Umweltschutz:"Wir brauchen eine Kultur der Bescheidenheit"

Öko-Pionier Weinzierl wird 75

Hubert Weinzierl hat in mehr als vier Jahrzehnten zahlreiche hochrangige Funktionärsposten im Naturschutz bekleidet

(Foto: dpa)

Kein anderer hat in den vergangenen Jahrzehnten den Natur- und Umweltschutz derart geprägt wie Hubert Weinzierl. Im Interview kündigt er an, dass er auch in Zukunft vor hat, sich einzumischen - von der Energiewende bis zur Umweltbildung.

Von Horst Hamm und Ilona Jerger

natur: Herr Weinzierl, die Energiewende gerät in letzter Zeit zunehmend ins Stocken. Sie sagen, dass wir zum Gelingen auch eine Kulturwende brauchen. Was meinen Sie damit?

Weinzierl: Das heißt, kurzgefasst, dass wir die Erkenntnisse, die wir längst gewonnen haben, radikal umsetzen müssen. In zahlreichen Konferenzen, Tagungen und Studien ist zur Lage und Zukunftsfähigkeit der Menschheit sowie ihrer Umwelt alles geschrieben und gesagt worden. Nie zuvor war Wissen so global und fast an allen Orten der Welt abrufbar. Außerdem existieren ausreichend abgesicherte Handlungsempfehlungen, wie wir aus dem Dilemma der weltweiten Krise herausfinden können. Doch an der Umsetzung hapert es. Es muss nun endlich anstelle der Politik der winzigen Schritte etwas vollkommen Neues kommen.

Und was ist dieses Neue?

Wir müssen einsehen, dass naturwissenschaftliche und technische Krisenbewältigung alleine nicht mehr genügen. Dass der Schlüssel zur Zukunftsfähigkeit der Menschheit in der Änderung der Lebensstile liegt. Worum es also geht, ist, weg zu kommen von der Rücksichtslosigkeit des globalen Naturverbrauchs hin zu einer Kultur der Bescheidenheit. Dieser Geist sollte von uns, von Deutschland, von Europa ausgehen, er sollte also von dorther kommen, wo auch der Ungeist der Weltausbeutung seinen Lauf genommen hat. Wir brauchen eine Nationalökonomie des Gesundschrumpfens anstatt des Zu-Tode-Wachsens. Wir brauchen einen Rettungsschirm für den Naturhaushalt!

Diese Kultur der Bescheidenheit scheint aber noch sehr weit weg zu sein. Politik und Wirtschaft setzen nach wie vor auf Wachstum. Wir zitieren Bundeskanzlerin Angela Merkel: "Wachstum zu schaffen ist das Ziel unserer Regierung - ohne Wachstum keine Investition, ohne Wachstum keine Arbeitsplätze, ohne Wachstum keine Bildung, kein Fortschritt."

Ja, da ist von Nachhaltigkeit keine Rede. Das Wachstumssystem wird noch immer als Ersatzreligion verehrt, obwohl es längst gescheitert ist. Denn wir können nicht auf Dauer - man kann es so banal sagen - mehr verbrauchen, als der Globus hergibt.

Bleiben wir noch bei unserer Kanzlerin. Sie sprechen ja gelegentlich mit Angela Merkel über Fragen zu Natur und Umwelt. Wie reagiert sie auf Ihre Forderung nach einer Kulturwende? Es scheint ja bei ihr wenig angekommen zu sein...

Also ich schätze dennoch, dass sie es begriffen hat. Das ist ja schon etwas! Denn viele haben das Thema noch nicht verinnerlicht. Ich habe Frau Merkel am nachdenklichsten nach Fukushima erlebt. Bei einem früheren Gespräch hat sie zu mir gesagt: "Herr Weinzierl, über Kernenergie brauchen wir gar nicht miteinander reden, da haben wir verschiedene Standpunkte, die respektieren wir." Seit Fukushima ist das alles anders. "Ich habe mich getäuscht", hat Frau Merkel gesagt. Und das war ehrlich. Das hat sie immer wieder betont. Ansonsten habe ich sie in der Umweltauseinandersetzung eigentlich immer auf meiner Seite gesehen.

Aber passiert ist dennoch zu wenig - siehe Merkels Haltung zu den Autoabgasen, das Stocken in der Klimapolitik, im Öko-Landbau...

...jetzt kommt das große "Aber": Sie konnte sich weder national noch international richtig durchsetzen. Umweltpolitik hat weder in Deutschland noch international den Stellenwert, den die Wirtschaftspolitik hat. Und genau da setzt meine Kritik an - an den Wirtschaftspolitikern, die nicht kapieren, dass eine gesunde Wirtschaftspolitik nicht auf unendlichem Wachstum beruhen kann. Deshalb war es im Zweifelsfall immer so, dass eine Delegation aus der Wirtschaft kam, sobald die Umweltbewegung die Regierung von einem Thema überzeugt hat - und danach war wieder alles anders. Die Wirtschaftslobbyisten haben einfach nach wie vor die besseren Karten.

Dennoch ist in den letzten Jahren und Jahrzehnten erfolgreiche Umweltpolitik gemacht worden...

Aus natur 9/2013

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  • natur 9/2013

    Der Text stammt aus der September-Ausgabe von natur, dem Magazin für Natur, Umwelt und nachhaltiges Leben. Er erscheint hier in einer Kooperation - mehr aktuelle Themen auf natur.de...

Aber natürlich! Die Umweltpolitik hat in der Zwischenzeit große Erfolge verbuchen können - die Gewässer zum Beispiel wurden sauberer, die Luft wurde reiner - wir haben jetzt eine gute Administration, wir haben Umweltministerien, wir haben nationale und internationale Gremien, eine NGO-Bewegung, die sich sehen lassen kann - und trotzdem tritt die Nachhaltigkeits- und Umweltpolitik nun auf der Stelle.

"Riesige Lücken in der Klimapolitik"

Wir haben riesige Lücken in der Klimapolitik, wo doch alle Fachleute sagen, wo wir langzugehen haben. Früher hat man uns immer vorgeworfen: "Das sind ja alles nur Hirngespinste, dafür habt ihr keinerlei Belege." Heute braucht man zu all diesen Themen nur die Regierungsakten zu studieren. Wenn ich heute ein Gespräch mit Umweltministern führe, da widerspricht mir keiner mehr. Aber grundsätzliche Reformen unseres Wirtschaftens haben wir bisher nicht erreicht. Und es ist auch noch nicht gelungen, den Begriff der Nachhaltigkeit in unserer Gesellschaft zu verankern.

Welche Parameter hat Ihre Kultur der Nachhaltigkeit?

Wir brauchen vor allem anderen eine Kultur des Miteinander. Ich will das einmal bildlich ausdrücken: Wir brauchen eine doppelte Staatsbürgerschaft für jeden Menschen auf dieser Erde. Nämlich eine für seinen Staat und eine in der Schöpfungsgemeinschaft. Das heißt, zu einer Kulturwende gehört, dass wir fairer miteinander umgehen und die Mitgeschöpfe einbinden.

Gestatten Sie mir dazu eine persönliche Anmerkung: Über meiner Kindheit lagen die Schatten des Zweiten Weltkriegs. Sirenengeheul und Luftangriffe trieben mich in die Flucht, in die Auwälder, an die Donau, in die Natur. Doch kaum hatte ich sie kennen und lieben gelernt, da begann in den 50er Jahren vor meinen Augen der Dritte Weltkrieg, der Stück für Stück diese Paradiese wegraffte. Statt Panzer kamen Planierraupen, und die Flieger warfen statt Bomben Pestizide vom Himmel. Ich fühlte mich förmlich gezwungen, in den Widerstand zu gehen.

Alle, die damals im Naturschutz aktiv waren, sagten, dass wir dazu eine Gegenbewegung starten müssen. Wenn man so will, haben wir seinerzeit bereits eine Kulturwende gefordert. Diese Auseinandersetzung mit Werten und Lebensstilen hat nichts mit Verzicht und Askese zu tun, sondern mit Lust auf Natur! Die kleine Welt im Herzen tragen und die große Welt im Blick behalten - das ist die zentrale Herausforderung des neuen Denkens.

"Sparsamkeit statt Verzicht"

Uns erstaunt, dass der neue Lebensstil, den Sie einfordern, gar keinen Verzicht braucht...

Das kommt darauf an, welchen Standard Sie ansetzen. Ich würde lieber von Sparsamkeit sprechen statt von Verzicht. Das ist etwas ganz anderes. Ich finde es übrigens unerträglich, dass der Begriff Sparen geradezu verfemt ist. Denn mit Sparsamkeit kann man auch Gewinne erzielen. Nicht nur im Bereich Energie und Ressourcen. Allein der Gewinn an Lebenszeit ist ja unersetzlich.

Die Lust an der Entschleunigung, am nachhaltigen Konsum, an der Natur, an der Ästhetik und Harmonie der Lebensräume, an Freiheit und Zufriedenheit, das klingt nicht nach Verzicht, sondern nach Glück! Nachhaltigkeit muss Kult werden! Wir dürfen die Zukunft der Welt nicht den Bankern überlassen. Wir müssen erkennen, dass sich das Wohlergehen eines Volkes nicht am Bruttosozialprodukt messen lässt, sondern dass wir auf die Suche nach den "Glücksprodukten" gehen sollten.

Wir möchten noch einmal den Begriff Sparsamkeit aufgreifen - und aufs Energiesparen kommen. Alle Fachleute sagen seit 15, 20 Jahren, das sei unsere größte Ressource. Trotzdem sind alle Regierungen daran bislang hoffnungslos gescheitert. Wir haben zwar sparsame Geräte ohne Ende, aber trotzdem brauchen wir immer mehr Energie. Woran liegt das?

Das ist der Wahnsinn der Unbescheidenheit. Dass wir nicht bereit sind - ich benutze jetzt das Wort - auf Unsinn zu verzichten. Dass wir ganze Häuser heizen, obwohl wir eigentlich nur zwei Zimmer bewohnen. Dass wir zu große Autos fahren, dass es in Deutschland nicht mal ein Tempolimit gibt. Daran sehen Sie, wie schwer es ist, von der Erkenntnis zum Handeln zu kommen. Deshalb erfordert eine solche Wende auch eine Wende in der Bildung.

Aus natur 9/2013

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  • natur 9/2013

    Der Text stammt aus der September-Ausgabe von natur, dem Magazin für Natur, Umwelt und nachhaltiges Leben. Er erscheint hier in einer Kooperation - mehr aktuelle Themen auf natur.de...

Wir brauchen eine ganz konkrete Bildung zur Nachhaltigkeit. Es geht nicht an, dass eine Verschwendung lediglich durch eine neue Verschwendung ersetzt wird, also Kohle- und Atomstrom einfach durch grünen Strom. Sondern wir müssen zunächst alles daran setzen, die Energie zu ernten, die überhaupt nichts kostet: nämlich jene, die gespart werden kann. Energieeffizienz ist derart unterentwickelt, was wieder mit den verfemten Begriffen des Sparens und Verzichtens zusammenhängt.

Da sind wir dann doch wieder beim Thema Verzicht. Weil die Wirtschaft möglichst viele Produkte verkaufen möchte, hat sie an Verzicht oder an Ihrer Glücksvorstellung kein Interesse, sie möchte wachsen...

Nehmen wir den einfachsten Bereich, den der Lebensmittel. Wenn eine Gesellschaft bereit ist, 15 bis 20 Prozent mehr für gesunde Lebensmittel auszugeben, dann haben wir einen Wachstumsbereich noch und nöcher. Wenn eine Gesellschaft bereit ist, im Mobilitätsbereich andere Wege zu gehen - da gibt es so vieles, was ohne Verzicht möglich ist - und uns sogar Wachstum beschert, aber ein qualitativ neues Wachstum.

Anders gefragt: Intakte Handys oder elektrische Zahnbürsten landen beim Wertstoffhof, nur weil sich der Akku nicht auswechseln lässt. Jedes Gerät hat sein eigenes Ladesystem. Es gibt Zusatzgeräte, die bei jedem Kauf mitgeliefert werden. Auf der einen Seite ein riesiges Zusatzgeschäft, auf der anderen eine unglaubliche Ressourcenverschwendung. Da wäre es doch ganz einfach, eine Verordnung zu erlassen die besagt: bestimmte Standards sind vorgeschrieben, ein Akku muss auswechselbar sein...

...und zwar weltweit!

Genau. Aber dazu brauchen wir doch keine Kulturwende, sondern nur eine klare gesetzliche Vorgabe. Warum passiert das nicht?

Nun, das sind nationale Egoismen, das sind Egoismen der Unternehmen, die damit ihre Gewinne machen. Was da an Elektronikschrott auf uns zukommt, ist nach der Kernenergie mit die größte Herausforderung.

Wenn Sie unserer Kanzlerin eine solche Regelung vorschlagen, da müsste Sie doch sagen: Der Mann hat Recht. Doch was sagt sie?

Die Kanzlerin hat dafür ein eigenes Instrumentarium, den "Rat für Nachhaltige Entwicklung", der ihr ununterbrochen sehr qualifizierte Vorschläge macht - die Gutachten liegen alle vor. Sie sind schlicht und einfach noch nicht durchsetzbar. Und da hoffe ich eben auch auf eine andere Kultur, die dann der Politik sagt, in Gestalt des Wählers: Wir wollen es anders haben. Ich weiß, es klingt utopisch. Aber ohne Utopien hätten wir in der Umweltpolitik nie etwas erreicht.

"Die Zeit ist jetzt reif"

Außerdem gibt es immer wieder neue Entwicklungen, die über Nacht Dinge ändern. Wir leben in einer Zeit unheimlich rascher Veränderungen. Wenn wir vor zwei Jahren dieses Gespräch geführt hätten, dann hätten wir nicht daran geglaubt, dass es in Deutschland das Ende der Kernenergie gibt. Oder im Naturschutz. Da hat mir früher jeder gesagt: "In Deutschland wird es niemals einen Nationalpark geben. Das passt doch nicht." Heute haben wir 14. Das macht Hoffnung.

Und wenn alles geschehen wäre, was 1992 auf dem Erdgipfel in Rio beschlossen wurde, wäre das hervorragend gewesen. Dort sind das Konzept der nachhaltigen Entwicklung in die internationale Politik eingeführt und großartige Instrumentarien verabschiedet, aber nicht umgesetzt worden. Vielleicht war die Zeit nicht reif. Ich glaube, sie wird jetzt reif.

Wenn Sie sagen, die Zeit wird reif - im Bereich Klimapolitik sieht es nach dem Gegenteil aus. Deutschland und Europa gehen rückwärts.

Allein die Wetterextreme werden uns zwingen, dass auch in der Klimapolitik etwas passiert. Genauso wie wir nach Fukushima die Kernenergie abgeschaltet haben. Die Tatsache, dass die Geldmärkte und die Finanzpolitik in den letzten Jahren alles bestimmt haben - und noch bis heute bestimmen, das ist eine Katastrophe. Eine Menschheitskatastrophe, die in den Auswirkungen mindestens genauso schlimm ist wie ein Krieg.

Lernen aus den Katastrophen

Sie denken also, dass Katastrophen wie die aktuelle Jahrhundertflut uns beim Umsteuern helfen?

Ich will es wieder positiv sagen: Die Beispiele sollten uns zeigen, dass es höchste Zeit ist. Ich kann nur wiederholen, was die Klimaforscher uns vorrechnen: Ich habe in meinem Leben fünfmal ein Jahrhunderthochwasser erlebt. Und zwar immer am gleichen Strom, an der Donau. Von daher führt allein schon der Begriff in die Irre. Ich gehe davon aus, dass wir noch mit sehr vielen derartigen Katastrophen rechnen müssen.

Das erinnert uns an eine gemeinsame Aktion unserer Zeitschrift mit Ihnen und dem Bund Naturschutz zur Rettung der letzten frei fließenden Kilometer der Donau zwischen Straubing und Vilzhofen: Vor 17 Jahren haben Sie in natur eine "Liebeserklärung an das Strömende" geschrieben. Friedensreich Hundertwasser hat einen Druck zur Verfügung gestellt, unsere Leser konnten ihn im Rahmen der Donau-Schutz-Aktion erwerben. Mit dem Erlös hat der Bund Naturschutz Grundstücke entlang der Donau gekauft, um für den Erhalt streiten zu können. Die Donau fließt in diesem Bereich immer noch frei - wie bewerten Sie die Situation heute?

Keine noch so schlechte Regierung wird es sich leisten können, die Hände weiter an die Donau anzulegen. Ich glaube, dass der jetzige Beschluss der Bayerischen Staatsregierung unveränderbar ist. Sehen Sie, das ist auch eine kleine Kulturwende: eine Baumaßnahme unbeendet zu lassen. Zu sagen: Das machen wir nicht mehr.

Die Donau hat den Menschen in Passau und Deggendorf ja gerade großes Leid gebracht. Müssten nicht Hochwasserschützer viel enger mit Naturschützern zusammenarbeiten - und eventuell auch Dämme zurücksetzen?

Die größten Wasserrückhaltebecken sind die Auwälder, die jeder Fluss früher von Natur aus hatte. Die Zusammenarbeit zwischen Hochwasser- und Naturschützern ist bereits im Gange. So, wie man sich in der Energiepolitik zurückbesinnt, so ist es auch in der Wasserwirtschaft. Aber das ist ein langer Weg. Um ihn zu gehen, brauchen wir allerdings eine weitere Wende, eine Investitionswende. Von umweltschädlichen hin zu naturfreundlichen Investitionen.

Bedenken Sie dabei: Einer Baufirma ist es völlig wurscht, ob sie eine neue Autobahn baut oder einen neuen Hochwasserdamm, der ein, zwei Kilometer von der Elbe oder der Donau entfernt ist, so dass zwischen Damm und Fluss eine neue Auenlandschaft als Wasserspeicher entstehen kann. Wir haben Jahrhunderte lang in die Auen gebaut und jetzt gemerkt, dass da etwas falsch gemacht worden ist und wir wieder zurückbauen müssen.

Sie können auf eine jahrzehntelange Geschichte zurückschauen, in der Sie die Umweltpolitik mitgeprägt haben. Was waren Ihre größten Momente?

(kurzes Schweigen) Ich möchte zunächst etwas allgemeiner antworten. Der größte Erfolg, den ich sehe, ist, dass es uns gelungen ist, innerhalb von einer Generation ein Umweltbewusstsein zu erzeugen, das man nicht vorausgesehen hätte. Es gibt kein Gipfeltreffen in der Welt, das ohne das Thema Umwelt auskommt. Persönlich haben mich die Nationalparks im Bayerischen Wald und in den Berchtesgadener Alpen sehr gefreut, an denen ich kräftig mitwirken konnte. Inzwischen gibt es zwölf weitere - das ist einfach schön. Genauso wie die Tatsache, dass wir jetzt im Rahmen meiner Tätigkeit bei der Deutschen Bundesstiftung Umwelt 62.000 Hektar Naturerbe retten konnten.

Ich habe dieser Tage mit Bundesumweltminister Altmaier die Verträge dafür unterzeichnet. Das war schon ein Moment des Glücks. Und dann freue ich mich nicht zuletzt darüber, dass so viele Menschen hierher nach Wiesenfelden kommen, wo meine Frau und ich das Umweltzentrum betreiben. Die Veranstaltungen und Seminare in Wiesenfelden sind übrigens ein Ausdruck dafür, dass wir diese wirre Zeit nicht als Unglück, sondern als Aufbruch zu vielfältigen neuen Lebensqualitäten verstehen.

Was waren Ihre eher enttäuschenden Erfahrungen?

Das war zum Beispiel der Ausbau der Donau. Ich bin ja noch als junger Mann mit dem Kahn runtergefahren von Ulm nach Ingolstadt. Auf dieser Strecke stehen jetzt 27 Staustufen. Dann das Altmühltal, auch da haben wir die Schlacht verloren. Viele Landschaften, die zu den Perlen unseres Landes gehört haben, sind zerstört worden. Dann natürlich die falsche Energiepolitik. Die ganze Phase der Kernenergie hätte man in Deutschland überspringen können. Da sind viele Milliarden vernichtet worden. Doch wir Kritiker wurden verlacht.

Welche menschlichen Begegnungen waren Ihnen am wichtigsten?

(wieder Pause) Die emotionalste war natürlich, dass ich in diesem Metier meine Frau kennengelernt habe. Das war in einem Seminar über Theologie und Ökologie. Da saß mir eine wunderschöne Journalistin und Theologin gegenüber, die mich dazu ausgefragt hat - das war Beate. Sie ist mein Hauptgewinn, denn immer, wenn man seine Aufgabe meistern will, braucht man tragfähige Partnerschaften.

Dann möchte ich drei weitere Personen hervorheben, die mich stark geprägt haben: Das waren zunächst Bernhard Grzimek und Konrad Lorenz. Beide waren mir väterliche Freunde. Mit Grzimek bin ich durch die Welt gereist und Konrad Lorenz hat mich vor allem in der Verhaltensbiologie und damit der Sicht auf die Natur sehr stark geprägt.

Und schließlich Enoch zu Guttenberg, den Dirigenten und Mitbegründer des Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland. Mit ihm bin ich seit über 40 Jahren eng befreundet.

Wir würden Sie gerne noch etwas Persönliches fragen: Sie haben durch eine Erkrankung in den letzten zwei Jahren nahezu Ihr Augenlicht verloren. Was bedeutet es für einen Menschen wie Sie, der so stark mit der Natur lebt, der Luchse im eigenen Wildnisgelände beheimatet, dass er all das jetzt nicht mehr sehen kann?

Ich bin natürlich unglücklich darüber. Aber Gott sei Dank habe ich diese Freundschaften zu einem Luchs, zu einer Margerite oder zu einer Kirschblüte so sehr im Herzen, dass ich sie vor mir sehe. Und die Tatsache, dass ich alles hören und riechen kann, macht mich auch wieder glücklich. Wenn ich jetzt in diesen Sommertagen um vier oder fünf Uhr in der Früh das Vogelkonzert höre, dann weiß ich, aha, das ist eine Amsel und das ist ein Pirol - oder der Geruch des Mädesüß, der heute früh in mein Zimmer raufgedrungen ist, das gibt mir wieder Kraft.

Sie reden in Zusammenhang von Naturschutz ja auch oft vom Schöpfer. Hadern Sie gelegentlich mit ihm und Ihrem Schicksal?

Aus natur 9/2013

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Schöpfer sage ich nie! Sondern Schöpfung. Das ist eine wichtige Differenzierung. Zumal ich nicht von einem Mann reden würde - wenn, dann wäre es eine Schöpferin. (Er lacht)

Trotzdem: Wenn Sie von Schöpfung reden, dann hat das doch auch einen Bezug zu Gott. Hat Ihr Schicksal Ihr Verhältnis zu einem wie auch immer gearteten göttlichen Wesen verändert?

Nein. Das liegt natürlich auch an meiner Haltung zu diesem Thema. Ich habe mich immer als einen gläubigen Heiden bezeichnet. Ich glaube an das Lebendige. Was auch immer hinter dem Leben steckt. Man muss ja nicht immer alles verstehen. Das ist auch ein Stück Glaube, dass man vieles nicht weiß - auch das kann einem Kraft geben.

Sie haben Ende Juli das Amt des Kuratoriumsvorsitzenden bei der Deutschen Bundesstiftung Umwelt abgegeben. In welcher Rolle wird man Sie in Zukunft weiter sehen?

Naturschutz ist für mich keine Frage der Institution, sondern eine Frage der Denkweise. Die hat man oder man hat sie nicht. Ich werde sie bis zum letzten Atemzug haben. Ich habe noch viel vor, wenn ich das Glück habe, noch eine Weile leben zu dürfen. Ich werde mich gerne einbringen in den neuen Schutzgebieten der Bundesstiftung, ich werde hier im Umweltzentrum Wiesenfelden tätig sein. Und ich werde viel mit Menschen reden, auch mit solchen, die Einfluss haben. Wenn das Herz voll ist, hat man immer genug zu tun!

Hubert Weinzierl, geboren 1935 in Ingolstadt an der Donau, ist seit 1953 in der Naturschutzbewegung tätig. 1964 wurde er ins Präsidium des Deutschen Naturschutzrings (DNR) berufen. Von 1969 bis 2002 war er Vorsitzender des Bund Naturschutz in Bayern, von 1983 bis 1998 Vorsitzender des Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND). Von 2000 bis 2012 war er Präsident des DNR, von 2005 bis 2013 Vorsitzender des Kuratoriums der Deutschen Bundesstiftung Umwelt. Seit 2001 ist er Mitglied im Rat für Nachhaltige Entwicklung der Bundesregierung. Hubert Weinzierl lebt seit vielen Jahren mit seiner Frau Beate Seitz-Weinzierl in Wiesenfelden in Niederbayern.

Der Text stammt aus der September-Ausgabe von natur, dem Magazin für Natur, Umwelt und nachhaltiges Leben. Er erscheint hier in einer Kooperation - mehr aktuelle Themen auf natur.de...

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