeitige Lage für einen anderen nahöstlichen Herrscher werden, sagte Dempsey. Jordaniens prowestlicher König Abdallah fürchte, dass weitere Flüchtlinge aus Syrien sein Land destabilisieren könnte. Bereits heute sind etwa 500.000 Syrer in Jordanien, das Flüchtlingslager Saatari mit 120.000 Bewohnern ist inzwischen die viertgrößte Stadt des kleinen Landes. Durch sein Warten könnte der Westen riskieren, einen der wenigen Partner in der Region zu verlieren.

Ähnlich wie Amerikas oberster Soldat Martin Dempsey weiß auch General Salim Idris, der Chef der Freien Syrischen Armee, dass die Entscheidungen letztlich nicht von den Militärs, sondern von den gewählten Politikern getroffen werden. Im Daily Telegraph stellte er den Amerikanern und Europäern jüngst diese Frage: "Worauf warten unsere Freunde im Westen eigentlich? Dass Iran und Hisbollah alle Syrer töten? Bald gibt es keine Freie Syrische Armee mehr und die islamistischen Gruppen werden alles kontrollieren."

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