Dopingverdacht im Fußball:Auffallend hohe Werte

CHELSEA'S DESCHAMPS TAKES ON SIMEONE OF LAZIO

Didier Deschamps (links) als Spieler beim FC Chelsea (Archivbild vom 22. März 2000)

(Foto: REUTERS)

In der Aufregung um die dopenden Radfahrer geht unter, dass das Dossier des französischen Senats auch den Blick auf ein anderes Betrugsfeld lenkt: Spitzenfußball. Wie heikel die Angelegenheit ist, zeigen Klagen von Spitzenklubs gegen französische Medien. Dabei sind auffällige Blutwerte von Nationalspielern eindeutig dokumentiert.

Von Thomas Kistner

Groß ist nun wieder der Aufruhr um den Radsport, eingedenk des Dopingreports des französischen Senats zur Tour de France 1998. Dabei droht wieder unterzugehen, dass das Dossier den Blick auch auf ein anderes Betrugsfeld lenkt: Spitzenfußball. Zwar war unter den Zeugen auch eine Kicker-Größe; doch was Didier Deschamps, 1998 Kapitän der französischen WM-Sieger, aussagte, gab er nicht zur Veröffentlichung frei.

Das lässt tief blicken, zumal, wenn man bekannte und teils auch im Report publizierte Details hinzuzieht. Der verweist auf Deschamps' Engagement bei Juventus Turin, das damals eine Apotheke mit verbotenen Substanzen unterhielt, die zur Versorgung einer Kreisstadt ausgereicht hätte, wie italienische Staatsanwälte formulierten - und vermerkt einen massiven Dopingverdacht: Deschamps hatte einen sehr hohen Blut-Hämatokritwert (Anteil der roten Blutkörperchen) von 51,9 Prozent. "Dieser Wert legt eine Stimulation von außen nahe."

Fußball spielt im Report auch sonst eine große Rolle. Französische Medien haben mit Spitzenklubs schon üble Erfahrungen gemacht; Spuren finden sich auch in der Dopingakte wieder. Als Zeuge war Stephane Mandard geladen, der Sportchef der renommierten Zeitung Le Monde - er hatte 2007 den spanischen Blutpfuscher Eufemiano Fuentes interviewt und Papiere von ihm erhalten. Fuentes sprach damals von Todesdrohungen, die er aus dem Sport erhalten habe, falls er ausspackt. Als Le Monde Medikationspläne veröffentlichte, die er angeblich zur Saison 2005/06 für spanische Spitzenklubs erstellt haben soll, wurde das Blatt erst vom FC Barcelona und später von Real Madrid verklagt.

Französische Spieler waren für Test vor WM 1998 unauffindbar

Nicht in Frankreich, sondern vor heimischen Amtsrichtern, die Mandard zurfolge bizarre Prozesse veranstaltet hätten: Den Franzosen sei schlicht untersagt worden, ihre Beweismittel vorzulegen, die Fuentes-Papiere. Le Monde unterlag in erster Instanz. Das Blatt will in der Sache bis zum Europäischen Gerichtshof gehen, sagt Mandard. Auch der Report zeigt, dass er zu seinen Aussagen über den mutmaßlichen Fußballsumpf steht. Als Zeuge sagte er am 3. April über Fuentes' Tätigkeit: "Ich habe die Bestätigung, dass er sich auch um Fußballprofis von großen Klubs gekümmert hat."

Einvernommen hatte die Kommission auch Jean-Marcel Ferret, der Teamarzt von Frankreichs Auswahl (1993 bis 2004) versuchte, einschlägige Merkwürdigkeiten zu zerstreuen; etwa die, dass Nationalspieler während eines Weihnachts-Trainingscamps vor der WM 1998 lange Zeit für Tests unauffindbar waren. Oder die Feststellung seines Kollegen Jean-Pierre Paclet; der Dopingexperte hatte die biologischen Werte der Kicker Jahre später in Frage gestellt. "Ich kann alle beruhigen: Sportler zeigen stets abnorme biologische Profile", so Ferret. Beruhigen wollte er die Ermittler auch in Bezug auf den Verdacht von Bluttransfusionen: "Dafür brauchen Sie ein großes Labor und eine Menge Geld!"

Alle Proben der WM 1998 sind zerstört

Noch so ein Argument mit arger Schieflage: Wenn sich der Radsport diese Betrugsvariante leistet, was vermag dann erst der reiche Fußball? Ferret fand, Fußball sei sauber im Vergleich mit "energetischen" Sportarten; die Kunst eines Zidane sei nicht mit Pharmazie zu erreichen. Zinedine Zidane übrigens spielte auch bei Juventus und musste m italienischen Dopingverfahren als Zeuge aussagen. Später erzählte der französische Rock-Barde Johnny Halliday im TV, Zidane habe ihm eine gute Schweizer Klinik zur Blutauffrischung empfohlen.

In der Befragung räumte Ferret erhöhte Hämatokrit-Werte bei WM-Spielern ein, fand sie aber nicht unnormal. Auch nicht bei Deschamps, dessen indirekte Werte "normal" gewesen seien - was die Ermittlungen der italienischen Justiz über den Haufen wirft, die zu Verurteilungen von Arzt und Manager geführt hatten. Länder wie Italien würden ihre Spieler eben "aggressiver" medizinisch versorgen, so Ferret weiter, auch Deutschland sei so ein Fall: "Bei der WM 1974 gaben die Deutschen ihren Spielern Infusionen, das war für uns eine Verirrung."

Mediziner zeichnet über Fußball ein idyllisches Bild

Konfrontiert mit einer Aussage von 2010, dass er 1998 gemeinsam mit Paclet "biologische Anomalien" bei einigen Spielern korrigiert habe, sagte Ferret, dies habe sich auf Ernährungsfragen bezogen. Er räumte ein, dass Frankreichs Verband Sportministerin Buffet wegen der damaligen Weihnachtstests unter Druck gesetzt habe - der Nachfrage, ob dahinter "Staatsräson" gestanden haben könne, wich er aus. Die Fragesteller mokierten sich über das idyllische Bild, das Ferret zeichnete, sie seien nicht naiv. Dass Topspieler 1998 im Schnitt 41 Partien pro Jahr absolvierten, heute aber bis zu 70, mit höherem Tempo und mehr Laufwegen? Man habe heute die Energiereserven besser im Griff.

Zeuge Mandard weiß vielleicht besser, mit welch diskreter Nachhaltigkeit sich der Fußball im Minenfeld der Pharmazie bewegt. Vor einigen Jahren fragte er Pierre Bordry, Chef des Pariser Dopinglabors, warum er neben den Urinproben der Tour-Fahrer von 1998 nicht auch die der WM-Fußballer nachgeprüft habe. Bordry habe ihm gesagt, ein Gesandter des Weltverbandes Fifa sei damals im Labor aufgekreuzt und habe "alle Proben gewissenhaft zerstört, die einmal für negativ erklärt worden waren". Zu der Zeit gab es keine Aufbewahrungspflicht für spätere Nachkontrollen. Sicher ist sicher?

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