Debatte zur Digitalisierung:Illusionslos im politischen Mitmach-Netz

Symposium - Internetkriminalität

Machen wir uns nichts vor. Nur wenige nehmen an der viel gepriesenen Demokratisierung durch das Netz teil.

(Foto: dpa)

Trotz des Hypes über neue Partizipationsformen: Der Einfluss sozialer Medien auf den politischen Diskurs in Deutschland ist ernüchternd gering. Statt von einer schnellen Demokratisierung durch das Netz zu träumen, sollten wir eine ehrliche Zwischenbilanz ziehen.Ein Diskussionsbeitrag in der Artikelreihe "Digitales Morgen" von Süddeutsche.de und Vocer.

Von Thorsten Denkler

Dieser Text könnte jetzt damit beginnen, dass etwa Familienministerin Kristina Schröder noch am Wahlabend ihren Abschied vom Amt via Twitter verkündete. Oder dass ebendort Christian Linder schon kurz nach Schließung der Wahllokale eine grundlegende Erneuerung der FDP forderte. Womit er wohl vor allem seinen eigenen Aufstieg meinte. Vielleicht auch damit, dass der Wahlaufruf-Video-Clip der IG Metall - das wohl beste Stück zu diesem Thema in diesem Wahlkampf - knapp 100.000 Mal auf Youtube angeklickt wurde.

Es gäbe viele solcher Beispiele aus den sozialen Netzwerken, die belegen könnten, dass das Netz und die digitale Kommunikation Wahlen und Politik in Deutschland revolutioniert haben.

Doch die manchmal von sich selbst und den schier endlosen Möglichkeiten des Internet besoffenen Netzies - und da nehme ich mich nicht aus - müssten nach diesem Wahlkampf 2013 eigentlich geschlagen die Segel streichen. Es ist noch immer so wie zu Zeiten von Kanzler Gerhard Schröder: "Bams, Bild und Glotze" sind das, was zählt in der politischen Kommunikation.

Twitter bleibt ein Nischenmedium

Ein paar kleine Zahlen dazu: Twitter meldete, am Wahltag seien 350.000 Tweets abgesetzt worden, die Bezug zur Bundestagswahl hatten. Tweets also, die mit dem Hashtag #btw13 oder den Namen von einem der Spitzenkandidaten versehen waren. Das klingt wie eine stolze Zahl. Dahinter aber verbergen sich nach Daten des Analysedienstes Tame lediglich 39.000 Nutzer. Geradezu niederschmetternd wenige Menschen haben sich also über Twitter in den Wahlkrimi eingeschaltet.

Das ist auch deswegen enttäuschend, weil der Wahlabend das politische Mega-Ereignis des Jahres in Deutschland war. An diesem einen Abend dürften sich nahezu alle versammelt haben, die auch in den Monaten zuvor auf Twitter aktiv waren, wenn es um politische Inhalte ging.

Nur zum Vergleich: Bereits um 17 Uhr am Wahlabend schalteten knapp neun Millionen Menschen die "Glotze" ein, um auf ARD, ZDF, in den dritten Programmen oder im Privat-Fernsehen die Wahlen zu verfolgen. Die Berliner Runde mit den Spitzenkandidaten sahen noch 5,81 Millionen Menschen. Selbst Günther Jauchs Nachwahl-Talk interessierte 5,84 Millionen Menschen. Und nur zur Erinnerung: Zum Kanzlerduell Anfang September schalteten 17 Millionen Menschen ein.

Soziale Netzwerke spielten am Wahlabend für die Weiterverbreitung und Bewertung von Informationen nur die Rolle eines netten Extras. Von Gewicht waren sie nicht.

Viele Nutzer, wenig politische Interaktion

Keine Frage, Twitter und Facebook sind heute Massenmedien. Facebook zählte im Juni knapp 26 Millionen aktive Nutzer in Deutschland. Zur Wahl 2009 waren es noch deutlich unter fünf Millionen. Auf Twitter steigt die Zahl der aktiven Nutzer ebenfalls rasant. Im November 2012 zählten die Webevangelisten 825.000 aktive Nutzerkonten. In diesem Jahr dürfte die Millionen-Marke durchbrochen werden.

Beeindruckende Zahlen. An politischer Interaktion aber beteiligen sich offenbar nur die allerwenigsten. Und zwar nicht einmal jene, die in Deutschland Mitglieder von politischen Parteien sind. Das sind etwas mehr als 1,3 Millionen Menschen. Hätten die alle am Wahlabend getwittert und gefacebookt, da wäre ganz schön was los gewesen.

Für die meisten Menschen ist das Internet nach wie vor kaum mehr als eine interessante Spielwiese, auf der sie das Leben von Justin Biber (45 Millionen Follower) mehr interessiert als das von Peer Steinbrück (60.000 Follower). Politik bleibt außen vor. Schon am Tag nach der Bundestagswahl waren die meistgesuchten Begriff auf Google: DFB-Pokal, Paul Kuhn und Surface 2.

Dagegen ist nichts einzuwenden. Wenn die Menschen andere Interessen haben als Politik ist das völlig in Ordnung. Das ist in der Offline-Welt auch nicht anders als in der Online-Welt. Jeder Politik-Redakteur einer Zeitung weiß, dass in seinem Blatt der Sportteil und das Vermischte die meist frequentierten Seiten sind.

Aber nach der Wahl muss Bilanz der politischen Kommunikation im Netz gezogen werden. Und das Ergebnis ist ernüchternd. Einen Hype hat es nicht gegeben. Schon gar nicht war das Internet für irgendwen wahlentscheidend. Aufregungen wie die um den Stinkfinger von Peer Steinbrück, die Pädophilen-Debatte der Grünen oder die Euro-Hawk-Affäre verbreiten sich zwar schneller. Aber zunächst nur unter den wirklich absolut Interessierten. Also unter Journalisten, Politikern, Wissenschaftlern, im weitesten Sinne unter den politischen Profis im Land.

Digitalisierung? Vor allem: ein Prozess

Richtige Wucht bekommen solche Meldungen nach wie vor nur, wenn sie in der Tagesschau laufen. Oder JauchIllnerWillMaischbergerPlasberg sich darum kümmern. Die #aufschrei-Debatte Ende Januar ist dafür ein gutes Beispiel. Innerhalb von wenigen Tagen tauchte dieser Hashtag in knapp 60.000 Tweets auf, in denen Menschen ihre Erlebnisse mit Alltags-Sexismus schilderten. Zu bundesweiter Bekanntheit brachte es das Phänomen jedoch erst, als in Zeitungen, Fernsehen und Radio darüber berichtet wurde.

Das muss nicht so bleiben. Auch wenn zum Beispiel Facebook die Grenzen seines Wachstums sicher langsam erreicht hat, die Mediennutzung verändert sich weiter. Der politische Journalismus und die politische Kommunikation werden schon allein deswegen digitaler und damit interaktiver werden müssen, weil Papier immer weniger rezipiert wird. Fernsehen wird auch zunehmend nicht linear sondern "on Demand" stattfinden.

Aber machen wir uns nichts vor. Die viel gepriesene Demokratisierung durch das Netz, weil jetzt alle mitreden können, weil die Informationskanäle jetzt in beide Richtungen offen sind, weil Bürger und Politiker jetzt ohne Mittler jederzeit in direkten Kontakt treten können, diese Demokratisierung ist ein wunderbarer Prozess. Aber er wird auf längere Zeit noch ein Prozess sein, an dem vor allem die politischen Eliten teilnehmen.

Die Digitalisierung verändert unser Leben - wie, zeigt die neue, zwölfteilige Artikelserie Digitales Morgen von Süddeutsche.de und VOCER. Diskutieren Sie auf der Google-Plus-Seite mit uns über die Thesen unserer Autoren...

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