"Euro Hawk"-Untersuchungsausschuss:Überrascht von der eigenen E-Mail

Thomas de Maiziere Euro Hawk

Thomas de Maizière beginnt am Mittwoch seine Sommerreise in Stuttgart.

(Foto: dpa)

Eine in Vergessenheit geratene E-Mail bringt Verteidigungsminister de Maizière erneut in Erklärungsnot. Der für das "Euro Hawk"-Projekt zuständige Beamte rät darin vom Kauf der Drohne ab. Vor dem Untersuchungsausschuss wird er an dieses Schreiben erinnert. Der Verdacht liegt nahe: de Maizière hatte von dem Debakel früher erfahren, als er zugeben mag.

Von Nico Fried, Berlin

Detlef Selhausen liest und schweigt. Es ist ein langes Lesen und ein langes Schweigen. Das ist bemerkenswert, denn den Text, über den er sich beugt, hat er selbst geschrieben. Es handelt sich um eine E-Mail vom 19. Januar 2012. Und Detlef Selhausen hat sofort verstanden, welche Brisanz heute darin steckt. Deshalb liest und schweigt er erst mal weiter.

Selhausen ist Abteilungsleiter Rüstung im Verteidigungsministerium und Zeuge im Untersuchungsausschuss zur Euro-Hawk-Affäre. Selhausen sagt von sich selbst, er sei verantwortlich für das Projekt Euro Hawk, jene unbemannte Drohne, die mit einem Aufklärungssystem eine Lücke in der Ausrüstung der Bundeswehr schließen sollte. Wegen der fehlenden Zulassung für die Serie hat das Ministerium im Mai 2013 jedoch darauf verzichtet, neben dem Prototypen, der bereits in Deutschland steht, vier weitere Drohnen anzuschaffen.

Selhausen liest noch immer. So bleibt Zeit, seine bisherigen Einlassungen wiederzugeben. Zu Beginn seiner Vernehmung hat er eine gute Stunde lang einen Text referiert, wonach er das Projekt Euro Hawk keineswegs als gescheitert ansieht. Es seien nur nicht alle Entwicklungsziele erreicht worden. So kann man es natürlich auch sagen. Selhausen rechnet vor, dass etwa 300 Millionen Euro für das Aufklärungssystem Isis ausgegeben wurden, das die EADS-Tochter Cassidian gebaut hat. Isis könne nun zwar nicht in der Drohne fliegen, aber mit einem anderen Luftfahrzeug. Welches: offen. Kosten: ungewiss.

261 Millionen Euro Verlust könne "man nicht ausschließen"

Die Drohne selbst sei technisch flugfähig, nur fehle die notwendige Serienzulassung. Dass die für den Prototypen ausgegebenen 261 Millionen Euro als Verlust zu betrachten seien, könne man "nicht ausschließen", sagt Selhausen, es hänge davon ab, was mit dem Prototypen geschieht. Auf der anderen Seite, findet der Beamte, habe das Ministerium in all den Jahren bis zum Abbruch der Euro-Hawk-Beschaffung "einen nicht zu unterschätzenden Einblick" in Betrieb und Zulassung von unbemannten Luftfahrzeugen gewonnen. Diese könnten sich bei zukünftigen Projekten "gewinnbringend" auswirken. Man kann diese Bewertung vielleicht am besten mit einem Wort zusammenfassen: mutig.

Nach jeder Vernehmung folgt die Befragung durch die Vertreter der Fraktionen. Man kann deren Intention je nach Parteizugehörigkeit so beschreiben: Die Linke findet, dass das Projekt Euro Hawk im Jahr 2000 gar nicht hätte in Angriff genommen werden dürfen, weil es nur die Ausrichtung der Bundeswehr als Armee für Auslandseinsätze festigen soll. Die FDP hebt stets darauf ab, dass man die Entwicklung schon im 2004 hätte stoppen müssen, weil damals Zulassungsprobleme aufgetaucht seien, von denen sich das Projekt nie mehr erholt habe - ganz nebenbei läge nach dieser Theorie die Verantwortung allein bei der damaligen rot-grünen Regierung.

Die entscheidende Frage bleibt unbeantwortet

Die heutige Opposition aus SPD und Grünen betont stets, dass spätestens 2011 eine Neubewertung des Projekts fällig gewesen sei, als klar wurde, dass eine Serienzulassung nicht wie geplant erreicht würde. Die politische Zielrichtung ist naheliegend: Damals hieß der Verteidigungsminister bereits Thomas de Maizière (CDU).

Die Union beharrt darauf, dass die Entscheidung, das Projekt zu stoppen, im Mai 2013 zum richtigen Zeitpunkt gefallen sei, da bei einem früheren Stopp nicht nur das Fluggerät keinen Nutzen mehr gebracht hätte, sondern auch Isis nicht weiter hätte getestet werden können. Nach den Ausführungen Selhausens, die ganz in seinem Sinne waren, sagt denn auch der Obmann der Unions-Fraktion, Markus Grübel (CDU), wörtlich an die Adresse des Beamten: "Sie haben schon so weitreichende Erklärungen abgegeben, was es schwierig macht, weil Sie schon so viel erklärt haben."

Der SPD-Abgeordnete Hans-Peter Bartels hat aber noch Fragen. Zum Beispiel nach der Mail vom 19. Januar 2012. Selhausen schreibt darin, dass sich beim Euro-Hawk eine "dramatische Kostenexplosion" um rund 450 Millionen abzeichne, also in etwa eine Verdopplung des ursprünglichen Volumens. Adressat des Schreibens ist die Büroleiterin von Staatssekretär Stéphane Beemelmans. Anlass ist laut Betreffzeile ein Gespräch von de Maizière mit dem Chef der Firma Cassidian am selben Tag. Mithin nimmt sich Bartels die Freiheit anzunehmen, dass die Warnung vor höheren Kosten den Minister erreichen sollte.

Wenn dies geschah, hätte der nun ein Problem mehr. Seine Version geht so, dass er nur einmal, am 1. März 2012, mit Euro Hawk befasst worden sei. Damals seien ihm die bestehenden Probleme als lösbar beschrieben worden - unter anderem von Selhausen. Danach habe ihn das Thema auf dem Dienstweg erst wieder im Mai 2013 erreicht, als die Staatssekretäre Beemelmans und Rüdiger Wolf sich ihre Entscheidung billigen ließen, das Projekt abzubrechen.

Wusste de Maizière vor dem 1. März von den Problemen?

Diese Darstellung ist bereits durch mehrere Dokumente infrage gestellt worden. Mit der Mail steht nun der Vorwurf im Raum, dass de Maizière sogar schon vor dem Termin am 1. März 2012 über Probleme informiert wurde. Zudem steht Selhausen, der den offiziellen Bericht einer Ad-hoc-Arbeitsgruppe des Ministeriums von Anfang Juni zu verantworten hat, nun im Verdacht, selbst wichtige Informationen - vorsichtig formuliert - unberücksichtigt gelassen zu haben.

Als Detlef Selhausen nach längerer Zeit wieder redet, sagt er in knappen Sätzen mit langen Pausen, Ziel der Mail sei es gewesen, "ein Problembewusstsein" zu schaffen. Zugleich verweist er auf eine Textstelle, wonach die Zahlen noch von seinen Leuten geprüft werden müssten. Zur alles entscheidenden Frage, ob de Maizière die Informationen aus der Mail mitgeteilt worden seien, sagt Selhausen: "Darüber habe ich keine Kenntnisse."

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