Probleme in der Fankurve des FC Bayern:Stille auf den Stufen

Probleme in der Fankurve des FC Bayern: Hunderte leere Plätze in der Münchner Südkurve.

Hunderte leere Plätze in der Münchner Südkurve.

(Foto: imago sportfotodienst)

Seltsame Ruhe herrscht auf den Rängen beim Triple-Sieger: Der Streit zwischen dem FC Bayern und seinen Ultrafans um Eintrittskarten führt zu Schweigen in der Arena. Die Fans beklagen eine "bewusste Zerschlagung der aktiven Szene" - der Klub selbst will die Südkurve "neu organisieren".

Von Markus Schäflein

Ein gewaltiges graues Loch tat sich auf. Es verschluckte alles, die Gesänge, die Fahnen, den Jubel. In der Südkurve, der Stimmungszentrale des FC Bayern München, blieben beim Heimspiel gegen Mönchengladbach (3:1) die unteren Plätze leer; wo früher die Ultras standen, waren nun die blanken Stufen zu sehen.

Viele der "Stimmungsaktiven" - wie sie Wolfgang Salewski nennt, der vom FC Bayern offiziell als "Mediator" eingesetzt wurde, von den Ultras aber eher als Klubvertreter denn als Unparteiischer gesehen wird -, waren einfach nicht mehr da. Sie dürfen die Blöcke nicht mehr betreten, weil sie keine Karten für diesen Bereich haben - und der FCB den Zugang nun mit Drehkreuzen kontrolliert. Die Verbliebenen schwiegen.

"Es gab keinen Boykottaufruf", betont zwar Gregor Weinreich von der Fanklub-Dachorganisation Club Nr. 12 - der Boykott der Enttäuschten ergab sich aber von selbst. Sie beklagen eine "bewusste Zerschlagung der aktiven Fanszene", Weinreich formuliert es so: "Wir haben nicht den Eindruck, dass der FC Bayern mit den Fans, die die vergangenen Jahre Stimmung gemacht haben, in die Zukunft gehen möchte." Eine Ultraszene sorgt eben nicht nur für Stimmung und schöne Choreografien, sondern beschert auch immer wieder Ärger, etwa mit Pyrotechnik oder Vereinskritik.

Während fast alle deutschen Fußballklubs ihre Ultras dennoch als wichtigen Bestandteil ihres Umfelds sehen und mit Engelsgeduld an Problemlösungen arbeiten, scheint der FC Bayern die Nase voll zu haben - und stützt sich, was wohl haltbar ist, auf eine Mehrheitsmeinung seines Publikums. In der Tat hört sich das, was Salewski zu dem Thema sagt, nach Zerschlagung an. Die schlechte Stimmung am Freitag sei für ihn "keine Überraschung" gewesen, "wir brauchen eine Übergangszeit". Ziel sei es, "den gesamten Block neu zu organisieren: neue Leute, neue Lieder, dann baut sich da wieder was auf".

Der frühere Polizeipsychologe beziffert die Zahl der bisherigen "Stimmungsaktiven" auf nur rund 600, dazu kommen noch 600 sogenannte Situationsaktive, die sich an der Anfeuerung je nach Spielverlauf beteiligen. Es sind für einen so großen und erfolgreichen Klubs vergleichsweise niedrige Zahlen, die bei der Kartenvergabe kein gesteigertes Problem darstellen sollten - müsste man meinen. 2100 Menschen sind für den Bereich der Blöcke 112/113 zugelassen; nur 1635 Fans passierten gegen Mönchengladbach die Drehkreuze, 300 Karten blieben gänzlich ungenutzt.

Verschiedene Vorschläge der Ultras, ein Zusammenstehen im Stadion zu ermöglichen, wurden vom Verein verworfen. Eine freie Blockwahl im gesamten Bereich der Südkurve wäre aufgrund der Scanner an den Drehkreuzen möglich, ohne eine Überfüllung zu riskieren. Die Fanbetreuung des FC Bayern führte bei allen Kartenbesitzern dieses Bereichs eine Umfrage durch - bei der sich 64 Prozent gegen die Lösung aussprachen.

Neue Stimmungszentrale

Weinreich hält die Formulierung der Umfrage allerdings für "tendenziöse Stimmungsmache"; so sei vom Verein argumentiert worden, bei freier Blockwahl könne es vorkommen, dass man nach dem Bierholen oder dem Toilettengang nicht mehr in denselben Bereich zurückkehren könne. "Man könnte es so schalten, dass man 15 Minuten lang eingecheckt bleibt und mit der gleichen Karte zurückkehren kann", sagt Weinreich, "aber das wurde nicht einmal zur Wahl gestellt." Salewski entgegnet, er habe die Umfrage "fair" gefunden, auch "wenn die hinterher sagen, das war falsch gefragt".

Kurios ist, dass der FC Bayern die Kapazität der Blöcke 112/113 gerade erst erhöht hat. Statt 300 neue Karten nach dem Zufallsprinzip im Internet zu vergeben, hätte er bei Stadionöffnung 300 Einlasskarten für die Südkurve an Inhaber blockfremder Tickets vergeben können. "Das wäre für jeden offen gewesen - aber man hätte wohl ziemlich gut die Klientel erwischt, die anfeuern will", meint Weinreich. Salewski entgegnet, Einlasskarten seien "einmal versucht worden" und hätten "nicht funktioniert". Generell habe man den aktiven Fans "früher viele Karten zur Verfügung gestellt, und das Ergebnis war, dass sie immer mehr Karten verlangt haben". Und Karten sind beim FCB ein rares Gut - der Mehrheit der anderen Zuschauer sei die Bevorzugung "nicht vermittelbar" gewesen.

Das ist die Frage: Sind Fans, die jedes noch so abgelegene Auswärtsspiel besuchen und ihre Aufgabe in der Anfeuerung sehen, anders zu behandeln als Zuschauer, die zwei Mal im Jahr ein Heimspiel besuchen wollen, sich aber als Bayernfans definieren, Trikots kaufen und "Gefällt mir" bei Facebook geklickt haben?

Der FC Bayern hat diese Frage, was das System der Kartenvergabe angeht, nun mit Nein beantwortet. Salewski macht Fans, die Tickets für andere Blöcke bereits haben, sich bisher in 112/113 geschlichen hatten oder künftig gerne dort stehen wollen, dennoch ein bisschen Hoffnung. Er kündigt ein "Tauschprogramm" an und will initiieren, dass die sogenannten Indifferenten, die seit Jahren im Block 112/113 stehen, aber an der Stimmung nicht beteiligt sind, sich auf einen Kartentausch einlassen. Das Problem ist dabei, dass Tickets für andere Bereiche des Stadions deutlich teurer sind; Salewski kündigt "finanzielle Übergangslösungen im Einzelfall" an.

Mit den Strichcode-Scannern will der FC Bayern zudem überprüfen, wer in Block 112/113 überhaupt erscheint - und bei zu selten genutzten Dauerkarten von seinem Kündigungsrecht Gebrauch machen. Die "Noshows", die ihre Tickets verfallen lassen wie offenbar rund 300 Personen gegen Mönchengladbach, müssen damit rechnen, dass ihnen der Klub ein Tauschangebot macht und die Jahreskarte ansonsten gekündigt wird.

Ob Salewskis Plan, eine neue Stimmungszentrale zu entwickeln, funktioniert, bleibt abzuwarten. Auf jene Zuschauer, die Tickets für den Block 112/113 online für einzelne Spiele erwerben, kann er dabei sicherlich nicht setzen. "Dieses Ticketing bietet einen Querschnitt durch unser Publikum", sagt Weinreich. "Ich kann nicht zufällig Leute auswählen, und es entsteht plötzlich Stimmung." Auch Vorstandsboss Karl-Heinz Rummenigge erkannte: "Wir können niemanden zwingen, uns anzufeuern." Es klang allerdings nicht danach, als würde er etwas vermissen.

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