Neuorganisation des Sicherheitsapparats:"Der Verfassungsschutz wäre dann kein Geheimdienst mehr"

Der Staatsrechtler Hans Peter Bull legt einen radikalen Reform-Vorschlag vor: Die Ämter von Bund und Ländern sollen zu einem wissenschaftlichen Institut schrumpfen und ihre operativen Aufgaben an die Polizei abgeben.

Von Heribert Prantl

Nach geltendem Recht müssen sich sowohl Verfassungsschutz als auch Polizei darum kümmern, ob verfassungsfeindliche Gruppen Straftaten planen. Das führt nicht nur zu höchst kostenträchtiger Doppelarbeit, das führt auch zu höchst unerfreulichen Fehlern, über deren Vermeidung nach der Aufdeckung der NSU-Morde diskutiert wurde. Von einer notwendigen Reform des Sicherheitsapparats an Haupt und Gliedern war damals die Rede. Davon ist aber nichts zu sehen.

Hans Peter Bull, er war einst der erste Bundesbeauftragte für Datenschutz und sieben Jahre lang SPD-Innenminister von Schleswig-Holstein, hat nun einen Vorschlag zur Neuorganisation des Verfassungsschutzes gemacht, der die Reform-Diskussion wieder entfachen dürfte.

Der Vorschlag ist radikal: Er will den Verfassungsschutz extrem schrumpfen, ihn zu einem wissenschaftlichen Institut ummodeln. Die Ämter für Verfassungsschutz in Bund und Ländern sollen nur noch für die wissenschaftliche Analyse offener Quellen zuständig sein. "Der Verfassungsschutz wäre dann kein Geheimdienst mehr", sagt Bull. V-Leute und andere Nachrichtenbeschaffer, die geheim arbeiten, wären nicht mehr erforderlich. Alle bisherigen operativen Aufgaben des Verfassungsschutzes sollen nach Bulls Vorstellungen komplett an die Kriminalpolizei übertragen werden.

Kriminalpolizei und Staatsanwaltschaft mit ihren Staatsschutz-Abteilungen, so argumentiert er, müssten ja ohnehin alle strafbaren extremistischen Handlungen aufklären. Und die Polizei müsse ohnehin bei diesen Staatschutzdelikten auch Gefahrenabwehr betreiben. Bull beruft sich bei seinen Vorschlägen auch auf Winfried Ridder, den ehemaligen Abteilungsleiter im Bundesamt für Verfassungsschutz. Von dem stammt der Satz: "Die Bekämpfung des gewalttätigen Extremismus gehört in eine Hand; und dies kann nur die Polizei sein".

Keine Sonderregeln für die Polizei

Die Reduktion der Aufgaben des Verfassungsschutzes dürfe, so Bull, allerdings nicht dazu führen, dass die Polizei zu einem Geheimdienst wird oder sich als solcher geriere: Es wäre fatal, wenn die Polizei die Praxis des Einsatzes von V-Leuten vom Geheimdienst unverändert übernähme. Bull formuliert das so: "Was die Polizei im kriminellen Milieu nicht darf, das darf sie auch nicht im extremistischen Milieu." Auch nach einer Bull'schen Reform sollen Polizei und Staatsanwaltschaft extremistische Straftaten nur nach den für alle Straftaten geltenden Regeln verfolgen dürfen.

Auf diese Weise will Bull die Aufgaben der Sicherheitsbehörden neu und überschneidungsfrei festlegen. Seinem Auftrag, die freiheitliche Ordnung zu schützen, könnte der Verfassungsschutz künftig schon dadurch gerecht werden, dass er offene Quellen auswertet und dann fundierte Berichte erarbeitet. Aus Informationen soll Wissen werden - "systematisch gesammeltes und bewertetes Wissen". Der neue Verfassungsschutz brauche deshalb wissenschaftlich ausgebildete Experten für Textinterpretation und für gesellschaftliche, wirtschaftliche und politische Entwicklungen und deren Bewertung.

Der Verfassungsschutz soll so in "kleine, aber feine Analysebehörden" umgeformt werden. Verfassungsrechtliche Schwierigkeiten sieht Bull nicht: Es sei zwar so, dass es Ämter zum Schutz der Grundordnung geben müsse; es sei aber nicht vorgeschrieben, wie sie zu organisieren sind. Ein Teil der bisherigen Verfassungsschützer müsste dann zur Polizei wechseln. Das sogenannte Trennungsgebot würde auf diese Weise wirksam umgesetzt; es besagt, dass der Verfassungsschutz sich die gewünschten Informationen nicht auf dem Umweg über die Polizei beschaffen darf und die Verfassungsschutzbehörden nicht organisatorisch miteinander verbunden werden dürfen.

Von der Staats- und Verwaltungsorganisation versteht Bull einiges. Er lehrt diese Rechtsgebiete als Professor in Hamburg. Seine Vorschläge zur Verfassungsschutz-Reform macht er in der ersten Ausgabe einer neuen Datenschutz-Zeitschrift namens PinG (Privacy in Germany), die an diesem Freitag öffentlich vorgestellt und vom Berliner Internet-Rechtler Niko Härting herausgegeben wird.

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