NSU-Prozess:Eine vorbildliche Zeugin - der niemand zuhörte

Mehrere Personen haben in Nürnberg und an anderen Tatorten der NSU-Mordserie zwei Radfahrer beobachtet. Auch die Zeugin, die an diesem Freitag im Prozess gegen Beate Zschäpe und die anderen Angeklagten aussagt. Es wird klar: Die Ermittler sind der Spur im Jahr 2006 nicht mit letzter Konsequenz nachgegangen.

Aus dem Gericht von Annette Ramelsberger und Tanjev Schultz

So wünscht man sich eine Zeugin: Beate K. gibt detailreich Auskunft, sagt aber auch offen, wenn sie sich nicht mehr genau erinnern kann. Vor allem hat sie wirklich etwas Wichtiges beobachtet: zwei Mörder am Tatort. Im NSU-Prozess erzählt die Bäckerei-Verkäuferin von zwei Männern, die mit ihren Rädern in Nürnberg vor einer Dönerbude standen. Es war der 9. Juni 2005, der Tag, an dem der Imbiss-Betreiber Ismail Yasar ermordet wurde. Auch für den Bombenanschlag in der Kölner Keupstraße, genau ein Jahr zuvor, ist K. Aussage äußerst aufschlussreich.

Heute sind sich die Ermittler sicher, dass die NSU-Terroristen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt mit Rädern zum Nürnberger Tatort gefahren sind und Ismail Yasar mit mehreren Kugeln in seiner Dönerbude töteten. Beate K. war damals selbst mit dem Rad unterwegs zur Schule ihres Sohnes, in der sie ein kurzes Gespräch mit einem Lehrer hatte.

Da sieht sie auf der Hinfahrt die beiden Männer, noch nicht am Imbiss, aber in der Nähe. Sie sind vertieft in einen Stadtplan. Die Nürnbergerin will beinahe anhalten, um ihnen zu helfen, überlegt es sich aber anders, weil sie unter Zeitdruck ist. Schlank seien die beiden Männer gewesen, mit Figuren wie ein "Spargeltarzan", eine helle Hautfarbe hätten sie gehabt und dunkle Kleidung, sagt die 47-Jährige. Der eine hatte abstehende Ohren und trug ein "Käppi". K.s Beschreibung passt gut zu Mundlos und Böhnhardt.

Die beiden hätten sehr ähnlich ausgesehen, sagt Beate K. - "wie Zwillinge". Das erklärt vielleicht, weshalb die Zeugin später - im Jahr 2011 - mal Mundlos und mal Böhnhardt auf Vorlagen der Polizei identifiziert. Man kann die beiden leicht verwechseln.

Nach dem Termin in der Schule beobachtet die Zeugin damals die Radfahrer noch ein zweites Mal, diesmal direkt vor der Dönerbude. Einer steckte dem anderen einen Gegenstand, der in eine Plastiktüte gewickelt war und die Form eines Regenschirms hatte, in einen Rucksack. Vermutlich war es die Tatwaffe. Und vermutlich war Ismail Yasar zu dem Zeitpunkt bereits tot.

Mehrere Zeugen hatten Radfahrer beobachtet

Immer wieder ist Beate K. bei der Polizei vernommen worden; auch andere Zeugen in Nürnberg und an anderen Tatorten der bundesweiten Mordserie an Migranten hatten Radfahrer beobachtet. Mit letzter Konsequenz sind die Ermittler dieser Spur aber nicht nachgegangen.

Das zeigen vor allem die Ermittlungen zum Sprengstoffanschlag in Köln, der mittlerweile ebenfalls dem NSU zugerechnet wird. Von dem Anschlag existieren Videoaufnahmen, auf denen zufällig die Täter auftauchen, wie sie Räder in Richtung Tatort schieben. Auf einem Rad ist die Bombe befestigt. Beide Männer sind schlank und tragen Schirmmützen. Mit dem Wissen von heute kann man sie als die NSU-Terroristen identifizieren.

Zeugenaussage abgeschwächt

Beate K. erkennt bereits 2006, als die Polizei ihr das Video vorspielt, die Ähnlichkeit zu den Männern in Nürnberg : "Für mich war das, als ich die Sequenz gesehen hab', eigentlich klar: Das sind die zwei!"

In den Protokollen der Polizei von damals steht, dass sie sich "ziemlich sicher" gewesen sei, einen der Männer oder sogar beide aus dem Video auch am Tatort in Nürnberg gesehen zu haben. Ihre Aussagen bei den Ermittlern waren aber offenbar noch eindeutiger. Die Beamten hätten sie jedoch abgeschwächt, sagt K.

Das hatte bereits im NSU-Untersuchungsausschuss des bayerischen Landtags Irritationen ausgelöst. Ein Ermittler bestätigte dort, dass K. beim Anblick des Videos und eines der Männer gesagt hatte: "Der war es!" Ihre Aussagen seien jedoch etwas umformuliert worden. Dabei habe man nichts beschönigen wollen. Es sei allein um die Klarstellung gegangen, dass es eben keine hundertprozentige Sicherheit gebe.

Die Ermittler waren damals also kurz davor, die Verbindung zwischen der Mordserie und dem Bombenanschlag in Köln zu erkennen. Doch sie haben diesen Ansatz wieder verworfen. Eine Entscheidung, die sich später als fataler Fehler erwies.

Am Ende von K.s Auftritt bleibt der Eindruck: Die Zeugin ist offenbar im Laufe vieler Befragungen durch die Polizei verunsichert und in eine bestimmte Ermittlungsrichtung gedrängt worden. Ihr seien immer und immer wieder Lichtbilder von südländischen Menschen vorgelegt worden, obwohl sie gesagt hatte, dass es sich eher um nordische, vielleicht polnische Verdächtige gehandelt hatte.

Und sie sei gefragt worden, ob sie sich vorstellen könnte, dass die türkische Mafia dahinterstecke, dass es um Waffengeschäfte und Geldwäsche gehe. "Ja, das bin ich gefragt worden", sagte sie. Vorstellen konnte sie sich das aber nicht.

Die Ermittler schon. Sie folgten einer völlig falschen Spur.

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