Deutschland und der Krieg:Das restaurierte Tabu

Deutschland und der Krieg: Kanzlerin Merkel und Verteidigungsminister de Mazière in Afghanistan

Kanzlerin Merkel und Verteidigungsminister de Mazière in Afghanistan

(Foto: AFP)

Deutschlands Regierung und Opposition sind sich einig, dass ein Militärschlag in Syrien vermieden werden soll. Wenn er doch kommt, gilt: ohne uns. Es ist eine Art innenpolitisches Stillhalteabkommen zu einem Thema, dessen Wirkung auf den Wahlkampf schwer kalkulierbar ist. Es ist bedauerlich, dass die schwarz-gelbe Regierung nicht über die deutsche Rolle in der Welt diskutiert.

Ein Kommentar von Nico Fried, Berlin

Es ist ein Fernsehereignis, das der politisch interessierte Mensch nicht verpassen sollte. Es zeigt Verantwortliche unter dem Druck, keinen Fehler zu begehen. Es dokumentiert, was Politik in letzter Konsequenz bedeutet und aus Menschen macht. Die Sendung heißt "Eine mörderische Entscheidung", und es geht nicht um das TV-Duell am Sonntag, sondern um einen Film über das Bombardement von Kundus, der nächste Woche noch einmal in der ARD zu sehen ist.

Auf Anforderung eines deutschen Offiziers bombardierten US-Piloten im September 2009 zwei von Rebellen gestohlene Tanklastwagen. Dutzende Menschen starben, Aufständische, Zivilisten, Frauen und Kinder. Der Angriff von Kundus ist zum Symbol für all den Schrecken geworden, den die Deutschen, die den Zweiten Weltkrieg nicht mehr erlebt haben, heute mit Kriegen verbinden, an denen Deutschland beteiligt ist - auch wenn die nun militärische Interventionen heißen und nur noch jenseits eigener Grenzen geführt werden. Gewalt, Tod, Schuld, die Angst um die Soldaten - und am Ende die Frage: Hat es überhaupt etwas gebracht?

Der Einsatz in Afghanistan steht für die äußerste Konsequenz dessen, was der damalige Kanzler Gerhard Schröder die Enttabuisierung des Militärischen nannte: die Bereitschaft zur Gewalt als politischem Mittel. Weiter gingen die Deutschen nicht. In der Auseinandersetzung um den Irak-Krieg setzte schon die rot-grüne Regierung selbst das Stopp-Schild. Und eine von der Union geführte Regierung organisiert jetzt den Abzug aus Afghanistan, hat aber auch das Ausscheren aus der Bündnissolidarität in der Libyen-Krise zu verantworten und ist Teil des Kollektivversagens im Umgang mit Syrien.

Retabuisierung des Militärischen

Die Deutschen und das Militärische, das ist entgegen der Befürchtungen mancher historisch leidgeprüfter Nachbarn nie wieder jene symbiotische Beziehung geworden, wie sie es in der Vergangenheit war. Im Gegenteil. Die Kriege, an denen Deutschland beteiligt war, wurden nicht mit dem Rückhalt klarer Mehrheiten geführt. Stattdessen gab es für das Nein zum Irak-Krieg im Volk breite Unterstützung. In der Syrien-Krise sind, je nach Umfrage, mal etwas mehr, mal etwas weniger als die Hälfte der Befragten für einen Militärschlag. Die deutsche Beteiligung aber lehnt eine große Mehrheit ab.

Angela Merkel und Guido Westerwelle haben die Skepsis in vier Regierungsjahren dankbar aufgegriffen und Auslandseinsätze in einer Weise gemieden, die manchem Verbündeten als zu enthaltsam erschien. Aus der Enttabuisierung ist längst eine Retabuisierung des Militärischen geworden, darüber kann auch ein Patriot-Abwehrsystem in der Türkei nicht hinwegtäuschen. Es ist bedauerlich, dass diese Regierung die rot-grünen Erfahrungen nicht genutzt hat, um eine Diskussion über die deutsche Rolle in der Welt fortzusetzen. Stattdessen wurde in aller Stille abgewickelt.

Merkel hat dabei durchlaufen, was ihr Herausforderer Peer Steinbrück gerne eine Lernkurve nennt. Die nahm ihren Anfang in der Irak-Krise und der völligen Fehleinschätzung deutscher Befindlichkeiten, einschließlich derjenigen in der eigenen Partei. Sie endete in der deutschen Enthaltung zu Libyen. Bei Guido Westerwelle steckt hinter seinem Lieblingsbegriff von der "Kultur militärischer Zurückhaltung" der Versuch, den Genscherismus aus der Zeit des Kalten Krieges in eine völlig andere Welt zu kopieren.

Innenpolitisches Stillhalteabkommen

Das Giftgas von Damaskus konfrontiert die Deutschen mit einem Ereignis, das in mancher Hinsicht mit dem Massaker von Srebrenica zu vergleichen ist. Nach Jahren des Krieges in Bosnien konnte die Weltgemeinschaft 1995, vertreten durch überforderte Blauhelm-Soldaten, 8000 Menschen nicht vor ihren Mördern schützen. Jetzt ist Ähnliches in Syrien geschehen, wo Hunderte, womöglich mehr als tausend Menschen einem barbarischen Giftgasangriff zum Opfer fielen.

Srebrenica war für die deutsche Politik der Beginn eines Umdenkens. Das "Nie wieder", die Verpflichtung aus der Geschichte, wandelte sich von der Begründung der Zurückhaltung zu einem Imperativ des Handelns. "Nie wieder Auschwitz" wurde zu einem Motiv für den Krieg in Kosovo, der Satz "Nichts wird mehr sein, wie es war" nach dem 11. September 2001 zum Ausgangspunkt einer neuen Aufstellung, politisch wie militärisch. Darüber freilich wurde auch in einer Weise gerungen, an der das Land gereift ist. Doch solche intensiven Debatten, verbunden womöglich mit einem persönlichen Risiko, führt Angela Merkel nicht.

Mit den Kriegen in Bosnien und Kosovo ist eine Stabilisierung erreicht worden, in Afghanistan gelang das nur sehr begrenzt. Trotzdem hatten alle drei Interventionen ihre Berechtigung. Es waren keine falschen Kriege, aber mit keinem davon hatte man eben so umfassend recht wie mit dem, an dem man sich nicht beteiligte: der Irak-Krieg, der auf Lug und Trug basierte, das Land nicht befriedete und eine ganze Region so destabilisierte, dass davon heute auch die Möglichkeiten zu einem Einschreiten in Syrien beeinträchtigt sind. George W. Bush hat mit diesem Krieg den amerikanischen Interessen auch deshalb schwer geschadet, weil es Regierungen wie der deutschen seither viel leichter fällt, die Ablehnung alles Militärischen zu legitimieren.

Ohne uns

Regierung und Opposition in Berlin sind sich nun einig, dass ein Militärschlag in Syrien vermieden werden soll. Wenn er doch kommt, gilt: ohne uns. Es ist eine Position im Sinne der Mehrheiten, vor allem aber eine Art innenpolitisches Stillhalteabkommen zu einem Thema, dessen Wirkung auf den Wahlkampf schwer kalkulierbar ist. Nur eines ist die Position nicht: frei von eklatanten Widersprüchen.

Angela Merkel zum Beispiel war schnell mit der Forderung nach Konsequenzen, den Vollzug aber überlässt sie im Zweifel anderen. Die Bundesregierung beruft sich auf internationales Recht, wonach der Einsatz von Giftgas nicht folgenlos bleiben könne, winkt aber gleich mit dem nationalen Recht, wenn es darum geht, die eigenen Leute rauszuhalten. Auf der anderen Seite klingt das Wort des Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück, wonach 100 Stunden Verhandeln besser seien als eine Minute Schießen, fast zynisch angesichts von mittlerweile mehr als 10.000 Stunden Bürgerkrieg und mehr als 100.000 Toten.

Wer jetzt auf Verhandlungen setzt, müsste zudem nach eineinhalb Jahren Krieg wissen, dass sie überhaupt nur dann endlich Erfolg haben können, wenn die militärische Option gerade nicht vom Tisch genommen wird. Auch die deutsche Politik muss also auf ein Druckmittel setzen, das sie eigentlich ablehnt. Das aber sollte nicht die letzte Lehre sein, die man aus den letzten 18 Jahren gezogen hat.

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