EU-Beitritt:Kommission will Verhandlungen mit Türkei wiederbeleben

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Das Land auf zwei Kontinenten ist seit 1999 EU-Beitrittskandidat. (Foto: Reuters)

Die Europäische Kommission drängt auf eine Fortsetzung der Beitrittsverhandlungen mit der Türkei. Das soll aus dem jährlichen EU-Fortschrittsbericht hervorgehen, der am Mittwoch vorgestellt wird. Die Autoren finden anerkennende Worte für das Land - trotz der blutigen Niederschlagung der Gezi-Park-Proteste.

Von Javier Cáceres, Brüssel

Trotz massiver Kritik an der blutigen Niederschlagung der Gezi-Park-Proteste im Sommer rät die Europäische Kommission dringend dazu, dem EU-Beitrittsprozess der Türkei neuen Schwung zu verleihen. Dies ist nach Angaben eines ranghohen Beamten der Kommission die Essenz des jährlichen EU-Fortschrittsberichts über Demokratie und Menschenrechte, der an diesem Mittwoch in Brüssel verabschiedet werden soll.

In dem Dokument heiße es zwar einerseits, dass die "exzessive Gewalt" der Sicherheitskräfte bei den Demonstrationen vom Mai und Juni "schwerwiegende Sorgen hervorgerufen" habe. Sie hätten auch neuerlich den Mangel eines innertürkischen Dialogs sowie die Notwendigkeit weiterer Reformen unterstrichen. Gleichwohl dürfe nicht vergessen werden, dass die Türkei auch auf positive Entwicklungen verweisen könne. Aus Sicht der Kommission sei es daher an der Zeit, "aus dem türkischen Ehrgeiz, sich an europäischen Bezugsgrößen zu orientieren, Kapital zu schlagen", sagte der EU-Beamte, der namentlich nicht genannt werden wollte.

Die Beitrittsverhandlungen zwischen der EU und der Türkei begannen im Jahr 2005. Sie gerieten aber schon bald darauf ins Stocken. Bisher ist gerade mal ein Drittel der 35 Verhandlungskapitel eröffnet; lediglich eins davon ist ausverhandelt. Ursprünglich sollten im Juni die Gespräche über die Regionalpolitik im Rahmen einer Regierungskonferenz aufgenommen werden. Wegen der Repression der Proteste ist daraus nichts geworden.

Das Verhandlungskapitel wurde nur schriftlich für eröffnet erklärt, die PR-trächtige Konferenz auf einen Zeitpunkt nach der Veröffentlichung des Fortschrittsberichts vertagt. Ein neuer Termin ist noch nicht ins Auge gefasst, in der Kommission hofft man auf einen Tag im November. Im Fortschrittsbericht sei jedenfalls "nichts enthalten, was die EU-Mitgliedsstaaten davon abhalten sollte, ihr Versprechen vom Juni zu halten", sagte der EU-Beamte - also die Verhandlungen mit der Türkei wieder aufzunehmen.

Ein Status wie Norwegen

Nach Einschätzung des außenpolitischen Experten der CDU im Europaparlament, Elmar Brok, wird sich die Mehrzahl der Mitgliedsstaaten dieser Empfehlung anschließen. Er hält es aber für geboten, den unlängst vom türkischen Europaminister Egemen Bağış geäußerten Gedanken zu verfolgen, das Ziel einer Vollmitgliedschaft der Türkei in der EU aufzugeben und stattdessen einen Status wie Norwegen anzustreben, das über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) eng mit der Gemeinschaft verbunden ist. "Dies wäre eine Lösung, die für die Türkei gesichtswahrend - und vom Verhandlungsmandat gedeckt wäre. Zudem wäre eine spätere Vollmitgliedsschaft ja nicht ausgeschlossen", sagte Brok der Süddeutschen Zeitung. Die Bedingungen für die Türkei wären dann zwar "nicht so scharf", auf rechtsstaatliche Reformen könne die EU aber weiter pochen.

Zu den Elementen, die im Fortschrittsbericht lobend erwähnt werden, zählen die 4. Justizreform sowie das Demokratiepaket, das Ende September von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdoğan vorgestellt wurde. Es sorgte vor allem deshalb für Schlagzeilen, weil es das Kopftuchverbot für staatliche Bedienstete aufhebt. Anerkennende Worte findet die EU-Kommission aber auch für die Aufarbeitung des Verhaltens der Polizei bei den Protesten, erwähnt werden dabei vor allem die Untersuchungen durch die Verwaltung und die Justiz. Es werden aber auch klare Erwartungen an die türkische Regierung formuliert. So müssten die Ermittlungen europäischen Standards entsprechen, die Verantwortlichen der Übergriffe zur Rechenschaft gezogen werden. Zudem werden weitere Reformen angemahnt. Sie sollen das Recht auf freie Meinungsäußerung, die Medienfreiheit und das Versammlungsrecht stärken.

Ausdrücklich wird der Opposition Respekt gezollt. Deren Proteste seien Ausdruck des Wandels, den die Türkei im vergangenen Jahrzehnt erlebt habe. Ankara sollte "Profit aus dem Erwachen der Zivilgesellschaft schlagen, anstatt sie zu bekämpfen", sagte der EU-Beamte. Die Regierung sei gut beraten, den Dialog mit den Protestierenden zu suchen. Was die Hoffnung der Türkei auf Visa-Erleichterungen anbelangt, bleibe sie an die Forderung gekoppelt, ein so genanntes Rückkehrabkommen zu unterzeichnen. Die Türken sollen sich darin verpflichten, "illegale Zuwanderer", die über türkisches Territorium in die EU gelangen, zurücknehmen.

© SZ vom 16.10.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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