Chemiewaffen in Syrien:Neue Regeln im Katz-und-Maus-Spiel

Syrien tritt der Chemiewaffenkonvention bei - doch was steht wirklich in dem Abkommen? Spielt Diktator Assad nur auf Zeit? Muss er nun eine Anklage vor dem Internationalen Strafgerichtshof fürchten? Antworten auf aktuelle Fragen des Völkerrechts.

Von Ronen Steinke

Syrien hat angekündigt, sich der UN-Chemiewaffenkonvention zu unterwerfen. Was bedeutet das praktisch?

Syrien gewinnt Zeit. Die Chemiewaffenkonvention von 1992 ist ein völkerrechtlicher Vertrag, der vor allem ein kompliziertes Prozedere umschreibt: Staaten verpflichten sich, alle Chemiewaffenvorräte offenzulegen, Kontrolleure ins Land zu lassen und letztlich jeden letzten Rest dieser Kampfstoffe unter Aufsicht zu vernichten.

Es gelten Fristen, abgestufte Zuständigkeiten, Dienstwege und es existiert eine eigene Bürokratie. "Das schafft Möglichkeiten zu einem Katz-und-Maus-Spiel, wie wir es von den iranischen Atomanlagen kennen", meint der Hamburger Völkerrechtler Jasper Finke. "Mal werden Fristen nicht eingehalten, mal werden Kontrolleure aufgehalten. Gerade inmitten eines bewaffneten Konflikts, in einem zerbombten und umkämpften Land, sind die Möglichkeiten zur Verzögerung riesig."

Wenn Syrien sich der Chemiewaffenkontrollen unterwirft, bleiben weltweit übrigens nur noch sechs Staaten übrig, die nicht Teil der Konvention sind: Myanmar, Israel, Ägypten, Nordkorea, Angola und der jüngst neu gegründete Staat Südsudan.

Wenn Syriens Regime das Chemiewaffenabkommen bislang nicht unterzeichnet hatte, war sein mutmaßlicher Giftgaseinsatz am 21. August dann überhaupt illegal?

Ja. Das Chemiewaffenübereinkommen von 1992, dem Syrien noch nicht angehört, regelt lediglich Kontrollen. Das Verbot von Chemiewaffen - die als Massenvernichtungswaffen keine Differenzierung zwischen Zivilisten und Kämpfern ermöglichen - gilt unabhängig davon für alle Staaten, ob sie nun ein Dokument ratifizieren oder nicht. Die Ächtung von Chemiewaffen geht auf das Genfer Gasprotokoll von 1925 zurück; dieses ist bindendes Völkergewohnheitsrecht. So sind die Worte von UN-Generalsekretär Ban Ki-Moon zu verstehen, der sagt: "Falls bewiesen, wäre jeder Einsatz von chemischen Waffen durch wen auch immer unter allen Umständen ein ernste Verletzung des Völkerrechts und ein entsetzliches Verbrechen."

Wenn der Gebrauch von Chemiewaffen ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit ist und viele nach Bestrafung rufen - warum wird Baschar al-Assad dann nicht einfach vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag angeklagt?

Der syrische Staatschef in einer Zelle in Scheveningen, vielleicht als Zellennachbar des früheren Serbenführers Radovan Karadzic oder des ivorischen Ex-Präsidenten Laurent Gbagbo: Das ist ein Wunsch, den viele haben. Bundesaußenminister Guido Westerwelle (FDP) hat bereits vor zwei Jahren dazu aufgerufen, Assad wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Den Haag anzuklagen.

Allerdings: Syrien zählt nicht zu den Mitgliedsstaaten des Internationalen Strafgerichtshofs. Deshalb kann Den Haag nicht von sich aus aktiv werden. Es gilt: Wenn sich ein Staat nicht freiwillig dem Weltstrafgericht unterwirft, dann kann ihn nur eine einzige Instanz dazu zwingen - und das ist der UN-Sicherheitsrat. Der UN-Sicherheitsrat ist in Sachen Syrien bekanntlich blockiert: Solange Russland und China weiter ihre schützende Hand über das Regime von Assad halten, verhallt der Ruf nach einer Anklage Assads in Den Haag deshalb weiter folgenlos.

Im Bundestagswahlkampf plakatieren einige Parteien bereits gegen eine "völkerrechtswidrige" Intervention in Syrien. Wäre ein Schlag gegen Assad in jedem Fall völkerrechtswidrig?

Die UN-Charta von 1948 ist strikt. Der Einsatz militärischer Gewalt ist nur unter zwei verschiedenen Bedingungen völkerrechtlich erlaubt. Entweder ist ein Staat selbst angegriffen worden. Dann darf ihm laut Artikel 51 niemand das Recht zur Selbstverteidigung absprechen. Diese Möglichkeit ist im Fall Syrien allerdings bislang nicht gegeben; denn auch wenn die Türkei und Israel beklagen, bereits von den Auswirkungen der Kämpfe betroffen worden zu sein, stellt der Hamburger Völkerrechtler Finke klar: "Nur weil zwei Raketen sich über eine Grenze verirren, kann man noch nicht von einem Angriff sprechen."

Die andere Möglichkeit laut der UN-Charta besteht darin, dass die internationale Gemeinschaft durch einen innerstaatlichen Konflikt den Weltfrieden bedroht sieht: Dann kann der UN-Sicherheitsrat - und nur der UN-Sicherheitsrat - eine internationale Truppe dorthin entsenden (Artikel 42 der UN-Charta). Womit der Ball abermals bei Russland und China liegt.

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