Frankreich:Rente mit 62 bleibt

Trotz großer Finanzlöcher in der Rentenkasse: Frankreichs Premier Ayrault schließt eine Anhebung des Ruhestandsalters aus. Lieber möchte er Steuern und Sozialabgaben erhöhen. Davor warnt die EU-Kommission.

Von Christian Wernicke, Paris

Trotz massiver Defizite in Frankreichs Rentenversicherung will die sozialistische Regierung weder die gesetzliche Altersgrenze erhöhen noch die Renten einfrieren. Auch eine weitere Verlängerung der gesetzlichen Lebensarbeitszeit zur Erlangung der Vollrente - derzeit 41 Jahre Berufstätigkeit - sei nicht geplant, versicherte Premierminister Jean-Marc Ayrault am Montag in Gesprächen mit Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden.

Stattdessen will die Regierung die Finanzlöcher in den Rentenkassen, die im Jahr 2020 auf 20 Milliarden Euro anwachsen könnten, durch höhere Steuern und Sozialabgaben schließen. Erst am Wochenende hatte die EU-Kommission gewarnt, die Steuerlast in Frankreich habe bereits jetzt "ein fatales Niveau" erreicht.

Präsident François Hollande und Premier Ayrault möchten soziale Einschnitte vermeiden, weil die Gewerkschaften andernfalls mit einem "heißen Herbst" gedroht haben. Vor drei Jahren hatte die konservative Vorgängerregierung des damaligen Präsidenten Nicolas Sarkozy mit einer Rentenreform Massenproteste ausgelöst. Die Sozialisten, die Sarkozy heftig kritisiert hatten, wollen dessen Kürzungen inzwischen zwar fortschreiben. Einen weiteren Abbau lehnen sie trotz neuer Defizite aber ab.

Franzosen missbilligen Ungleichbehandlung

Franzosen dürfen derzeit mit 60 Jahren in Rente gehen, bis zum Jahr 2017 wird diese Schwelle in Etappen auf 62 Jahre steigen. Angestellte von Staatsbetrieben sowie viele Beamte, für die gesonderte Rentenkassen existieren, gehen häufig schon mit 55 oder 57 Jahren in Pension. Zudem erhalten sie deutlich höhere Renten: Ihre Ruhegelder werden auf der Basis der sechs letzten Monatsgehälter berechnet, während in der Privatwirtschaft der Einkommensdurchschnitt der letzten 25 Jahre zugrunde gelegt wird. Laut Umfragen missbilligen drei Fünftel der Franzosen diese Ungleichbehandlung, die von den Gewerkschaften vehement verteidigt wird.

Eine von der Regierung eingesetzte Expertenkommission hatte erst im Juni empfohlen, die Lebensarbeitszeit der Franzosen schrittweise zu verlängern. Dazu sollte die Zahl der für eine Vollrente erforderlichen Beitragsjahre auf 44 Jahre steigen. Auch dieser Vorstoß scheint vom Tisch zu sein. Premierminister Ayrault ließ zunächst offen, wie die Regierung die Finanzlücke schließen will. Die geplante Erhöhung der französischen Sozialsteuer um einen Prozentpunkt, die elf Milliarden Euro im Jahr erbringen würde, stößt in Teilen der Gewerkschaften, bei Unternehmern und der Opposition auf Widerstand.

Die Regierung erwägt nun, die Sozialabgaben und insbesondere den Arbeitgeberanteil zu erhöhen. Vorige Woche hatte zudem der grüne Umweltminister Philippe Martin erklärt, die Regierung plane, eine Klimasteuer einzuführen. Mit einer Quote von fast 45 Prozent des Bruttoinlandsprodukts hat Frankreich die dritthöchste Steuer- und Abgabenbelastung der EU. Brüssels Finanzkommissar Olli Rehn mahnte in der Zeitung Le Journal du Dimanche, neue Steuern könnten "das Wachstum bremsen und die Schaffung von Jobs behindern."

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