Debatte beim FC Bayern:Papa Hoeneß darf alles

FC Bayern München Uli Hoeneß

Bayern-Präsident Uli Hoeneß und Sportvorstand Matthias Sammer (links).

(Foto: dpa)

Matthias Sammer kritisiert, Uli Hoeneß kontert: Der FC Bayern beginnt seine internationale Spielzeit mit einem Ruckreden-Duell. Der oberflächliche Zwist legt einen strukturellen Konflikt offen - es geht um die Rolle, die Sammer zukünftig im Klub einnehmen soll.

Von Christof Kneer

Sollten die Gäste aus Moskau Späher ins Feindesland vorausgeschickt haben, dann dürften sie jetzt widersprüchliche Informationen erhalten. Jene Kundschafter, die den Sportvorstand Matthias Sammer belauscht haben, werden erfreuliche Nachrichten nach Hause übermitteln: Den FC Bayern kann man besiegen, weil die Spieler ihren neuen Trainer - unbewusst - ein bisschen hängen lassen.

Jene Spione, die an den Präsidenten Uli Hoeneß geraten sind, dürften in ihren Dossiers die gegenteilige Gefechtslage notieren: Den FC Bayern kann man nur schwer besiegen, weil die Mannschaft am Samstag ein souveränes 2:0 gegen Hannover herausgespielt hat und sich der klubkundige Hoeneß "überhaupt keine Sorgen macht".

Man sagt ja manchmal, dass ein Klub nicht genau wisse, wo er steht - das ist eine Formulierung, die vermutlich schon auf alle Vereine der Welt angewendet wurde, außer natürlich auf den FC Bayern. Der FC Bayern weiß immer, wo er steht, ganz oben, und sollte er versehentlich mal Zweiter sein, ist das gleichbedeutend mit "ganz unten".

Umso erstaunlicher, dass ausgerechnet dieser stets klar positionierte Verein plötzlich nicht mehr weiß, wo er steht. Pünktlich zum Champions-League-Auftakt gegen ZSKA Moskau hat sich eine Debatte entwickelt, die tief in den Verein hineinreicht. Es geht um Uli Hoeneß, jenen Mann, der "das Gesicht des FC Bayern" genannt wird; und es geht um Matthias Sammer - jenen Mann, der vielleicht mal das Gesicht des Vereins werden soll.

Matthias Sammer war nicht überrascht, als ihn am Sonntag ein Anruf des Präsidenten ereilte, aber der Inhalt des Anrufs überraschte ihn doch. Hoeneß hat ihm sein Missfallen übermittelt, er hat ihm gesagt, was er von jener Ansprache hielt, die tags zuvor die Sportnation erstaunt hatte. In vermeintlich Hoeneß'scher Tradition hatte Sammer einen knackigen Gruß an die Spieler gerichtet ("wir emotionalisieren uns null", "wir verstecken uns hinter dem Trainer"), den Hoeneß offenkundig übertrieben fand.

Hoeneß hat das später auch öffentlich wissen lassen, er empfahl Sammer, "die Kirche im Dorf zu lassen, Matthias muss aufpassen, dass er nicht übers Ziel hinausschießt". Diese Zitate waren am Montag in Münchner Medien im Umlauf, was diesen ruhmreichen Verein fürs Erste in zwei ruhmreiche Vereine gespalten hat - jenen, der nach einem 2:0 gegen Hannover bedrohliche Krisensymptome nahen sieht; und jenen, der nach einem 2:0 gegen Hannover entspannt in die Zukunft blickt.

Die Debatte verläuft auf mehreren Ebene, der Ausgangspunkt ist dabei derselbe. Sammer und Hoeneß sind beide der Meinung, dass Pep Guardiola exzellente Arbeit leistet, sie sehen, dass der Neue viel mehr ist als einer, der nur katalanische Kleinkunst lehrt. Beide registrieren mit Wohlwollen, mit welcher Leidenschaft der Trainer sich dem Team nähert und wie er rund um die Uhr versucht, die Seele dieses Vereins zu verstehen. Aus der gemeinsamen Erkenntnis haben Sammer und Hoeneß aber unterschiedliche Schlüsse gezogen.

Ausbildung zum Reizpunkt-Profi

Auf der oberflächlichsten Ebene dieser Debatte geht es darum, wer der bessere Ruckredner ist. Es ist eine Art inoffizielle Reizpunkt-Meisterschaft, die hier von zwei versierten Polarisierern ausgetragen wird. Sammer nimmt für sich in Anspruch, dass nur er die Stimmungslage im Team bewerten kann, weil nur er die Elf auf Schritt und Tritt begleitet. "Es kann nicht sein, dass es immer den Impuls des Trainers oder die Champions-League-Hymne braucht, um die Elf zu emotionalisieren, das muss auch von ihr selbst kommen", sagt er. Der Ruckredner Sammer will damit den Trainer schützen, der Ruckredner Hoeneß hält diesen Reflex aktuell für überflüssig.

"Ich bin früher auch antizyklisch dazwischengefahren", erklärte Hoeneß am Montag, "aber ich habe das gemacht, wenn wir in der 88. Minute das 1:0 geschossen haben. Aber das 2:0 gegen Hannover war doch kein Katastrophenspiel - Matthias meint es gut, aber was will er denn sagen, wenn wir wirklich mal schlecht spielen?"

Hoeneß ist das Hintergrund-Rauschen im Umfeld nicht entgangen, die vielen unausgesprochenen Fragen, die den Leuten auf der Zunge liegen (Wann lässt Pep endlich Zauberfußball spielen? Warum ist Dortmund zurzeit besser?), und in diesem Klima hält er kritische Stimmen aus dem eigenen Haus für kontraproduktiv. "Deshalb wollte ich Matthias' Aussagen nicht so stehenlassen, weil sonst leicht der Eindruck aufkommt, wir würden schlecht spielen, und dieser Eindruck könnte dann auf Pep zurückfallen." Beide sind Meister ihres Fachs, aber im tiefsten Innern findet der Reizpunktprofi Hoeneß, dass der junge Kollege Sammer noch nicht immer als bayerntauglicher Reizpunktprofi durchgeht.

"Nehmen Sie Franck Ribéry", sagt Hoeneß, "er steht in Frankreich total unter Druck und hat jetzt mit einem tollen Länderspiel die letzten Zweifler überzeugt. Dann fliegt er aus Weißrussland über Paris nach München zurück und tut sich gegen Hannover halt anfangs schwer. Nach einer Länderspielpause ist es normal, dass Spieler eine Halbzeit brauchen, um die Müdigkeit rauszulaufen. Ich finde, Franck hat Druck genug, den muss man nicht noch erhöhen."

Das Länderspiel-Argument ist ein gutes Beispiel dafür, wie sich Hoeneß und Sammer, die sich doch eigentlich so nahe sind, zurzeit von Herzen missverstehen. "Ich habe mich doch nicht erst am Samstag zu diesem Appell entschlossen", sagt Sammer, "das hat mit der Länderspielpause gar nichts zu tun, diese Entwicklung ist mir schon vorher aufgefallen."

Uli Hoeneß sei "der Papa des Klubs", sagt Sammer, "er darf alles sagen, auch Kritik üben." Sammer klingt am Montag entspannt, seine Erfolge haben ihn zu einem unabhängigen Mann gemacht, der findet, dass der bequeme Weg etwas für Feiglinge sei. Dennoch lenkt das Verbalduell den Blick auf die höhere Ebene des Konflikts. Es geht um Sammers Jobverständnis und darum, dass er sich naturgemäß noch orientieren muss in diesem durch und durch Hoeneß-geprägten Klub. "Uns war klar, dass Matthias erst mal das Sportliche in den Vordergrund stellt", sagt Hoeneß.

Im Verein haben sie natürlich registriert, dass Sammer oft noch wie ein Trainer denkt und dass er seinem Ressort seinen ganz persönlichen Zuschnitt gegeben hat. Sammer ist keiner, der nach Florenz fliegt, um mit den Bossen des Klubs über die Haken und Ösen des Gomez-Transfers zu feilschen. So sieht er sich nicht, aber im Verein finden sie, er sollte sich zumindest auf Dauer so sehen.

Und natürlich hätte Hoeneß auch gern einen Sportchef, der mit der besten Elf zum Hochwasser-Benefizspiel nach Passau reist. Sammer hingegen hat nach Absprache mit dem Trainer auf die hohen Belastungen der Profis verwiesen und eine bessere B-Elf geschickt. Sammer schätzt "das besondere Flair" (Hoeneß) dieses Klubs, aber er findet, dass man ihm auch Zeit geben muss, die soziale Seite zu bedienen. Sammers Plan ist, sich erstmal durch messbare Verdienste wie Titel, Titel, Titel unverzichtbar zu machen und dann das "Projekt Papa" anzugehen.

Uli Hoeneß hält die Debatte jetzt erstmal für beendet, er habe "kein Problem mit Matthias" und sei weiterhin "froh, dass wir ihn eingestellt haben". Was diese Nachricht für die Gäste aus Moskau bedeutet, müssen sie selbst entscheiden.

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