Fakten-Check:Wo Seehofer und Ude nicht ganz richtig lagen

Christian Ude, Horst Seehofer, TV-Duell Bayern

Stimmen die Fakten? Ministerpräsident Horst Seehofer (li.) und sein Herausforderer von der SPD, Christian Ude.

(Foto: Peter Kneffel/dpa)

Wahrheit oder Schönfärberei? SZ-Autoren prüfen zentrale Aussagen von Ministerpräsident Seehofer von der CSU und SPD-Herausforderer Ude beim TV-Duell zur Landtagswahl auf ihre Faktentreue. Stimmt alles so, wie es die beiden Politiker behaupten?

Von Ingrid Fuchs, Oliver Klasen, Birgit Kruse und Christian Sebald

Wahrheit oder Schönfärberei? SZ-Autoren prüfen einige zentrale Aussagen von Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) und Herausforderer Christian Ude (SPD) beim TV-Duell zur Landtagswahl. Stimmt alles so, wie es die beiden Kandidaten im Fernsehen behaupten?

PKW-MAUT

Seehofer: "Die Maut muss kommen und wird kommen. 88 Prozent der Bayern sind dafür."

Das will Seehofer: Reisende aus dem Ausland sollen auf deutschen Autobahnen künftig eine Maut zahlen. Die Einnahmen sollen zweckgebunden sein und ausschließlich für den Straßenbau eingesetzt werden dürfen. Während die Deutschen über die Kfz-Steuer die Autobahngebühr bezahlen und mit dem Steuerbescheid automatisch die Vignette zugeschickt bekommen, sollen Ausländer diese kaufen müssen. So sieht es der Bayernplan von Horst Seehofer vor.

Der CSU-Chef hat eine Wiederauflage der schwarz-gelben Koalition in Berlin an die Einführung seiner Maut geknüpft. Dabei lässt er sich nicht von europapolitischen Bedenken abschrecken - die Seehofer-Maut würde eine wirtschaftliche Diskriminierung von EU-Bürgern innerhalb der Union bedeuten. Rechtsexperten und die EU-Kommission halten sie deshalb nicht durchsetzbar.

Das klare Nein von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) in ihrem TV-Duell beeindruckt Seehofer auch nicht. Er baut auf ihre Aussage, dass man auch bei strittigen Themen bisher immer eine Lösung gefunden habe. Neben der Unterstützung des stellvertretenden CDU-Bundesvorsitzenden und hessischen Ministerpräsidenten Volker Bouffier sieht Seehofer auch eine Mehrheit der Bevölkerung hinter sich. 88 Prozent der Bürger seien für eine Maut, wenn nur Ausländer belastet würden. Das hat eine TNS-Umfrage ergeben, auf die die CSU selbst auf ihrer Homepage verweist.

Allerdings sind bei dieser Umfrage nur bayerische Bürger befragt worden. Eine bundesweite Emnid-Umfrage im Auftrag des Focus hat im Juli ergeben, dass 56 Prozent der Befragten für eine Pkw-Maut sind, wenn sie nur für Ausländer gilt. Allerdings halten 72 Prozent eine solche Maut für unwahrscheinlich. Eine Maut, die deutsche und ausländische Autofahrer gleichermaßen belasten würde, findet nur bei 40 Prozent der Befragten Zustimmung.

Der ADAC ist gegen eine Einführung der Maut und rechnet vor, "dass der Anteil ausländischer Pkw auf deutschen Autobahnen bei nur fünf Prozent liegt". Deren Mautzahlungen würden demzufolge nicht mehr als 225 Millionen Euro zusätzliche Einnahmen pro Jahr bringen. Für die notwendigen Investitionen in die Straßeninfrastruktur sind nach Berechnungen des Automobilclubs allerdings 7,5 Milliarden Euro jährlich erforderlich.

BILDUNG

Seehofer: "Bei allen Bildungsvergleichen liegt Bayern an erster Stelle."

Eine Aussage, die größtenteils richtig ist. Wenn man die Ergebnisse des nationalen Schultests der Bundesländer zugrundelegt, der 2009 abgehalten und im Jahr darauf veröffentlicht wurde, dann liegt Bayern tatsächlich in sämtlichen, damals überprüften Kategorien insgesamt vorne. Bei den Daten, die damals das Berliner Institut zur Qualität im Bildungswesen erhoben hat, ging es um die Schulleistungen der Neuntklässler in Deutsch sowie in der ersten Fremdsprache. Untersucht wurden die Leseleistungen, die Rechtschreibfähigkeiten und das Zuhören in Deutsch. In Englisch wurde Lese- und Hörverstehen geprüft.

Betrachtet man allerdings nur die neunten Klassen der Gymnasien, dann sind andere Bundesländer ähnlich gut. So sind die saarländischen Gymnasiasten in Deutsch in den Kategorien Zuhören und Rechtschreibung sogar minimal besser als die Bayern. Die Schüler in Baden-Württemberg liegen in der Kategorie Zuhören auf Platz 1, vor dem Saarland und vor den Bayern.

Seehofer: "Es gibt in 83 Prozent der Schulen ein Ganztagsangebot"

Noch so ein Thema, das die CSU den Sozialdemokraten einfach stibitzt hat: Die Ausweitung des Ganztagsangebots an sämtlichen allgemeinbildenden Schulen in Bayern. Um alle Forderungen der Opposition gleich im Keim zu ersticken, hat Horst Seehofer in sein Wahlprogramm kurzerhand eine "Ganztagsgarantie" aufgenommen: Bis 2018 soll jeder Schüler bis zu einem Alter von 14 Jahren ein Ganztagsangebot wahrnehmen können. Doch wie steht es aktuell?

Noch Mitte Januar klang Kultusminister Ludwig Spaenle viel zurückhaltender als jetzt Seehofer. Da sagte er noch, dass die Staatsregierung den Ausbau zwar vorantreiben wolle, die traditionelle Halbtagsschule aber der Regelfall bleiben solle. Bis Ende 2014 soll es an 90 Prozent aller allgemeinbildenden Schulen Ganztagsangebote geben. Laut Spaenle gab es im Januar an 78 Prozent der Schulen entsprechende Angebote - neun Monate später hat sich die Quote offenbar bereits um fünf Prozent erhöht. Woher diese Zahl stammt? Unbekannt. Offizielle Zahlen liegen bislang nur für das Schuljahr 2012/2013 vor - nicht aber, für das am 12. September beginnende Schuljahr 2013/2014.

Fakt ist dagegen, dass noch immer ein Großteil der Kinder nicht von diesen Angeboten zu profitieren scheint. Eine Studie der Bertelsmann-Stiftung bezieht sich zwar auf das Schuljahr 2011/2012, dennoch lassen sich aus dem Verhältnis zwischen dem Ausbau des Ganztagsangebots und der Schüler in Ganztagsangeboten Schlüsse ziehen. Demnach habe es in Bayern an 45,2 Prozent aller staatlichen und 46,1 Prozent aller privaten Schulen Ganztagsangebote gegeben. Genutzt wurden diese aber nur 10,5 Prozent der Schüler an staatlichen beziehungsweise 11,4 Prozent aller Schüler an privaten Schulen. Das entspricht laut der Studie zwar einer Steigerung von 8,6 Prozent im Vergleich zum vorangegangen Schuljahr, mickrig scheinen die Zahlen trotzdem. Bayern ist zumindest in dieser Auflistung das Schlusslicht. Was das über die 83 Prozent aussagt - schwer zu deuten.

MINDESTLOHN

Seehofer: "Von den elf Mindestlöhnen, die es gibt, ist einer 1996 unter Helmut Kohl beschlossen worden, die anderen kamen unter Angela Merkel. Unter Rot-Grün ist kein einziger beschlossen worden."

Damit hat Horst Seehofer nicht Unrecht. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales listet "Mindestlöhne im Sinne des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes" für zehn Branchen auf, etwa für Bau, Pflege oder Dachdecker. Am 1. August kam noch die Regelung für die Friseur-Branche hinzu. Die meisten dieser Tarifabschlüsse sind tatsächlich erst in den vergangenen Jahren abgeschlossen worden. Das aber als Leistung von Angela Merkel und der schwarz-gelben Koalition darzustellen, ist von Seehofer nicht ganz sauber.

In Deutschland hängt die Einführung von Mindestlöhnen (bislang) nicht von politischen Beschlüssen ab. Der Impuls muss nach wie vor von den jeweiligen Arbeitsgeberverbänden und Gewerkschaften der einzelnen Branchen ausgehen, das besagt die geltende Tarifautonomie. Erst wenn diese sich festgelegt haben, greift die Bundesregierung im Sinne der Arbeitnehmer ein - zumindest in manchen Fällen. Nämlich dann, wenn die Tarifverträge für die ganze Branche als allgemeinverbindlich erklärt werden, sprich: Wenn der Mindestlohn per Gesetz verordnet wird und für alle Arbeitsverhältnisse gleichermaßen gilt. Als Leistung der noch amtierenden Bundesregierung lassen sich die jüngst eingeführten Mindestlöhne also nicht verkaufen.

Ude und Seehofer wollen beide Schuldensenker sein

SCHULDEN

Ude: "Am Ende der jetzigen Regierung gibt es neun Millarden Euro mehr Schulden als 2008. Anders habe ich es in München gemacht. Für die Stadt ist der Schuldenstand heute geringer als im Jahr 1987."

Bei dieser Aussage hat Christian Ude wohl ein wenig geflunkert, zumindest hat er die Zahlen zu seinen Gunsten ausgelegt. Tatsächlich steht Bayern heute schlechter da als zum Amtsantritt der schwarz-gelben Koalition im Herbst 2008, die Gesamtverschuldung ist um ein Drittel gestiegen. Unterm Strich hat sich der Schuldenstand des Freistaats um acht Milliarden erhöht - eine Milliarde weniger als Ude behauptet hat. Woher die Schulden kommen: Die Staatsregierung musste zehn Milliarden Euro Kredite aufnehmen, um die BayernLB vor der Pleite zu retten. Zwei Milliarden Euro sollen davon getilgt werden - bis zum Jahresende. Dieses Ziel scheint realistisch.

Für die Zahlen von München hat es Ude umgekehrt gemacht: Den Schuldenstand von 1987 hat die Stadt aktuell nämlich noch nicht erreicht - wenn man es so genau nimmt wie Ude selbst. Tatsächlich kann München derzeit Schulden zurückzahlen. Der Grund: Die Landeshauptstadt steuert bei den Gewerbesteuereinnahmen auf einen Rekord zu. Die gute Haushaltslage wirkt sich direkt auf die Schulden aus. Bislang hat die Kämmerei 47 Millionen Euro getilgt, bis Silvester sollen insgesamt 225 Millionen Euro zurückgezahlt werden. Damit wäre dann der Stand von 1987 erreicht.

WINDKRAFT

Ude: "Seehofer entzieht der Windkraft den Boden, weil durch seine Pläne für größere Abstände zwischen Wohnsiedlungen und Windrädern der Ausbau der Windkraft behindert wird."

Tatsächlich sagen alle Fachleute, dass die Abstandsformel 10 (das Zehnfache der Höhe des jeweiligen Windrads), welche Windkraftkritiker in Unterfranken fordern, den Ausbau der Windkraft in Bayern faktisch stoppen würde.

Ob sie aber kommt, ist denkbar ungewiss. Zwar hat Seehofer mehrfach seine Sympathie mit der Forderung bekundet, und die Staatsregierung hat zusammen mit dem sächsischen Kabinett eine Bundesratsinitiative für eine entsprechende Öffnung des Bundesbaugesetzbuches gestartet. Aber viele Fachleute sagen, dass die Erfolgschancen der Initiative sehr gering sind.

Von einer planlosen "Verspargelung" Bayerns, die Seehofer offenbar mit den Windkraftkritikern befürchtet, kann übrigens nicht die Rede sein. Im Gegenteil: Die bisherigen Planungsgrundlagen der Staatsregierung (Windkrafterlass und Gebietskulisse Windkraft) gelten in Fachkreisen als großer Fortschritt für den geplanten Ausbau mit etwa 1500 Windrädern. Im Übrigen ist die Zustimmung der Bevölkerung zur Windkraft extrem hoch. Nach der SZ-Wahlumfrage sagen 79 Prozent der bayerischen Wahlberechtigten, dass Windräder das Landschaftsbild nicht beeinträchtigen.

ATOMKRAFT

Ude: "Seehofer spricht sich nicht strikt genug gegen eine Leistungsausweitung des Atomkraftwerks Gundremmingen aus. Damit lässt er für die Nutzung der Atomkraft eine Hintertür offen. Seehofer bestreitet das und sagt, die Entscheidung sei Sache des Bundes."

Die Betreiber des AKW Gundremmingen, RWE und Eon, wollen die Leistung der beiden Reaktoren schon seit mehr als zehn Jahren erhöhen, um damit mehr Atomstrom zu produzieren. Bislang wurde über den Antrag nicht entschieden, offenbar weil es auch bei den Genehmigungsbehörden massive Bedenken dagegen gab.

Nach Recherchen des ARD-Politmagazins "Kontraste" soll die Leistungsausweitung nun, wo die beiden Reaktoren 2017 und 2021 abgeschaltet werden sollen, doch noch genehmigt werden. Das bayerische Umweltministerium als Atomaufsichtsbehörde hat demnach den entsprechenden Verordnungsentwurf samt positiven Gutachten bereits an das Bundesumweltministerium geschickt und eine "zügige Durchführung der bundesaufsichtlichen Prüfungen" gefordert.

Außerdem vertagte der Umweltausschuss des Landtags mit den Stimmen der CSU und der FDP eine Entscheidung über eine Petition gegen die Leistungsausweitung. Atomkraftkritiker werfen der Staatsregierung vor, sie wolle RWE und Eon mit der Leistungsanhebung außerplanmäßige Gewinne von wenigstens 90 Millionen Euro ermöglichen.

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