Männliche Küken in der Geflügelzucht:Das große Schlachten

Geflügelhaltung - Putenzucht

In der Geflügelzucht werden in Deutschland jährlich 50 Millionen männliche Küken getötet, weil sie wirtschaftlich unbrauchbar sind

(Foto: picture alliance / dpa)

"Die ideale Nutztierhaltung gibt es nicht" - 50 Millionen männliche Küken schlüpfen pro Jahr allein in Deutschland, um sofort wieder zu sterben.

Von Silvia Liebrich

Küken sind niedliche Geschöpfe. Frisch geschlüpft, tapsen sie unbeholfen durch die Welt. Die Werbebranche liebt solche Bilder, nutzt Küken gern als Fotomodelle für Waschmittel und Weichspüler. Doch es gibt auch die hässlichen Bilder, die keiner sehen will: männliche Küken, die sofort nach dem Schlüpfen vergast und geschreddert werden.

50 Millionen an der Zahl sind es allein in Deutschland, jedes Jahr. Sie sind das Nebenprodukt einer industrialisierten Legehennenhaltung: geboren, um zu sterben, weil sie keinen wirtschaftlichen Nutzen bringen. Wegwerfküken, die selbst in der Mast nicht zu gebrauchen sind, weil sie kaum Fleisch ansetzen.

Das große Schlachten, es spielt sich hinter Mauern und Stacheldraht ab, gut geschützt vor neugierigen Blicken. Doch dagegen regt sich immer mehr Widerstand. Nordrhein-Westfalen hat gerade das Töten von Eintagsküken verboten, als bislang einziges Bundesland. Das Verbot hat nur symbolischen Charakter, solange andere nicht nachziehen.

Der weltweit größte Geflügelzüchter, die Erich-Wesjohann-Gruppe mit Verbindungen zu Wiesenhof, sitzt nebenan in Niedersachsen. Um das Verbot müssen sie sich dort nicht scheren. Und es bleibt die entscheidende Frage: Wohin mit den unerwünschten kleinen Brüdern der Legehennen?

Andere Rassen züchten

Florentine Rapp gehört zu jenen, die nach einem Ausweg suchen. Die Agrarwissenschaftlerin macht das, was früher einmal selbstverständlich war: Hühnerrassen zu züchten, bei denen sowohl Hennen als auch Hähne von Nutzen sind. "Wir versuchen die Fehler der Vergangenheit auszugleichen", sagt Rapp, die das Landhuhnprojekt der Herrmannsdorfer Landwerkstätten in Glonn leitet.

Der Ökohof liegt gut 30 Kilometer südöstlich von München, in einer Landschaft, die idyllischer kaum sein könnte, sanfte Hügel, saftig grüne Wiesen, Felder und kleine Waldstücke. Mit einem Eimer unter dem Arm steht die 30-Jährige auf einer Weide und verfüttert Körner an die Schar. Mehr als 200 junge Hühner und Hähne drängen sich zu ihren Füßen. Genau so stellen sich viele Menschen die heile Bauernhofwelt vor. Aber das hier ist nicht die Realität, sondern Versuchsgelände.

"Da darf man sich nichts vormachen. Die ideale Nutztierhaltung gibt es nicht", sagt Rapp. Und sie stellt auch klar: Wer seinen Tieren Gutes tun will, muss Kompromisse machen. Je mehr Auslauf und je besser das Futter, desto höher die Ausgaben.

Es ist nicht einfach, eine Hühnerrasse zu züchten, die beides kann, also viele Eier legen und gutes Fleisch liefern. Für Rapp ist das ein Ansporn. Französische Bresse-Hühner kreuzt sie mit österreichischen Sulmtalern. Letztere waren schon am Wiener Hof wegen ihres schmackhaften Fleisches hoch geschätzt, Bresse-Hühner gelten als zuverlässige Ei-Lieferanten.

Fest steht schon jetzt: An die Leistung anderer, hochgezüchteter Hybridhühner wird die Herrmannsdorfer Kreuzung nie herankommen. Eine Superhenne legt im Schnitt 310 Eier pro Jahr, Rapps Tiere werden es höchstens auf 250 bringen. Immerhin schaffen es die Masthähne dieser Kreuzung auf ein Schlachtgewicht von etwa zwei Kilo. Doch um so viel Fleisch anzusetzen, brauchen sie ein Drittel mehr Futter als ihre Artgenossen in der Massenhaltung.

Ethische Frage statt Massentötung

Für die Projektleiterin von Herrmannsdorfer ist das trotz allem ein gutes Ergebnis. "Hier geht es nicht nur um Leistung, sondern um die ethische Frage, wie wir mit unseren Nutztieren umgehen", sagt Rapp. Für sie sei es nicht akzeptabel, männliche Küken einer rationalisierten Massenproduktion zu opfern, um ein paar Cent zu sparen. Auch die Rechtslage ist eindeutig: das Töten von Tieren "ohne vernünftigen Grund" ist nicht erlaubt. Doch Behörden und Staatsanwälte dulden die systematische Vernichtung männlicher Küken seit Jahren.

Dabei hat alles ganz harmlos angefangen, in den 1920er-Jahren mit einer amerikanischen Hausfrau namens Celia Steele im US-Bundesstaat Delaware. Als sie 50 Küken bestellt, um ihre Familie zu versorgen, kommt es zu einem Missgeschick. Zugestellt werden 500 statt 50 Küken. Doch Steele schickt die Tiere nicht zurück, sondern zieht sie auf. Zehn Jahre später ist aus der Hausfrau eine Hühnerbaronin geworden, mit 250.000 Tieren. Billiges Futter, gemischt mit Vitaminen und Medikamenten, macht es möglich. Die Tiere leben eng zusammengepfercht in dunklen Ställen.

Der amerikanische Schriftsteller Jonathan Safran Foer beschreibt diese Szene in seinem Bestseller "Tiere Essen" als Geburtsstunde der industriellen Geflügelhaltung. Die breitet sich nach dem Zweiten Weltkrieg auch in Europa aus und verdrängt die bäuerliche Haltung. Es beginnt das Artensterben: Unzählige Hühnerrassen verschwinden nach und nach. Sie sind nicht effizient genug, haben damit ausgedient in einer Zeit, in der es um Masse geht.

Heute kontrollieren weltweit nur noch drei Großkonzerne den Genpool. Aus ihren Tierfabriken stammen 95 Prozent des globalen Geflügelbestandes. Dazu gehört auch die Erich-Wesjohann-Gruppe mit ihrer Tochterfirma Lohman Tierzucht. Sie züchten Hybridhühner, die entweder viele Eier legen oder viel Fleisch ansetzen. Diese Spezialisierung hat der Industrie mehr Leistung gebracht. Auf der Strecke geblieben sind dabei die männliche Küken der Legehennenrassen.

Alleskönner für den Hühnerstall

Inzwischen machen nicht nur Tierschützer gegen dieses Vorgehen Druck, sondern auch Verbraucherorganisationen und Umweltverbände. "Der Verlust der genetischen Vielfalt ist ein Problem. Die brauchen wir, um die Zucht neu auszurichten", sagt Reinhild Benning vom Bund für Umwelt und Naturschutz. Selbst Ökobauern beziehen ihre Küken aus den großen Fabriken. "Mit den Grundsätzen der ökologischen Landwirtschaft lässt sich das nicht vereinbaren", findet Benning.

Erst seit etwa drei Jahren versuchen vor allem kleinere Züchter wieder Alleskönner für den Hühnerstall heranzuziehen. Klaus Damme beobachtet dieses Experiment aus nächster Nähe. Der 58-Jährige ist staatlicher Hühnertester. An der Bayerischen Landesanstalt für Landwirtschaft in Kitzingen testet er derzeit drei sogenannte Kombihuhnrassen, darunter auch eine vom Marktführer Lohmann.

Damme warnt vor zu viel Optimismus. "Bei diesen Rassen muss man mit deutlichen Abstrichen bei der Leistung rechnen", sagt er. Das bedeutet höhere Kosten für die Halter, die am Ende an den Verbraucher weitergegeben werden. "Eier und Fleisch von Kombihühnern werden mindestens um 30 bis 50 Prozent teurer sein als aus konventioneller Haltung", prognostiziert er. "Ob der Kunde das zahlen will? Da bin ich skeptisch."

Bei den Herrmannsdorfer Landwerkstätten lässt man sich davon nicht entmutigen. Florentine Rapp macht da ganz andere Erfahrungen. Eier und Fleisch ihrer Kombihühner gibt es im Hofladen zu kaufen. "Brathühnchen gibt's zurzeit leider keine. Die sind aus", sagt sie. Im Eierregal steht noch eine einsame Schachtel. Die Nachfrage ist so groß, dass der Ökohof nun erweitert, finanziert mit Kapital von privaten Geldgebern, die jeweils 300 Euro investieren, die sie später in Form von Gutscheinen für Naturalien zurückbekommen. "Der Andrang ist so groß, dass wir jetzt einen Annahmestopp verhängt haben."

Die Industrie setzt unterdessen auf eine andere Lösung, auf ein Analyseverfahren, mit dem sich schon bei unbebrüteten Eiern das Geschlecht der Küken feststellen lässt. "Bis solche Verfahren ausgereift sind, werden aber wohl noch ein paar Jahre vergehen", meint Hühnertester Damme.

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