Internet-Video zu Porn Sex vs. Real Sex:Die Gurke ist zu lang

Haarlose Einheitsvulvas, superlange Penisse, Männer, die immer können, Frauen, die immer wollen. Ein Video räumt mit Pornoklischees auf - und verwendet dazu Gurken, Avocados und Zwiebeln. Doch sind wir wirklich so naiv zu glauben, was uns die Porno-Industrie weismachen will? Brauchen wir ein Gemüse-Video, um uns wachzurütteln?

Von Violetta Simon

Was hat eine Salatgurke mit einem Penis zu tun? Nein, nicht, was Sie jetzt denken. Na ja, zumindest nicht direkt. Eine Salatgurke eignet sich hervorragend, um pornografische - nein, nicht, was Sie jetzt denken - Klischees zu entlarven. Derzeit kursiert im Netz ein Video, das anhand von Lebensmitteln und Küchengeräten auf überaus witzige Art und Weise den Unterschied zwischen Sex in Pornos und Sex im echten Leben erklärt. Zum Beispiel, dass ein Pornopenis ausnahmslos um mehrere Zentimeter länger ist als ein "ziviler" Penis. Um diese Differenz eindrucksvoll zu demonstrieren, saust in dem Filmchen ein Metzgermesser auf eine ahnungslose Gurke hinab und kürzt sie um ein beträchtliches Stück. Die Botschaft: "Lieber Pornokonsument, vergiss' nicht: Das hier ist die Realität!"

Die Botschaft scheint anzukommen: Bereits nach zwei Tagen verzeichnet das Video einer New Yorker Produktionsfirma fast zwei Millionen Zugriffe. Da verkörpern halbierte Zwiebeln die stets haarlosen Intimzonen der Pornoschauspieler; Erdbeeren, Avocados und Papaya konterkarieren das Ideal von der Einheitsvagina; anhand von Schmortopf, Toaster und Sektflasche wird die Geschwindigkeit verdeutlicht, mit der reale Menschen im Vergleich zu Pornostars zum Höhepunkt kommen. Immerhin, so erfährt der Betrachter, während ein küchenfertiges Huhn verschnürt wird, haben 40 Prozent bereits Erfahrung mit Fesselspielen.

Sex ist omnipräsent

Nicht erst seit "Shades of Grey" wissen wir: Pornografie hat den medialen Mainstream erreicht. In der Werbung, im Internet, im Fernsehen sind wir von inszeniertem Sex umgeben. Manche konsumieren Pornos täglich im Internet, zur bloßen Ablenkung. Studien belegen, dass Internet-Pornografie bereits zur Lebenswelt vieler Jugendlicher gehört. Die Frage, die das Video nicht beantwortet, ist: Was macht das mit uns? "Es macht uns unzufrieden", sagt Jakob Pastötter, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Sozialwissenschaftliche Sexualforschung. "Wir Menschen tendieren dazu, unsere eigenen Erfahrungen gering zu schätzen, die Erfahrungen der angeblichen Mehrheit dagegen sehr hoch."

Und die Mehrheit, so suggerieren es die Medien, tut es - immer und überall. Weil Männer immer können und Frauen immer wollen. Von wegen, meint der Sexualwissenschaftler und Kulturanthropologe. Die meisten Sex-Statistiken seien "keinen Pfifferling wert", weil sie in den Durchschnitt die kleine Minderheit mit einrechnen, die wirklich viel Sex habe, um auf möglichst beeindruckende Zahlen zu kommen. "Das wäre so, wie wenn Sie das Durchschnittseinkommen bei Microsoft unter Miteinbeziehung des Gehalts von Bill Gates angeben."

Aber sind wir wirklich so naiv zu glauben, was uns die Porno-Industrie weismachen will? Und brauchen wir ein Gemüse-Video, um uns wachzurütteln? Jeder kennt doch den Unterschied zwischen Realität und Fiktion, sagen zumindest wir, die wir heute erwachsen sind. Pornografie war in unserer Kindheit schließlich nicht omnipräsent und jederzeit verfügbar. Inszenierter Sexualität und Pornografie begegneten wir bestenfalls in abgegriffenen Pornoheftchen, die Erwachsene vergessen hatten zu verstecken.

Doch wie steht es um die Generation, die in einer sexualisierten Umgebung aufwächst? Die Pornografie schon konsumiert, bevor sie ihre erste echte sexuelle Erfahrung macht? Was macht es mit der ästhetischen Auffassung eines Teenagers, wenn die einzigen Frauen außer seiner Mutter, die er bisher nackt gesehen hat, Silikonbrüste haben, komplett rasiert und im Analbereich gebleicht sind? Was versteht er unter dem Begriff Lust, wenn weibliche Sexualpartner als Objekte inszeniert werden, die jederzeit bereitwillig zur Verfügung stehen? Wenn mechanisches Gestöhne zur Hintergrundmusik verkommt, weil niemand mehr hinterfragt, ob seelenloses Gerammel einer Frau Lust verschaffen kann? Ist eine 13-Jährige später in der Lage, die eigenen Bedürfnisse zu erkennen und zu artikulieren, wenn Pornos ihre einzige Sexualerfahrung sind - und Analverkehr als Basic und Gesichtsbesamung als Standard verkauft werden?

Nach Ansicht von Pastötter könnten die pornografischen Stereotype bei Mädchen dazu führen, die eigenen Vorlieben zu ignorieren und Sexualpraktiken auszuüben, die sie eigentlich ablehnen. "Sexualberater berichten, dass sich der Druck auf Mädchen, Analsex zuzulassen, massiv erhöht. Pornografie hat hier definitiv zu einer Normalisierung beigetragen". Das betreffe auch die Genitalrasur und die Größe der Schamlippen, die dadurch erst ein Thema geworden sei. Doch auch Jungs fühlten sich unter Druck - zum Beispiel, eine "pornomäßige Penislänge und Erektion" vorzuweisen. "Nicht wenige junge Männer greifen auf Viagra für ihre Dates zurück", sagt Pastötter. Dabei würden verschiedene Stellungen und Praktiken gleichgesetzt mit der Qualität von Sex, der Unterschied zwischen Realität und Porno verschwimme.

Kein Porno für Jugendliche

Aber darf man den Jugendlichen nicht mehr Souveränität im Umgang mit Youporn & Co. zutrauen? Schließlich sind sie den Umgang mit dieser Stimulation gewöhnt. "Die Entwicklungspsychologie und die Hirnforschung haben darauf eine eindeutige Antwort: nein", sagt Pastötter. In diesem Alter beginne sich diese Fähigkeit erst allmählich zu entwicklen - und selbst Erwachsene bekämen das manchmal noch nicht hin.

Viele Sexualforscher hingegen sind überzeugt, dass Jugendliche Porno und Realität sehr wohl unterscheiden können. Die Meinungen gehen auseinander. Therapeuten und Sozialarbeiter schlagen Alarm, weil sie berufsbedingt die Schattenseite kennen; sie registrieren sexuelle Übergriffe und behandeln traumatisierte Mädchen. Der Hamburger Sexualtherapeut Andreas Hill schreibt in der Zeitschrift für Sexualforschung, Jugendliche ließen sich von der pornografischen Realität beeinflussen, obwohl sie die Wahrheit kennen würden - ähnlich wie von der Werbung, der man misstraue, um dann doch die bekannten Frühstücksflocken zu kaufen.

Eine, die den Unterschied genau kennt, ist die Internet-Unternehmerin Cindy Gallop. Die 53-Jährige gehört zur Generation, die definitiv ohne Youporn aufgewachsen ist. Die Männer hingegen, mit denen sie ins Bett geht, sind es nicht: Gallop schläft mit 20-Jährigen. "Wenn ich Sex mit ihnen habe", erklärte sie 2009 auf der TED-Konferenz in Monterrey, "begegne ich sehr direkt und persönlich den Folgen der schleichenden Ausbreitung der Hardcore-Pornografie in unserer Kultur."

Wie vertraut die Normen der Pornografie unserem Kulturkreis mittlerweile sind, illustriert die Unternehmerin auf ihrer Webseite makelovenotporn. Durch die direkte Gegenüberstellungen von Phantasie, "porn world", und Realität, "real world", enttarnt und relativiert Gallop Pornoklischees wie diese: dass Frauen unten keine Haare haben, auf Analsex stehen und wollen, dass Männer ihnen ins Gesicht ejakulieren. Dass Frauen es lieben, als Nutte oder Schlampe bezeichnet zu werden. Dass sie es mögen, wenn er vor ihr steht und sie an den Haaren nach unten zieht, um sie daran zu erinnern, dass sie noch einen Blowjob zu erfüllen hat. Dass sie jedes Mal kommen, egal in welcher Position, ganz ohne klitorale Stimulierung, und bereits feucht werden, wenn man nur mal kurz den Finger hineinsteckt.

Aber auch die Realität erfährt der User: Dass dirty talk, blowjob und Samen auf der Nase total in Ordnung sind - nur eben nicht jedermanns Geschmack. Damit diese Realität nun auch die Jugendlichen erreicht, soll Youporn Schule machen. Das finden jedenfalls die bayerischen Piraten. Sie fordern in ihrem aktuellen Wahlprogramm zur Landtagswahl die Verwendung von Youporn-Videos im Unterricht: "Die Kids gucken das sowieso. Und wenn sie dann Fragen an die Lehrer haben, können sie die gar nicht beantworten, weil sie die Videos nicht mit den Schülern anschauen dürfen", sagt Tina Lorenz, kulturpolitische Sprecherin der bayerischen Piraten, zu Süddeutsche.de.

Sollte die Idee mit den Youporn-Videos in der Schule keine Befürworter finden, können die Lehrer notfalls immer noch auf das Gemüse-Filmchen zugreifen. Ist vielleicht auch besser für die Konzentration der Schüler.

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