Zusammenstöße in Ägypten:Rauch, Blut und kein Ende in Sicht

Zusammenstöße in Ägypten: Keine Bereitschaft aufzugeben: Ein Anhänger der Muslimbruderschaft in Kairo

Keine Bereitschaft aufzugeben: Ein Anhänger der Muslimbruderschaft in Kairo

(Foto: AFP)

Kairo ist im Ausnahmezustand. Gebäude brennen, Verletzte werden auf Schubkarren von der Straße geschafft, vor Angst halb irre Menschen suchen ihre Angehörigen. Doch der Kampf ist noch nicht zu Ende. Ein Führer der Muslimbrüder ruft dazu auf, das Regime zu stürzen und gratuliert den gefallenen Märtyrern - auch seiner eigenen Tochter.

Von Sonja Zekri, Kairo

Schwarzer Rauch hängt über der Stadt, nicht nur über Nasr-City im Nordosten, wo die Polizei das Zeltlager vor der Rabaa al-Adawija-Moschee zerschlagen hat, sondern auch auf Brücken, Plätzen, Seitenstraßen, in Mohandessin auf der anderen Nil-Seite, in Heluan im Süden. Ein chirurgischer Schnitt sollte es werden, die Auflösung der Proteste in Rabaa und vor der Universität. Die quälenden Auseinandersetzungen sollten ein Ende haben, und sei es ein blutiges.

Aber nun steht die Stadt an vielen Stellen in Flammen, in Oberägypten brennen Kirchen und Polizeistationen. Die Börse hat den Handel ausgesetzt. Und Kairo, die "Siegreiche", die Lebensfrohe, verkriecht sich vor Angst. Wo nicht gekämpft wird, sind die Straßen ausgestorben. Am Nachmittag kommt eine Nachricht, die viele erwartet haben: Übergangspräsident Adli Mansur verhängt den Ausnahmezustand.

Früh morgens, bevor die große Hitze einsetzt, haben Polizei und Armee die beiden Lager der Mursi-Anhänger gestürmt, mit Bulldozern die Zelte vor der Universität zusammengeschoben, die Islamisten in den Zoo und den Botanischen Garten gedrängt. Zwischendurch hatten sich die Protestierenden gegen die Sonne Hüte aus großen Blättern gebaut, mit denen sie aussahen wie Teletubbies mit Bart. Nun sieht man Bilder von Maschinengewehren.

Gleichzeitig begann der Angriff auf Rabaa. Armee und Polizei schossen Tränengas und scharfe Munition, walzten die Mauern aus Stein und Beton nieder, hinter denen die Islamisten sich hatten verschanzen wollen. In den letzten Wochen hatten sie einen Spielplatz und ein Schwimmbad gebaut. Frauen und Kinder wurden herbeigeschafft. Viele flohen nun in die Moschee. Bald schon gelangt kaum noch jemand auf den Platz, und nur entsetzliche Nachrichten hinaus. Die Muslimbrüder sprechen von 2000 Toten, die ägyptischen Behörden behaupteten lange, es seien nur fünf. Ein AFP-Reporter zählte 124 Leichen.

"Wir wollen sterben, Freiheit gibt es nicht umsonst"

Mohammed el-Beltagi, einer der Führer der Muslimbrüder, tritt in Rabaa am Nachmittag vor die Kamera. Er sieht abgekämpft und verzweifelt aus, aber er gibt sich ungebrochen, droht, dass Ägypten ein zweites Syrien werden könne und ruft alle Menschen auf, jetzt auf die Straße zu gehen, um das Regime der "Putschisten" zu stürzen. Und dann gratuliert er den Märtyrern, die für die Freiheit gestorben sind, da gebe es keinen Grund für Beileid. Kurz vorher ist seine eigene Tochter in Rabaa ums Leben gekommen. Sie war 17 Jahre alt.

Der Zugverkehr nach Kairo ist unterbrochen, die Mursi-Anhänger klagen, dass auch die Zufahrten in die Stadt kontrolliert werden. Trotzdem sammelt sich der Nachschub in den Seitenstraßen. Eine Frau irrt durch den Staub, das Tränengas und fliegende Plastiktüten, halb irre vor Kummer. Ihr Sohn ist in Rabaa, er hat heute morgen angerufen, seitdem hat sie keine Verbindung mehr.

Said el-Gamal, ein Anwalt, sitzt mit seinem Sohn im Schatten unter einem Baum, einen Mundschutz gegen das Gas vor dem Gesicht, Bitterkeit im Blick. So wie er warten Tausende darauf, die Absperrung der Polizei zu durchbrechen. "Wir wollen sterben", verkündet er, die Freiheit gebe es nicht umsonst, sie müsse erkämpft werden. Und er, Said, sei bereit, und seine Söhne auch, Ali, 15, und Chalid, 9, der seine Hand hält und in die Sonne blinzelt. Willst du sterben, Chalid? - "Ja", nickt er und grinst verlegen.

In der Nasser-Straße fahren Freiwillige Verletzte aus Rabaa in Schubkarren zu den Ambulanzen, auch verletzte Polizisten. Die meisten Männer begrüßen, dass der Platz endlich geräumt wird, bewundern die neuen Panzer und die Gasmasken der Soldaten. Nur einer brüllt: "Was schießt ihr auf Wehrlose, sind sie etwa Juden?" An ein Telefonhäuschen hat jemand "CC" und einen Judenstern gemalt: Verteidigungsminister Abdel Fattah al-Sisi ist ein Agent Israels, heißt das übersetzt. Wenn man der Propaganda auf beiden Seiten glaubt, ist Ägypten umringt von Feinden. Aber der größte Feind in diesen Tagen ist: Ägypten.

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