Zeugen im NSU-Prozess:"Das waren die nicht, das ist unmöglich"

2001 wurde in München der Lebensmittelhändler Habil Kilic erschossen. Doch Jahre später sind viele Aussagen unpräzise. Eine Zeugin im NSU-Prozess hat damals zwei Radfahrer beobachtet - heute halten die Ermittler sie für die Mörder. Doch die Frau behauptet vor Gericht, die Radler hätten "osteuropäisch" ausgesehen.

Aus dem Gerichtssaal von Tanjev Schultz

Die Beweisaufnahme im NSU-Prozess springt zwischen den verschiedenen Tatkomplexen hin und her, sie folgt keinem chronologischen Ablauf. Am Mittwoch, dem 30. Verhandlungstag, wurde da weitergemacht, wo man am 22. Tag schon war: bei der Vernehmung von Zeugen und Sachverständigen zum Mord an dem Münchner Lebensmittelhändler Habil Kilic. Er wurde am 29. August 2001 im Geschäft in der Bad Schachener Straße erschossen. Es war der vierte von zehn Morden, die dem NSU zugerechnet werden.

Nuran K. entdeckte den sterbenden Mann in seinem Laden. Sie wollte Fladenbrot kaufen, das Geschäft besuchte sie öfter, die Eheleute Kilic kannte sie flüchtig. "Eine ganz gute Familie", sagt die Zeugin. Vor Gericht erzählt die 46-Jährige, wie in dem Laden niemand zu sehen war und sie sich deshalb suchend umschaute. Sie hörte dann "ein Blubb-Blubb wie von einem Kaffeeautomaten". Ein Rechtsmediziner erklärt vor Gericht, das Geräusch könnte von dem Sterbenden gekommen sein, der stark blutete und bei dem eine Schnappatmung eingesetzt haben könnte. Der 38-Jährige sei vermutlich nicht mehr bei Bewusstsein gewesen.

Nuran K. erblickte Habil Kilic auf dem Fußboden, ein Postbote kam dazu und wollte Erste Hilfe leisten. Nuran K. rannte "voller Panik" zu einem nahe gelegenen Polizeigebäude. Der Anblick des Opfers sei "grauslig" gewesen, sagt der Postbote vor Gericht. In nüchternem Mediziner-Deutsch hat zuvor der Rechtsmediziner geschildert, wie zwei Schüsse den Kopf des Opfers durchdrungen hatten. In den Atemwegen sammelte sich Blut, der Boden des Geschäfts färbte sich rot. Habil Kilic hatte keine Überlebenschance.

Täter hatten keine Ähnlichkeit mit Mundlos und Böhnhardt

Die Ermittler gehen davon aus, dass die NSU-Terroristen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt die Schüsse abfeuerten, Beate Zschäpe ist als Mittäterin angeklagt. Eine weitere Zeugin, Anna S., die in der Nähe des Tatorts wohnt, hat damals zwei Radfahrer beobachtet, die ausgesehen hätten wie Kurierfahrer. Die Ermittler halten diese Radler heute für Böhnhardt und Mundlos, die oft mit Rädern zu Tatorten gefahren sein sollen. Vor Gericht sagt Anna S. allerdings, die Männer hätten keine Ähnlichkeit gehabt mit den Fotos von Mundlos und Böhnhardt: "Das waren die nicht. Das ist unmöglich."

Die Angaben der 67 Jahre alten Rentnerin wirken in den Details nur bedingt brauchbar. Sie behauptet, die Radler hätten "osteuropäisch" ausgesehen, kann das aber - abgesehen von angeblich "hohen Wangenknochen" - nicht konkretisieren. Sie sah die Männer ohnehin nur kurz vor ihrem Fenster, die Gesichter habe sie gar nicht richtig erkannt. Laut einem alten Vernehmungsprotokoll soll die Zeugin die Radfahrer ein anderes Mal als "türkisch" beschrieben haben, was sie nun vor Gericht bestreitet. Zschäpes Verteidigung regt daraufhin an, den Polizisten, der damals die Vernehmung führte, als Zeugen zu laden.

Seit dem Mord sind zwölf Jahre vergangen, viele Erinnerungen sind nicht mehr präzise. Nuran K. soll nach dem Mord der Polizei berichtet haben, dass sie ihren Sohn zum Kinderarzt bringen musste, weil ihn die Bilder von dem Toten belastet hätten. Vor Gericht erzählt sie jetzt, ihr Sohn sei zum Einkaufen mit gewesen, habe die Leiche aber auf keinen Fall gesehen. Der Postbote sagt dagegen, der Junge habe den sterbenden Mann gesehen und sei ganz bleich gewesen.

Unterdessen hat die Staatsanwaltschaft Erfurt Ermittlungen gegen Zschäpe wegen einer mutmaßlichen Schießerei am Erfurter Bahnhof eingestellt. Aus Zeugenaussagen hätten sich keine Anhaltspunkte ergeben, dass die mutmaßliche Rechtsterroristin an einer Attacke auf zwei Männer am Silvesterabend 1996, bei der auch Schüsse fielen, unmittelbar verwickelt war, sagte Oberstaatsanwältin Anette Schmitt-ter Hell am Mittwoch dem Sender MDR Thüringen.

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