Nach Rücktritt von Platzeck:Im Mahlwerk der Politik

Matthias Platzeck

Matthias Platzeck ist aus gesundheitlichen Gründen vom Amt des Ministerpräsidenten zurückgetreten

(Foto: dpa)

Politiker sind faul und wollen sich bereichern - soweit das Vorurteil. Doch der Beruf ist ein Knochenjob, das zeigt der Rücktritt von Brandenburgs Ministerpräsident Platzeck. Arbeitslast und Umgangston werden immer heftiger. Dadurch entsteht genau die Art von Politikern, die keiner will.

Ein Kommentar von Detlef Esslinger

Erinnert sich noch irgendjemand an Karlheinz Blessing? Bei "Wer wird Millionär?" wäre das möglicherweise die 500 000-Euro-Frage; wer weiß schon noch, dass ein Mann dieses Namens Anfang der Neunziger zwei Jahre lang Bundesgeschäftsführer der SPD war. Blessing hat später über seine Zeit in der Politik berichtet; die Erfahrung war kurz, hat aber gereicht: "Mit der normalen Verwundbarkeit des Menschen können Sie in solchen Jobs nicht überleben." Das sagte er der Fotografin Herlinde Koelbl, für deren berühmten Fotoband "Spuren der Macht".

Das Fazit ist fast 15 Jahre her, aber es kommt einem in den Sinn, nachdem Matthias Platzeck ehrenvoll kapituliert hat. Für das weiter entfernte Publikum war dies immer der sympathische, scheinbar irgendwie entspannte Ministerpräsident von Brandenburg, ein Mann von Ende 50, gertenschlank. Der musste zwar schon mal ein Amt aufgeben (das des SPD-Chefs, 2006), ebenfalls mit Rücksicht auf seine Gesundheit, wie er damals sagte. In Potsdam aber hatte er offenbar einen Job, der ihm zuträglich zu sein schien.

Nur: Auch Ministerpräsident ist ein Knochenjob, erst recht, wenn damit die Aufsicht über ein Projekt wie den Flughafen BER verbunden ist. Dieser Neubau mag aus Münchner oder Frankfurter Perspektive eine herrliche Soap mit immer neuen Folgen abgeben, für die Betroffenen und damit Befassten aber ist BER das Gegenteil von lustig. Es geht um viele Tausend Schicksale und viele Milliarden Euro, die Debatte wird erregt auf den Marktplätzen der Politik und besonders in den Talkshows geführt, personalisiert, aber auch sehr hart persönlich.

Roland Koch zog nach fast elf Jahren als Ministerpräsident von Hessen mit diesen Worten Bilanz: "Man überlebt diesen Beruf auch physisch nur, wenn man damit klarkommt, am Pranger zu stehen, nicht mehr privat sein zu können und hundert Stunden in der Woche arbeiten zu müssen." Platzeck musste erkennen, dass er damit nicht klarkam; dass der Beruf ihn in Lebensgefahr gebracht hatte.

Wer bei einem Autozulieferer, einem Sägewerk oder in einer Apotheke arbeitet, der stellt sich das vielleicht recht attraktiv vor: in der Öffentlichkeit zu stehen, überall erkannt und begrüßt zu werden. In der Tat ist dies für manche ein Antrieb, in die Politik zu gehen. Der Beruf befriedigt scheinbar nicht nur den Gestaltungs-, sondern auch den Geltungsdrang. Wer aber längere Zeit durchhält, für den ist Prominenz allenfalls ein bisschen Kompensation für Strapazen, denen kein Guardiola und kein Löscher ausgesetzt sind. Wer den FC Bayern oder Siemens trainiert, weiß genau, dass er den Job drei oder sechs Jahre lang macht. Mit jeder Kündigung hat man dann ausgesorgt und geht ins Sabbatical nach New York.

Freiwillig der Deformation aussetzen

Politiker haben diese Perspektive nicht. Mag auch beim Publikum das Vorurteil unsterblich sein, sie bereicherten sich und seien faul - die Wahrheit ist komplizierter. Viele engagierte Bürger wären sicher gerne Politiker, für die Demokratie wäre ihre Arbeit eine Bereicherung. Aber nicht wenige der Geeigneten durchblicken den Betrieb und halten sich um alles in der Welt von ihm fern. Man muss doch nur Kristina Schröder zusehen, der oft so verkrampften, trotzigen Familienministerin - und zugleich allerliebenswürdigsten Kandidatin bei "Wer wird Millionär?". Wer, der sich für halbwegs sympathisch und geerdet hält, möchte sich freiwillig jener Deformation aussetzen, der man im Mahlwerk der Politik kaum entkommt?

Die Frage ist nicht bloß rhetorisch, sie ist reell. Für sein Schattenkabinett hat Peer Steinbrück nicht einen einzigen gefunden, der eine seriöse Verführung wäre. Er hat zum Beispiel Klaus Wiesehügel rekrutiert, bei dem nach 18 Jahren an der Spitze der IG Bau die Luft raus ist. In der CSU strebt Alexander Dobrindt nach oben; schon die Vermutung, der Generalsekretär könnte im Herbst Bundesminister werden, war den Delegierten im Bezirksverband Oberbayern fast zu viel. Sie wählten ihn zwar gehorsam zum Vize, aber mit einem mäßigen Ergebnis.

Niemand hat eine Antwort darauf, wie dem Pensum der Politik und der Respektlosigkeit vieler Debatten beizukommen wäre. Arbeitslast wie Umgangston werden immer heftiger; Politik gerät zum Prozess, der gerichtet, aber nicht gesteuert ist. Die Konsequenz beschreibt Marina Weisband, die entnervte Ex-Geschäftsführerin der Piraten: Den zerstörerischen Druck halten nur diejenigen aus, an denen genug abperlt. Aber "üblicherweise perlt ja nicht nur Schlechtes ab, sondern auch Ideen von außen, Initiativen und Bedürfnisse". Wie ironisch, wie tragisch: Der öffentliche Umgang mit Politikern kann mitunter exakt zu der Sorte von Personal führen, nach der keiner verlangt.

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