SPD und die große Koalition:Planspiele für den Tag danach

SPD und die große Koalition: Das Führungsteam der SPD in Berlin: der Fraktionsvorsitzende Frank-Walter Steinmeier, der Parlamentarische Geschäftsführer der Fraktion Thomas Oppermann, Parteichef Sigmar Gabriel und Generalsekretärin Andrea Nahles (im Großbild, von links) auf einem Archivbild vom Bundesparteitag der SPD im Jahr 2011

Das Führungsteam der SPD in Berlin: der Fraktionsvorsitzende Frank-Walter Steinmeier, der Parlamentarische Geschäftsführer der Fraktion Thomas Oppermann, Parteichef Sigmar Gabriel und Generalsekretärin Andrea Nahles (im Großbild, von links) auf einem Archivbild vom Bundesparteitag der SPD im Jahr 2011

(Foto: Imago Stock&People)

Rot-Grün, das wird nichts: Selbst die größten Optimisten in der SPD stellen sich auf eine große Koalition nach der Bundestagswahl ein. In der Partei werden bereits fleißig Posten verteilt. Im Zentrum der "abstrakten Spekulationen" steht Parteichef Sigmar Gabriel.

Von Susanne Höll, Berlin

Über die Bundes-SPD und den Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück verliert Christian Ude kein böses Wort. Im Gegenteil. Ausdrücklich lobt der sozialdemokratische Spitzenmann aus Bayern bei seinem Kurzbesuch im Berliner Willy-Brandt-Haus am frühen Montagmorgen die Unterstützung, die er von den Genossen aus dem Rest des Landes erhalten hat. Er und die Bayern-SPD haben sich, wie er findet, revanchiert, zumindest ein wenig. "Wir wollten auch einen Beitrag für einen SPD-Erfolg im Bund leisten. Er ist bescheiden ausgefallen. Aber es ist ein Beitrag."

Nun hätte man im Foyer der SPD-Zentrale gern mit Ude und dem Hausherrn Sigmar Gabriel darüber diskutiert, was aus Sicht der Bundes-SPD am kommenden Sonntag eigentlich ein Erfolg wäre. Eine Mehrheit für Rot-Grün mit einem Kanzler Steinbrück. Nun gut. Selbst die Optimisten in der SPD können daran in Wahrheit kaum noch glauben; der Rückstand ist zu groß. Zudem schwächeln die Grünen.

Also eine große Koalition. Immerhin hätte die SPD dann wenigstens eines ihrer Wahlziele erreicht und Schwarz-Gelb ein Ende bereitet. Ude, der bekanntermaßen nichts Prinzipielles gegen ein neues Bündnis der Sozialdemokraten mit der Union einzuwenden hätte, weicht dieser Frage lieber aus. Es sei nicht an ihm, der Bundes-SPD Ratschläge zu erteilen, antwortet er freundlich.

Auch Gabriel lenkt in der Sache ab, auf die ihm eigene Weise. Er und die SPD würden bis Sonntag, 17:59 Uhr, für die Wunschkoalition mit der Öko-Partei kämpfen. Bei einer hohen Wahlbeteiligung könne es auch klappen. "Alles andere sind alberne Spekulationen", fügt er hinzu.

Selbst Steinbrück denkt über Schwarz-Rot nach

Immerhin denken sie in der SPD-Spitze, jedenfalls in kleinen Kreisen, seit Monaten über diesen Plan B nach für die Zeit nach dem 22. September. Thema offizieller Runden, etwa der Treffen des Parteivorstands, ist diese Frage zwar nie gewesen. Aber namhafte Sozialdemokraten überlegen sehr wohl, wie man sich verhalten soll, wenn der Sonntag alle Pläne von CDU/CSU und FDP für eine Fortsetzung ihrer Koalition zerstört und die SPD wieder als Juniorpartner der Union gebraucht werden könnte. Vergangene Woche wurde publik, dass sich selbst der Kanzlerkandidat Gedanken darüber macht.

Aus der Partei verlautete, Peer Steinbrück wolle in diesem Fall in die Verhandlungen mit Kanzlerin Angela Merkel einsteigen. Das sei mit Gabriel und dem Fraktionsvorsitzenden Frank-Walter Steinmeier vereinbart. Steinbrück selbst ließ erkennen, dass er vielleicht sogar die Verhandlungsdelegation anführen könnte. Nichts da, lautet das Dementi aus dem Willy-Brandt-Haus. An der Spitze der SPD-Verhandlungsriege stehe, wenn überhaupt, der Parteivorsitzende, mithin Gabriel. So wie im Jahr 2005.

Damals handelte der amtierende Kanzler Gerhard Schröder nach der SPD-Wahlniederlage den schwarz-roten Koalitionsvertrag mit aus. Chef im Ring der Sozialdemokraten war allerdings ihr damaliger Vorsitzender Franz Müntefering. Der wurde dann bekanntlich Vizekanzler der großen Koalition. So viel zum Thema "alberne Spekulationen".

Natürlich kann man erklären, warum die Bundes-SPD jede öffentliche Äußerung zu dieser Frage scheut. Im Funktionärsapparat, aber auch an der Basis ist eine große Koalition ziemlich unbeliebt; im Wahlkampfendspurt zudem kontraproduktiv, weil man mit einer solchen Aussicht die eigenen Anhänger nicht mobilisieren kann. Bis Sonntag, Punkt 18 Uhr, soll, darüber besteht angeblich Einverständnis in der SPD-Spitze, am allerbesten über eine mögliche große Koalition überhaupt nicht gesprochen werden.

In der Führungsmannschaft findet sich, wenn man namhaften Sozialdemokraten aus dem Bund und den Ländern Glauben schenkt, allerdings inzwischen keiner mehr, der Schwarz-Rot grundsätzlich und mit Vehemenz ablehnt. Aber die Partei von Sinn und Zweck einer Neuauflage zu überzeugen, würde nach übereinstimmender Meinung äußerst schwierig sein.

Steinmeier und Oppermann wollen sich erneut bewerben

Deshalb werden erste Szenarien entworfen, in aller Stille und in kleinsten Kreisen. Die engere Parteiführung könnte schon am Sonntagabend im Willy-Brandt-Haus beraten, der Parteivorstand am Montag nach der Wahl. Dem kleinen Parteitag, der sich am Freitag kommender Woche in Berlin treffen wird, würden dann von der SPD-Spitze Berichte vorgelegt. Eine Entscheidung über die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen dürfte es aber wohl noch nicht geben. Dazu könnten ein Sonderparteitag oder vielleicht sogar eine Mitgliederbefragung nötig sein, heißt es.

Die Bundestagsfraktion, ein wichtiger Machtfaktor der Bundes-SPD, dürfte am Dienstag und Mittwoch nach der Wahl über eine solche Konstellation beraten; für diese zwei Tage sind Sitzungen angesetzt. Viel spricht dafür, dass dann die ersten personellen Entscheidungen fallen, jedenfalls unter der Voraussetzung, dass das Wahlergebnis spürbar über den als katastrophal empfundenen 23 Prozent von 2009 liegt.

Steinmeier will sich erneut bewerben, an seiner Wiederwahl wird nicht gezweifelt. Auch der Parlamentarische Geschäftsführer Thomas Oppermann tritt erneut an. Anders als Steinmeier zieht es ihn aber in ein mögliches Regierungsamt. Innenminister würde er gern werden, könnte aber auch ein anderes Ressort übernehmen.

Sechs Minister, drei Frauen, drei Männer, so hat sich mancher in der SPD ausgerechnet, könnte man im Fall einer großen Koalition stellen. Dass Gabriel dann Vizekanzler würde, gilt als sicher. Welches Ressort er übernehmen würde, ist indes nicht ausgemacht. Denkbar wären das Auswärtige Amt, das Finanzressort oder ein um Energie erweitertes Verkehrs- und Infrastrukturministerium.

Dies alles gilt, selbstverständlich, nur für den Fall, dass die Union die SPD braucht. Doch es gibt, intern diskutiert, noch eine weitere Bedingung: Die Sozialdemokraten müssten ein Ergebnis einfahren, bei dem sie sich selbst sozusagen noch in die Augen schauen können. Das sind mehr als 25 Prozent. Was geschieht, wenn sie darunter bleiben, mögen sich die Strategen lieber nicht vorstellen. Dann könnte es eine Dynamik geben, die all die schönen Planspiele zunichte macht.

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