Männliche Erzieher:"Ich bin kein Vaterersatz"

Manche Mutter beäugt Wolfgang Centmayer erst einmal kritisch. Ein Mann in einer Kinderkrippe? Im Gespräch mit SZ.de berichtet der Erzieher aus München, gegen welche Vorurteile er kämpfen muss, warum viele Männer mit Babys wenig anfangen können - und welche Hoffnung er nicht erfüllen kann.

Von Johanna Bruckner

Wenn Wolfgang Centmayer in diesen Tagen aus dem gekippten Fenster seines Büros in den Garten schaut, sieht er ein großes, gelbes Sonnensegel. Nicht zu sehen, aber zu hören sind die Kinder, die darunter spielen. "Nach dem langen Winter sind wir gerade die meiste Zeit draußen", sagt er - und vielleicht findet er das ein kleines bisschen schade. Denn der 53-Jährige ist stolz auf das "Haus für Kinder" im Münchner Stadtteil Lehel, eine städtische Kita, in der Kinder im Alter von neun Wochen bis sechs Jahren betreut werden. In dem schmucken Altbau am Englischen Garten gibt es ein Musikzimmer, eine moderne Kletterwand und in der Lernwerkstatt stehen Miniatur-Mikroskope. Centmayer ist Leiter der Einrichtung. Seit 30 Jahren ist er täglich von Kindern umgeben - und von Frauen. Deutschlandweit liegt der Anteil männlicher Erzieher bei unter drei Prozent, in Bayern sind es sogar nur zwei Prozent.

SZ.de: Herr Centmayer, warum sind Sie Erzieher geworden?

Wolfgang Centmayer: Ich bin ursprünglich gelernter Konditor, musste aber wegen einer Allergie kurz nach meiner Ausbildung umschulen. Mit 18, 19 stand ich noch mal vor der Frage: Was willst du machen? Ziemlich schnell war der Wunsch da, mit Kindern zu arbeiten. Allerdings habe ich zuerst - typisch männlich - eine Ausbildung zum Jugend- und Heimerzieher gemacht und dann auch einige Jahre im heilpädagogischen Bereich gearbeitet.

Warum typisch männlich?

Ich glaube, dem Selbstbild von Männern entspricht es eher, mit älteren Kindern zu arbeiten - vielleicht, weil sie darin eine größere Herausforderung sehen. Deshalb gibt es so gut wie keine Erzieher in Krippen, wenige in Kindergärten und vergleichsweise viele im schulischen Bereich, zum Beispiel im Hort. Mit Schülern kann man schon richtig was machen - lernen, diskutieren, Sport treiben. Viele Kollegen können sich nicht vorstellen, dass der frühkindliche Bereich ein spannendes Aufgabengebiet ist. Das lässt sich auch in den Familien beobachten: Väter wissen mit einem Baby oftmals wenig anzufangen. Je älter das Kind wird, je mehr gemeinsame Aktivitäten einen Event-Charakter bekommen, desto interessierter und engagierter sind die Väter.

Wie hat Ihr Umfeld auf Ihre Berufswahl reagiert?

Sehr positiv, eben weil ich mich zunächst auf Jugendliche und junge Erwachsene spezialisiert hatte. Für diese Entscheidung bekam ich eher Schulterklopfen als hochgezogene Augenbrauen. "Toll, du kümmerst dich um verhaltensauffällige Teenager!" Das hat sich verändert, als ich in den Vorschulbereich gewechselt habe. Da gab es in meinem Familien- und Freundeskreis durchaus verständnislose Reaktionen: "Wie, du gehst in den Kindergarten? Was machst du denn da? Sitzt du den ganzen Tag im Sandkasten und spielst mit den Kindern, oder was?"

Was haben Sie geantwortet?

Ich habe gesagt: "Ja, ich sitze auch mal im Sandkasten." Und dann versucht, den Leuten zu erklären, welche pädagogische Arbeit dahintersteckt. Die Kinder sollen ein Gespür für das Material Sand entwickeln, sie sollen lernen, welche Eigenschaften es hat und was sie damit machen können. Dazu kommt die soziale Interaktion, bei der ich als Erzieher entscheiden muss: Wann greife ich ein? Und an welcher Stelle halte ich mich zurück und lasse die Kinder ihre eigenen Erfahrungen machen? Viele Leute haben schlicht die falsche oder einfach gar keine Vorstellung von meinem Beruf.

Gab es auch Vorbehalte gegen Sie von Kolleginnenseite?

Als ich meine erste Stelle im Vorschulbereich angetreten habe, gab es schon prüfende Blicke: "Ein Mann, was macht der hier?" Aber ich habe auch von Anfang an viel Unterstützung von meinen Kolleginnen bekommen. Vieles, was ich über Kinderpflege weiß, habe ich von ihnen gelernt - zum Beispiel, dass es mehr als nur eine Wickeltechnik gibt. Skeptischer waren die Reaktionen, als ich die erste Kita-Leitung übernommen habe. Ich war im Münchner Raum der erste Mann in dieser Position, daran mussten sich vor allem die Eltern erst gewöhnen.

"Jungen fehlen männliche Vorbilder"

Sie mussten gegen Vorurteile kämpfen?

Beim ersten Elternabend wurde ich ganz unverblümt gefragt: "Sie als Mann glauben also, uns als Müttern beibringen zu können, wie man mit Kindern umgeht?" Ich habe darauf nur gesagt: "Schauen wir mal." Das erste Jahr stand ich unter kritischer Beobachtung. Ist er kompetent in dem, was er tut? Handelt er nach dem, was er sagt? Nachdem mich die Mütter eine Zeitlang bei der täglichen Arbeit mit den Kindern beobachtet hatten, sind die Vorbehalte verschwunden. Andererseits habe ich auch immer wieder erlebt, dass mir ein Vertrauensvorschuss entgegengebracht wurde, allein wegen meines Geschlechts: "Toll, endlich ein Mann in der Krippe!"

Kindertagesstätte ´forum thomanum"

Haben Kinder im Vorschulbereich zu wenige männliche Bezugspersonen? Deutschlandweit sind weniger als drei Prozent der Erzieher Männer.

(Foto: dpa)

Mit welchen Erwartungen waren Sie konfrontiert?

Gerade wenn Väter beruflich sehr eingespannt und in der Erziehung nicht präsent sind oder die Frau alleinerziehend ist, wurde schon mal der Wunsch an mich herangetragen, ob ich nicht die Rolle der männlichen Bezugsperson einnehmen könnte. Ich habe dann immer ganz klar gesagt: Ich bin von Beruf Erzieher, kein Vaterersatz.

Ein Argument für mehr Erzieher ist, dass Jungen in frauendominierten Krippen und Kindergärten möglicherweise nicht optimal gefördert oder sogar benachteiligt werden. Wie sehen Sie das?

Jungen fehlen männliche Vorbilder - im Leben insgesamt. Natürlich wäre es erstrebenswert, mehr Erzieher zu haben. Ich bin hier momentan der einzige Mann, ab und zu haben wir männliche Jugendliche als Schülerpraktikanten. Die sind immer der Hit! Gerade für Jungen sind sie eine Art großer Bruder, an dem sie sich orientieren können, zu dem sie gehören möchten.

Unterscheidet sich Ihr Erziehungsstil von dem Ihrer Kolleginnen?

Im Umgang mit den Kindern sehe ich kaum Unterschiede. Die Herangehensweise mag manchmal eine andere sein. Gerade Kolleginnen mit Familie fühlen sich sehr stark verantwortlich, auch über ihren Erziehungsauftrag hinaus. Ich bin da bisweilen sachlicher, unaufgeregter. Wobei das nicht heißen soll, dass ich mich den Kindern weniger verbunden fühle. Ich bin auch wehmütig, wenn ein Kind in die Schule kommt, das ich begleitet habe, seit es fünf Monate alt war. Gleichzeitig macht es mich stolz, zu sehen, dass aus einem Baby in der Tragetasche ein Kind geworden ist, dass die Kita als selbstbewusster, sprachlich gewandter und weltoffener Mensch verlässt.

Manche männliche Lehrer achten darauf, nicht mit Schülerinnen allein in einem Zimmer zu sein. Treffen Sie auch solche Vorsichtsmaßnahmen?

Nein. In meiner bisherigen Laufbahn waren Elternängste vor sexuellen Übergriffen nie ein Thema. Wir achten ohnehin darauf, dass die Kinder nur von vertrauten Personen gewindelt werden, neue Mitarbeiter wickeln erst einmal gar nicht. Die Kinderpflege ist ein intimer Bereich, den wir respektieren und schützen.

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