Eine fantastische Geschichte:Der Himmel voller Geigen

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Aus den 500 Jahre alten Dachstuhlbalken der zerbombten Frauenkirche baute Franz Fuchs sensationell gut klingende Violinen. Sein in Indersdorf lebender Sohn Gerald lässt nun weitere "Domholzgeigen" bauen.

Von Sonja Siegmund

Zu Barbarossas Zeiten gepflanzt, zu Kolumbus Zeiten gefällt und nach dem Zweiten Weltkrieg verbaut: Gerald Fuchs präsentiert eine der seltenen kostbaren Geigen aus uraltem Domholz. (Foto: Toni Heigl)

"Zu Kaisers Barbarossas Zeit, da ward ich als Baum gesteckt (1190) / Als Kolumbus betteln eilt, ward ich hingestreckt (1486). / Seit 1490 schirme ich das große Gotteshaus / Darum mied mich das Gewürme / Und es ward kein Moder draus. / Hörst Du mich klingen, ich kann singen aus längst vergang'ner alter Zeit, / Ich kann Dir's sagen, wie ich's ertragen, so lang, so weit!" Mit diesem selbst verfassten Gedicht hat der Geigenbaumeister Franz Fuchs sein Lebenswerk niedergeschrieben. Die Rede ist von uraltem Holz aus der im Zweiten Weltkrieg zerstörten Münchner Frauenkirche. Aus den gewaltigen Dachstuhlbalken hat der Instrumentenbauer Geigen von außergewöhnlichem Klang gefertigt. Seit dem Tod seines Vaters 1975 verwalten Sohn Gerald und dessen Familie dieses Erbe. Neben zwei wertvollen Geigen gehören zahlreiche akkurat zugeschnittene Fichtenholzkeile zum Nachlass.

Doch nun zum Anfang dieser fantastischen aber wahren Geschichte, die zum Teil auch die Lebensgeschichte von Gerald Fuchs ist. Nach Kriegsende war dieser gerade einmal vier Jahre alt, als er mit seiner Mutter und der kleinen Schwester aus dem Sudetenland, heute Tschechien, aussiedeln musste. Erste Station nach der Vertreibung war Erlangen, wohin der Vater aus russischer Kriegsgefangenschaft entlassen wurde. In Schönbach bei Eger hatte Franz Fuchs vor dem Krieg ein gut gehendes Geigenbau- und Tonholzgeschäft geführt. Für einen Neuanfang ließ sich die Familie schließlich in Oberau bei Garmisch nieder. "Leider hat es dann nicht so geklappt, wie mein Vater es sich vorgestellt hat", erinnert sich dessen Sohn. Denn wie sollte sich der Spätheimkehrer beruflich etablieren, wenn ihm das hierfür das nötige Klangholz fehlt?

Im Geigenbau können nur alte, abgelagerte Hölzer verwendet werden. In der Regel reichen zirka zehn Jahre, wobei eine längere Zeit vorteilhaft ist. Für den Korpus werden vorwiegend zwei Holzarten verarbeitet: Bergahorn für den Boden, die Zargen und den Steg, Gebirgsfichte für die Decke. Die Teile für Decke und Boden werden meistens wie Tortenstücke im sogenannten Spiegelschnitt herausgeschnitten. Durch diese Bearbeitung stehen die Jahresringe senkrecht zur Grundfläche, was eine lange Widerstandskraft gegen Saitenzug und Stegdruck gewährleistet.

Auf der Suche nach geeignetem Holz wurde Franz Fuchs in der zerbombten Landeshauptstadt fündig, in den Trümmern des Liebfrauendoms. Die gewaltigen Holzbalken, jahrhundertelang durch die Glocken in Schwingung versetzt, erschienen ihm besonders geeignet. Schließlich erhielt Fuchs als einziger Handwerker die urkundlich bestätigte Genehmigung zur Verwendung einer Fuhre Holz aus dem Kirchengebälk. Dies erregte indes den Ärger notleidender Münchner, die im eiskalten Januar 1946 selbst Holz dringend zum Heizen benötigt hätten. Der Streit sei schließlich so eskaliert, "dass eine alte Frau meinen Vater mit den Worten ,Du sollst mit diesem Holz niemals glücklich werden' verflucht hat", erinnert sich dessen Sohn. Franz Fuchs ließ sich von dem Fluch zunächst nicht beirren, denn auch bei ihm und seiner Familie ging es ums Überleben.

Die etwa 40 Geigen, die er in den folgenden Jahren bauen ließ, verfügen über den typisch-weichen Ton, wie ihn nur Meisterhände zu schaffen vermögen. Im Nachlass seines Vaters habe er einige Dankesbriefe gefunden, unter anderem von einem Kunden, der die "außergewöhnliche Tonfülle und ihre Klangfarbe ähnlich wie bei den besten Exemplaren klassischer Früh-Italiener" lobt, berichtet Gerald Fuchs. Nicht ohne Stolz verweist Fuchs auf einen Blindtest in der Musikakademie, bei der eine der Geigen seines Vaters klanglich mit einer Stradivari verwechselt worden sei. Die hervorragende Güte des Domholzes sei auf die mehr als 500-jährigen Zeit als Dachstuhl zurückzuführen, weswegen sein Harz vollständig auskristallisiert und damit sehr schwingungsfördernd ist. Nach alten Dokumenten waren die Fichten Ende des 15. Jahrhundert in der Gegend um Lenggries geschlagen und auf der Isar nach München transportiert worden.

Doch der Erfolg des Vaters war nur von kurzer Dauer. Die Menschen in der Nachkriegszeit plagten andere Sorgen und Probleme. 1947 hatten die Kunden für eine Domholzgeige zwischen 200 bis 700 Mark zu zahlen. Der Erlös aus dem Verkauf der ersten Geigen musste der Flüchtlingsfamilie zum Lebensunterhalt reichen. Zudem wurden die Miete für Werkstatt und Werkzeuge fällig. Ein paar verkaufte Instrumente waren als Startkapital für eine eigene Werkstatt zu wenig. An Material mangelte es nicht, aus dem noch verbliebenen Holz der Frauenkirche hätte Fuchs gut 200 Geigen bauen können. Eine Zusammenarbeit im größeren Umfang mit Berufskollegen sei indes aufgrund von Konkurrenzdenken und Angst vor Neuem nicht zustande gekommen. Auch die Tonholzhändler hätten einen Ankauf des Domholzes aus verschiedenen Gründen abgelehnt. Das Geschäft mit den Domgeigen stagnierte bis es schließlich ganz einschlief. "Muss man da nicht unwillkürlich wieder an den Fluch der alten Frau denken?", fragt Gerald Fuchs nachdenklich.

Anders als seine Kollegen hat Reinhard Bönsch Experimentierfreudigkeit bewiesen. Auf Bestellung von Gerald Fuchs baute der in Mark Neukirchen in Thüringen ansässige Geigenbauer Anfang der 1990er Jahre weitere Geigen aus Domholz nach dem Vorbild des inzwischen verstorbenen Vaters. Damit wollte sich der Indersdorfer einen Herzenswunsch erfüllen: ein Konzert nur mit Domholzgeigen. Übrigens hat er sich diesen Begriff auch schützen lassen. Aber erst im vergangenen Jahr wurde sein Traum durch einen glücklichen Zufall wahr. Fuchs wurde Ruth-Maria Ostermann vorgestellt, Tontechnikerin beim Bayerischen Rundfunk und passionierte Geigerin. Der Kontakt kam durch deren Vater Michael Ostermann zustande, Komponist und zeitweilig Chorleiter beim Gesangverein Indersdorf, dem Gerald Fuchs viele Jahre vorstand.

Die junge Frau war bereit, ein Ensemble ins Leben zu rufen, um die Domholzgeigen wieder zum Leben zu erwecken. Nach neuer Besaitung und wochenlanger Einspielzeit war es endlich soweit: das neugegründete Geigentrio Ruth-Maria Ostermann, Judith Altmann und Andreas Mittler hat die Domholzgeigen in der Öffentlichkeit wieder zum Klingen gebracht - am Ort ihres Ursprungs, bei einem Gottesdienst in der Münchner Frauenkirche im Herbst 2012. Der Herzenswunsch von Gerald Fuchs hat sich erfüllt, der Kreis war geschlossen.

Ein gewaltiges Balkenstück aus dem Dachstuhl, das sein Vater unbearbeitet belassen hat, will der Indersdorfer der Dompfarrei in München schenken. Die vorgefertigten Holzsegmente (Rohlinge) hat die Familie Fuchs an einem sicheren Ort ausgelagert. Zum Schluss gesteht Gerald Fuchs: "Mein nächster Traum wäre ein echtes Quartett aufzubauen: zwei Violinen, eine Bratsche und ein Cello - gebaut aus Domgeigenholz". Zur Finanzierung seines Traumes müssten allerdings ein oder mehrere Käufer für die Rohlinge gefunden werden.

© SZ vom 26.08.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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