Urteil gegen Berlusconi:Cavaliere am Ende

Wer hätte das noch erwartet? Immer wieder geriet Silvio Berlusconi ins Netz der Justiz, immer wieder befreite er sich triumphierend. Doch mit seiner Verurteilung ist Berlusconi endgültig ein Mann der Vergangenheit - hat er noch einen Funken Anstand im Leib, wird er sich aus der Politik zurückziehen.

Ein Kommentar von Stefan Kornelius

Langsam, aber nur sehr langsam, hat auch Silvio Berlusconi jene sieben Leben ausgehaucht, die man selbst jeder römischen Straßenkatze zubilligt. Kurz vor seinem 77. Geburtstag wurde er in einem seiner vielen Steuerverfahren verurteilt, dieses Mal in wirklich letzter Instanz. Wer hätte das noch erwartet? Seit den frühen Neunzigerjahren geriet Berlusconi immer wieder ins Netz der Justiz. Immer wieder befreite er sich, durchschnitt die Maschen, tauchte triumphierend wieder auf. Doch nun ist es der Staatsanwaltschaft doch gelungen, ein Verfahren bis zum Ende zu bringen. Das muss auch das Ende des Politikers Silvio Berlusconi bedeuten.

Diese Nachricht hätte vor zehn, selbst vor drei Jahren noch gewaltige Freudenbekundungen in Europa ausgelöst. Heute wird sie mit Achselzucken aufgenommen, zumindest außerhalb Italiens. Berlusconi ermüdet, und nun spielt er - auf den ersten Blick - keine wichtige Rolle mehr. Seinen politischen Zenit hat er längst überschritten. Und selbst wenn sich seine Partei jetzt in lächerlicher Selbstaufopferung zerreißt - Berlusconi ist eine Figur der Vergangenheit.

Das muss Italiens Regierung, an der Berlusconis beteiligt ist, bedenken, wenn sie nun um ihre Existenz zittert. Die Botschaft der Richter ist: Dieser Mann ist rechtskräftig verurteilt - über sein politisches Berufsverbot möge die Politik urteilen. Die Justiz eröffnet der Regierung und Berlusconi einen ehrenhaften Ausweg: Er wird sich zurückziehen aus dem Geschäft, wenn er noch einen Funken Anstand im Leib hat.

Bonbonfarben war nur die Kulisse

Berlusconis schlimmste Hinterlassenschaft erleben die Italiener noch immer jeden Tag am eigenen Leib - als Opfer einer maroden Volkswirtschaft, als Arbeitslose, als Gefangene eines abgeschotteten Systems. Berlusconis neun Regierungsjahre waren nur zum Schein Jahre des Wohlstands. Mit dem italienischen Gemeinwesen und der Volkswirtschaft des Landes verhielt es sich wie mit einem der vielen Fernsehstudios des Cavaliere: bonbonfarben war nur die Kulisse.

Berlusconi war ein Meister in der Steuerung dieser Fassadenrepublik. Nicht wenige sagen: Der Mann hat sich seine eigene Republik gebaut, in der er unbehelligt seinen privaten Interessen nachgehen konnte, die er als die Interessen des Staates deklarierte. Gemessen am Grad der Selbstbereicherung, der Rechtsbeugung, des politischen Missbrauchs und der Chuzpe befriedigt das Urteil gegen Berlusconi das Bedürfnis nach Gerechtigkeit nur unzureichend. Selbst als verurteilter Straftäter scheint der Mann noch immer ein Stück über dem Recht zu stehen.

In seltsamer Weise war Berlusconi die Fortsetzung der untergegangenen ersten italienischen Republik, in der sich die Parteien den Staat zur Beute gemacht hatten. Berlusconi setzte an die Stelle der Parteien seine Bewegung, Forza Italia, später die Popolo della Libertà - das Volk der Freiheit. Frei war dieses Volk freilich nie, zumindest nicht frei von den alten Strukturen, den Interessengruppen, den Clans und Industrieverbänden. Die unterwarfen sich in ihrem Gerangel um Geld, Macht und Interessen dem Patronatssystem Berlusconis - einer Ein-Mann-Organisation nicht zuletzt zum Zweck der Bereicherung.

Berlusconi darf nicht auf die Guillotine - er wird im Nebel versinken

Rückblickend ist es noch immer atemberaubend, mit welcher Selbstverständlichkeit Berlusconi Medienmacht und Staatsmacht verbinden konnte; wie er Geschäftsinteresse über öffentliches Interesse setzte; wie er Gesetze schreiben ließ, um eigenes Unrecht zu kaschieren; wie er den Vorsitzenden des Justizausschusses kaltschnäuzig als Anwalt in seinen persönlichen Dingen beschäftigte. Wer sich über den Aufstieg der Grillo-Bewegung wundert, der muss nur die politische Entmachtung des Volkes unter Berlusconi studieren. Beppe Grillo mag ein Populist sein, aber mehr noch ist er das Spiegelbild der italienischen Zustände.

Fast 20 Jahre lang war Berlusconi eine dominierende Figur in der italienischen und auch der europäischen Politik. Nur wenige Politiker haben das Land so geprägt wie er. Nach dem Urteil wird sich Italien ein paar Wochen mit der Frage quälen, ob und wie sie den Mann nun in der Kulisse verschwinden lassen. Ein Berlusconi darf nicht auf die Guillotine - aber er wird langsam im Nebel versinken.

Vielleicht war die Erwartung vermessen, dass ein Gerichtsurteil Italien von diesem Mann befreien könnte. Dazu ist sein Machwerk zu gewaltig, dazu fallen die Schatten schon zu lang. Berlusconi ist eine politische Institution, von der sich das System nur langsam wird verabschieden können. Die ersten Schritte haben seine Nachfolger-Ministerpräsidenten Monti und Letta schon erfolgreich absolviert. Wer sich heute noch von dem Mann blenden lässt, der ist dem Verführer erlegen.

Überblick
Aktuelle Prozesse gegen Berlusconi
  • Unipol-Prozess: Silvio Berlusconi soll Aufzeichnungen eines vertraulichen Telefongesprächs an die Zeitung Il Giornale weitergegeben haben, um dem Linkspolitiker Piero Fassino zu schaden. Urteil in erster Instanz: ein Jahr Gefängnis.
  • Ruby-Prozess: Im Juni 2013 wird Berlusconi zu einer Gefängnisstrafe von sieben Jahren verurteilt - wegen Sex mit einer Minderjährigen und Amtsmissbrauch. Das Urteil fällt allerdings in der ersten Instanz, in Italien bleiben diese Entscheidungen oft folgenlos.
  • Ermittlungen wegen Bestechung: Der ehemalige Senator Sergio De Gregorio soll Medienberichten zufolge gestanden haben, für einen Parteiwechsel im Jahr 2004 insgesamt drei Millionen Euro von Berlusconi erhalten zu haben. De Gregorios Eintritt in Berlusconis Partei sorgte dafür, dass die damalige Regierungkoalition unter Romano Prodi auseinanderbrach.
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