Studie des Allensbach-Instituts:Gefühlte Gleichberechtigung

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"Besonders skeptisch werden (...) die Chancengleichheit bei der Entlohnung bewertet, sowie die Möglichkeiten, Karriere zu machen", schreibt Renate Köcher, die Chefin des Allensbach-Instituts in ihrer Analyse

(Foto: iStock)

Dass Männer und Frauen in der Bundesrepublik weitgehend gleichberechtigt sind, denkt einer aktuellen Umfrage zufolge nur ein Drittel der Deutschen. Vor allem die Frauen sehen mehr Handlungsbedarf als in den vergangenen Jahren. Daraus zu schließen, dass die Lage sich verschlimmert, wäre aber falsch.

Von Felicitas Kock

Es muss noch viel getan werden, bis Mann und Frau in der Bundesrepublik gleichberechtigt sind - darin sind sich laut einer Studie des Allensbach-Instituts für das politische Frauenmagazin Emma 54 Prozent der Deutschen einig. Für den im Vergleich zu den beiden Vorjahren leicht angestiegenen Wert sind vor allem die Frauen selbst verantwortlich: Zwei Drittel der weiblichen Bevölkerung sehen Handlungsbedarf, bei den Männern sind es dagegen nur 41 Prozent.

"Besonders skeptisch werden (...) die Chancengleichheit bei der Entlohnung bewertet, sowie die Möglichkeiten, Karriere zu machen", schreibt Renate Köcher in ihrer Analyse. Laut der Chefin des Allensbach-Instituts sehen die Befragten die Gründe für die Benachteiligung im Beruf vor allem in der mangelnden Vereinbarkeit von Karriere und Familie. Viele würden sich deshalb mehr zeitliche Flexibilität wünschen, sowohl von Seiten der Arbeitgeber, als auch von Seiten der Kinderbetreuungseinrichtungen. Auch speziell an Frauen adressierte Förderprogramme stehen laut Köcher hoch im Kurs. Betont wird in der Auswertung der Umfrageergebnisse außerdem, dass viele Frauen es heute mehr als in den vergangenen Jahren wichtig finden, sich zu organisieren, um ihre Interessen durchzusetzen - zumal sich viele von der Politik nicht ausreichend vertreten fühlen.

Die Zahl derer, die die Gleichberechtigung in Deutschland als "weitgehend verwirklicht" betrachten, ist dementsprechend seit 2011 gesunken: Von 42 auf 36 Prozent. Doch woher kommt dieser Rückgang? Warum glauben gegenwärtig weniger Menschen, dass Männer und Frauen gleichgestellt sind?

Tatsächliche und gefühlte Gleichberechtigung

Mit einer tatsächlichen Veränderung im Vergleich von Männern und Frauen hat das wenig zu tun, zeigen die Zahlen. Zwar verdienen Frauen immer noch deutlich schlechter als viele ihrer männlichen Kollegen - bei den mittleren Einkommen beträgt der Unterschied laut einer OECD-Studie 22 Prozent; und auch bei der Zahl der Frauen in Spitzenpositionen schneidet Deutschland im internationalen Vergleich schlecht ab. Doch blickt man zurück auf die neunziger oder Nullerjahre, wird deutlich, dass heute weit mehr Frauen einen Universitätsabschluss machen und dass Erwerbstätigkeit und Durchschnittseinkommen gestiegen sind. Während die tatsächliche Gleichberechtigung in den vergangenen Jahrzehnten kontinuierlich gewachsen ist, gibt es bei der gefühlten Gleichberechtigung deutliche Schwankungen.

"Das hängt vor allem mit der Aufmerksamkeit zusammen, die das Thema als solches in der Öffentlichkeit bekommt", sagt die Gleichstellungsexpertin Sabine Berghahn, die an der Freien Universität Berlin forscht und unterrichtet. Gleichstellungspolitik könne nahezu alle Lebensbereiche betreffen. Gleichzeitig gerate sie aber schnell ins Hintertreffen, wenn andere aktuelle politische Themen in den Vordergrund rückten. Auf lange Sicht sei es "keineswegs so, dass das Gleichziehen von Frauen bei Bildung und beruflicher Ausbildung sowie die steigende Frauenerwerbsquote dazu führen, dass Frauen den Stand der Gleichberechtigung zunehmend positiver bewerten", schreibt auch Allensbach-Chefin Renate Köcher in der aktuellen Emma.

Sexismus-Debatte und Frauenquoten-Kontroverse

Mitte der neunziger Jahre und um die Jahrtausendwende waren noch um die 60 Prozent der Deutschen der Meinung, dass ein umfassendes Engagement für die Gleichberechtigung notwendig sei. 1998 wurden SPD und Grüne an die Spitze gewählt, zwei Parteien, die schon zum damaligen Zeitpunkt über eine Frauenquote für Ämter und Mandate verfügten. Außerdem war der Begriff des "Gender Mainstreaming" in aller Munde, die Gleichstellung von Mann und Frau in allen Lebensbereichen. Mitte 1999 erkannte das Kabinett dieses Gender Mainstreaming als Leitprinzip der Bundesregierung an - und erhöhte damit noch einmal die Aufmerksamkeit für bestehende Ungleichheiten. Dementsprechend fielen die Ergebnisse der Allensbach-Umfrage aus: 62 Prozent der Bevölkerung sahen im Jahr 2000 Handlungsbedarf in Sachen Gleichberechtigung.

Obwohl sich in der gesellschaftlichen Realität wenig änderte, fiel der Wert 2001 drastisch auf 49 Prozent, auch in den darauffolgenden Jahren sollte das Thema Gleichberechtigung nur noch eine untergeordnete Rolle spielen. "Die Agenda 2010 und Hartz IV haben in dieser Zeit die öffentliche Diskussion geprägt, für Gleichstellungspolitik war da recht wenig Platz", erklärt Sabine Berghahn.

Ein ähnlich hoher Kritik-Wert (61 Prozent) wie 2000 wurde erst 2008 wieder erreicht, als Deutschland nicht nur das fünfzigjährige Bestehen des Gesetzes über die Gleichberechtigung von Mann und Frau feierte, sondern auch den Equal Pay Day einführte und angeregt über Alice Schwarzers Kritik am "neuen Wellness-Feminismus" diskutierte. Die Kritik überwog in diesem Jahr deutlich, sie bleibt aber nicht lange erhalten, sondern verflacht - womöglich im Angesicht der Wirtschaftskrise.

Prägend: die Sexismus-Debatte

Es brauchte den #Aufschrei und eine neue Debatte über die Frauenquote, um das Thema Gleichberechtigung erneut in die Köpfe zu bringen. Im Januar 2013 hatte die Journalistin Laura Himmelreich im Stern ihr umstrittenes Porträt über FDP-Spitzenkandidat Rainer Brüderle veröffentlicht, in dem sie den Sexismus im Berliner Politbetrieb kritisierte. Wenig später ging im Internet der Hashtag #Aufschrei viral. Die Sexismus-Debatte, die sich daraus entwickelte, zog sich über mehrere Monate und wurde in sämtlichen Medien aufgegriffen.

Im April rückte der Fokus dann erneut auf die Frauenquote für Aufsichtsräte, weil im Bundestag darüber abgestimmt wurde. Der Abstimmung ging eine öffentlich ausgetragene, heftige Kontroverse zwischen Befürwortern und Gegnern einer festen Quote voraus, die sich unter anderem quer durch die CDU zog - und am Ende wurde die Quote abgelehnt, obwohl kurioserweise eigentlich eine Mehrheit dafür ist. Kein Wunder also, dass derzeit mehr als jeder zweite Deutsche bei der Gleichberechtigung Handlungsbedarf sieht.

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