Technische Hilfsmittel im Zugverkehr:Sicher in die Kurve

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In Galicien rast ein Zug mit 190 Kilometern pro Stunde in eine Kurve und entgleist. Mindestens 80 Menschen sterben. Warum konnten mehrere Sicherheitssysteme das Unglück nicht verhindern? Und kann so etwas auch in Deutschland passieren?

Von Sebastian Schoepp und Daniela Kuhr

So hat Rüdiger Grube diese Pressekonferenz bestimmt nicht beginnen wollen. Geplant war, dass der Bahn-Chef am Donnerstagmorgen sachlich über den Verlauf des ersten Halbjahres berichtet. Doch diesmal wird Grube emotional. Grund ist das Zugunglück in Spanien. "Wir sind in Gedanken bei den Opfern und ihren Angehörigen", sagt der 61 Jahre alte Manager. Und dann schweigt er eine Minute.

Der in Galicien verunglückte Zug gehört zur Alvia-Klasse. Das spanisch-kanadische Co-Produkt ist mit das Modernste, was die staatliche Eisenbahngesellschaft Renfe vorzuweisen hat. Wegen ihres schnabelartigen Bugs werden die Züge "patito", "Entchen" genannt. Laut Medienberichten verfügte der Zug über drei Sicherheitssysteme, die menschliche Fehler ausschließen sollen.

Dazu zählt das European Rail Traffic Management System (ERTMS), das verhindern soll, dass ein Zug die zulässige Höchstgeschwindigkeit überschreitet oder Signale überfährt. Es ist auf der Hochgeschwindigkeitsstrecke von Orense nach Santiago installiert, jedoch nicht an der Stelle, die der Zug bei dem Unfall durchfuhr. Er befand sich laut Medienberichten in diesem Moment in einem Übergangsbereich zwischen ERTMS und einem konventionellen System namens Asfa. Dieses kontrolliert die Geschwindigkeit, bremst aber einen Zug nicht automatisch. Der Lokführer muss "auf Sicht fahren".

Kurve, Mauer und menschliches Versagen

In der fraglichen Kurve war der Zug laut dessen Aussage mit 190 unterwegs - doppelt so schnell wie erlaubt. Um mit dieser Geschwindigkeit eine Kurve zu bewältigen, muss sie einen Radius von fünf Kilometern haben. Bei der Unfallkurve waren es nur 500 Meter. Der Chef der Eisenbahngewerkschaft UGT, Miguel Angel Cilleros, sagt indes, ein Grund allein hätte nicht zum Desaster führen können. Es müsse eine Mischung sein: Kurve, Mauer und menschliches Versagen.

Könnte ein ähnlicher Unfall in Deutschland passieren? Weder Bahn-Chef Grube noch Infrastrukturvorstand Volker Kefer sehen sich bei der Pressekonferenz am Donnerstag in der Lage, dazu etwas zu sagen. "Solange wir die genaue Ursache nicht kennen, ist es zu früh für solche Fragen."

Tatsache ist: Derzeit ist ERTMS in Deutschland noch nicht im Einsatz. Stattdessen ist das Schienennetz mit zwei verschiedenen Sicherungssystemen ausgerüstet. Vereinfacht ausgedrückt, unterscheidet man dabei zwischen Strecken, auf denen die Höchstgeschwindigkeit 160 Kilometer pro Stunde beträgt, und solchen, auf denen Züge schneller fahren dürfen. Bei ersteren wird nur vor bestimmten Signalen geprüft, ob der Zug die Geschwindigkeit einhält und vor einem Signal zum Stehen kommt. Strecken, auf denen die Züge 160 km/h oder mehr fahren, sind dagegen so ausgerüstet, dass Zug und Überwachungsanlagen permanent miteinander kommunizieren. Hier fällt also sofort auf, ob ein Zug zu schnell fährt.

Zusätzlich sind an Stellen, an denen ein Zug seine Geschwindigkeit um mehr als 20 Prozent reduzieren muss, etwa vor einer engen Kurve, Geschwindigkeitsprüfeinrichtungen vorgeschrieben: Vor der Kurve gibt es Messpunkte. Ist der Zug zu schnell, erhält der Lokführer ein Warnsignal. Wenn er nicht reagiert, wird der Zug automatisch gebremst. Ob damit ein Unfall wie in Spanien zu verhindern sei, das lässt die Bahn am Tag nach der Katastrophe offen.

© SZ vom 26.07.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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