Fabrikeinsturz in Bangladesch:100 Tage Schmerz

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Trauern in den Trümmern: Auch 100 Tage nach dem tragischen Fabrikeinsturz sind die Wunden noch frisch (Foto: dpa)

Noch immer liegt die Fabrik in Trümmern, noch immer ist die Verzweiflung der Überlebenden groß: Vor 100 Tagen stürzte in Bangladesch eine Textilfabrik ein, 1127 Menschen starben. Das Land hat zwar Konsequenzen aus dem Unglück gezogen. Doch manchen reicht das noch nicht.

Rebecca Khatun hat jetzt zwei Prothesen. Voller Skepsis schaut sie auf die beiden künstlichen Beine. Sie glaubt nicht, dass sie ein Ersatz für ihre Gliedmaßen sein können, die sie beim Einsturz ihrer Nähfabrik vor 100 Tagen verloren hat. "Ich habe keine Zukunft", sagt Khatun in ihrem Krankenbett in Bangladeschs Hauptstadt Dhaka. "Ich habe überhaupt keine Ahnung, wie ich klarkommen soll, wenn ich erst einmal entlassen werde." Die 22-Jährige, die aus den Trümmern gerettet werden konnte, hat noch viel mehr verloren als ihre Beine: Ihre Mutter und sechs weitere Angehörige nähten mit ihr im "Rana Plaza" - und überlebten es nicht.

1127 Menschen starben beim schlimmsten Fabrikeinsturz in der Geschichte Bangladeschs, etwa 2500 Menschen wurden im April beim Einsturz des achtstöckigen Gebäudes in einem Vorort von Dhaka verletzt. Viele von ihnen wollen nie wieder als einer der rund 3,5 Millionen Textilarbeiter im Land arbeiten, trotz der neuen Feuer- und Sicherheitspläne für Fabriken und trotz der überarbeiteten Gesetze.

"Ich muss irgendwo arbeiten"

"Wenn ich mir das Unglück in Erinnerung rufe, dann kann ich mich auf nichts mehr konzentrieren. Ich fühle mich noch immer, als würde das Gebäude auf mich herabstürzen", sagt Mosharaff Hossain, dessen Frau damals starb. "Ich bin ein armer Mann, ich muss irgendwo arbeiten", weiß er. Doch werde er alles versuchen, um nicht in eine Textilfabrik zurückkehren zu müssen. Der Verband der Textilhersteller und -exporteure erklärt, für 1076 Überlebende habe er in den vergangenen drei Monaten einen Platz in einer anderen Textilfabrik finden können - aber viele trauten sich wegen der erlittenen Traumata noch nicht zurück.

Den Angehörigen von 650 Verstorbenen seien umgerechnet jeweils mehrere Tausend Euro gezahlt worden, sagt der Vizepräsident des Textilverbands in Bangladesch, Shahidullah Azim. Ex-Arbeiter Hossain hingegen sagt, er habe keine Entschädigung erhalten. Nur 20.000 Taka (knapp 200 Euro), um seine Frau zu beerdigen. Andere, wie die 22-jährige Khatun bekamen von der Regierung ein Scheckbuch. Damit können sie fünf Jahre lang monatlich 10.000 Taka abheben.

Regierung will Fabriken besser kontrollieren

Die Regierung in Dhaka arbeitet daran, den stark beschädigten Ruf Bangladeschs in der Welt aufzubessern. Denn ein Großteil der in dem südasiatischen Land genähten Kleidung wird nach Europa und in die USA verschifft, die Textilindustrie macht fast 80 Prozent der Exporte aus. Den Arbeitnehmern wurden mehr Mitbestimmungsrechte zugestanden, bessere Kontrollen in den Fabriken wurden angekündigt.

Doch Kritiker wie Human Rights Watch bemängeln, dass die Gewerkschaften noch immer zu stark behindert würden und die neuen Regeln gerade nicht bei den exportorientierten Fabriken gelten - was auf fast alle Textilfabriken zutrifft. Azim vom Textilverband gibt zu, dass es an der Umsetzung der Regeln hapert. "Wir sind noch immer mit einem Mangel an Mitarbeitern konfrontiert, um die Industrie in Ordnung zu bringen."

Druck aus dem Ausland

Auch die Akteure am anderen Ende der globalen Kleidungskette unternahmen zaghafte Versuche, gegen die schlechten Bedingungen in den Fabriken vorzugehen. Die USA entzogen Bangladesch Zollvergünstigungen, Markt-Riesen wie Wal-Mart versprechen Millionen-Investitionen für mehr Sicherheit und mehr als 70 Handelskonzerne planen, zusammen verbindliche Standards für Feuer- und Gebäudesicherheit zu vereinbaren. Die Unternehmen, darunter etwa H&M und C&A, kündigten an, die Fabriken nicht nur zu beobachten, sondern selbst zu inspizieren und renovieren zu lassen.

Shirin Akhter, Gründerin der Frauenrechtsorganisation Karmojibi Nari, meint allerings, der Wandel müsse vor allem im Land selbst passieren. Damit die Wunden der Überlebenden von "Rana Plaza" und all der anderen Industriedesaster verheilen könnten, müssten endlich die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden. Denn die mächtigen Fabrikbesitzer gingen bislang fast immer straffrei aus.

© Süddeutsche.de/dpa/Nazrul Islam und Doreen Fiedler/soli - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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