Katholische Kirche im Nationalsozialismus:Auf welcher Seite stand Kardinal von Faulhaber?

Kardinal Michael von Faulhaber.

War Kardinal Michael von Faulhaber Nazi-Sympathisant oder nicht? Dieser Frage gehen nun unabhängige Forscher nach.

(Foto: dpa)

Für Hitler fand Kardinal Michael von Faulhaber oft lobende Worte, doch die Nazis hielten ihn für ihren Gegner: Wo stand der damalige Erzbischof von München und Freising wirklich? Forscher entziffern nun seine privaten Tagebücher.

Von Jakob Wetzel

Wo stand er damals wirklich, der Erzbischof von München und Freising? Die Nationalsozialisten hielten Kardinal Michael von Faulhaber für ihren Gegner, SA-Schläger suchten sein Palais heim. Für Papst Pius XI. entwarf Faulhaber die gegen die Nazis gerichtete Enzyklika "Mit brennender Sorge", und er engagierte sich auch für eine Aussöhnung von Christen und Juden. Doch im Jahr 1933 weigerte er sich, die Judenboykotte der Nazis zu verurteilen.

Aus seiner Verachtung für die Weimarer Republik machte er nie einen Hehl, er schätzte das Militär und trauerte dem Kaiserreich nach. Für Adolf Hitler fand Faulhaber oft lobende Worte. Nach dem misslungenen Attentat Georg Elsers 1939 schrieb er dem Diktator gar ein Glückwunschtelegramm. Und im Dom ließ er ein "Te Deum" für ihn beten - ob aus taktischen Überlegungen oder aus Überzeugung, ist unklar. Kardinal Faulhaber ist, alles in allem, eine widersprüchliche und umstrittene Figur geblieben. Doch das könnte sich nun ändern.

Die DFG fördert das Projekt mit 800.000 Euro

Forscher des Münchner Instituts für Zeitgeschichte und der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster erschließen derzeit in Zusammenarbeit mit dem Erzbischöflichen Archiv in München die privaten Tagebücher des Kardinals. Und sie erhoffen sich Aufschluss darüber, was im Erzbischof selbst vor sich ging, als er zwischen Sympathiebekundungen und Kritik an den Nationalsozialisten lavierte.

Am Dienstag stellten die Wissenschaftler ihr Projekt im Erzbischöflichen Ordinariat vor - ein aufwendiges Vorhaben, weil Faulhaber sein Tagebuch in Gabelsberger-Stenografie verfasst hat, einem Vorläufer der heute gängigen Kurzschrift, den nur noch wenige Forscher entziffern können. Faulhaber wollte so nicht zuletzt seine Gedanken vor den Augen der Gestapo schützen.

In den nächsten zwölf Jahren werden nun zehn Forscher und Hilfskräfte in München die handschriftlichen Aufzeichnungen übertragen, kommentieren und nach und nach im Internet veröffentlichen. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) fördert das Projekt über drei Jahre hinweg mit 800.000 Euro. Die ersten Abschnitte der übertragenen Tagebücher sollen im Herbst 2014 online verfügbar sein. Einen genauen Termin gibt es noch nicht, so wenig wie eine Internet-Adresse.

Aufzeichnungen von 52.000 Gesprächen

Faulhaber war von 1911 bis 1917 Bischof von Speyer und danach bis zu seinem Tod im Jahr 1952 Erzbischof von München und Freising; er erlebte in dieser Zeit Kaiserreich, Weimarer Republik, Nationalsozialismus und die Anfänge der Bundesrepublik - und an jedem Tag schrieb er in kleine, schwarze Bücher, die in seine Soutane passten, wie er sich fühlte, was er getan hatte, mit wem er gesprochen hatte und worüber. Die Bände beinhalten Aufzeichnungen zu etwa 52.000 Besuchen und Gesprächen. Daneben werden etwa 400 weitere Protokolle sowie der Großteil des erzbischöflichen Briefverkehrs aus Faulhabers letzten fünf Lebensjahren ausgewertet.

Dass die Dokumente erst jetzt erforscht werden, hängt nicht nur mit langen Sperrfristen zusammen - erzbischöfliche Dokumente bleiben bis 60 Jahre nach dem Tod des Amtsträgers unter Verschluss. Die Tagebücher waren auch deshalb nicht verfügbar, weil Faulhabers letzter Sekretär, der Prälat Johannes Waxenberger, die Bücher nach dessen Tod an sich genommen hatte.

In den folgenden Jahren spielte er immer wieder ausgewählten Historikern einzelne Passagen zu, um ein möglichst günstiges Bild von Faulhaber zu zeichnen. Überprüfen und in den richtigen Kontext stellen konnte die Auszüge aber niemand, denn die vollständigen Tagebücher verwahrte Waxenberger in einem Pappkarton, versteckt unter seinem Bett. Immerhin: Die Aufzeichnungen blieben offenbar unverfälscht. Dafür ergänzte sie der Prälat zuweilen um Blätter mit eigenen Notizen.

Faulhaber schildert authentische Gefühle und Ängste

Nach dem Tod Waxenbergers im Juni 2010 wanderte der Pappkarton ins Erzbischöfliche Archiv und damit in die Verfügungsgewalt des heutigen Erzbischofs Reinhard Marx. Der entschied, die Akten öffentlich zu machen. Seit April 2012 erhalten Forscher nun Einsicht in die Tagebücher Faulhabers. Wirklich nutzen aber konnte sie bislang nur, wer die Kurzschrift des alten Kardinals entziffern kann.

Marx selbst gehört nicht dazu. Er sei ebenfalls gespannt, was die Forscher entdecken würden, sagte der Kardinal am Dienstag. Angst vor hässlichen Fundstücken in Faulhabers Nachlass hat er nicht: "Nichts, was in den Archivalien zutage treten könnte, kann der Kirche mehr schaden als der Verdacht, wir würden etwas verschweigen oder vertuschen wollen", sagte Marx.

Was die Wissenschaftler in den Dokumenten bereits entdeckt haben, möchten sie nicht sagen, sie wollen nicht vorschnell urteilen. Von den Tagebüchern aber sind sie begeistert. Faulhaber sei ein aufmerksamer Beobachter gewesen, sagte am Dienstag Andreas Wirsching vom Institut für Zeitgeschichte. Zudem handle es sich um "Ego-Dokumente": Geschildert würden nicht nur formelle Handlungen wie in einigen bereits bekannten Akten, sondern auch authentische Gefühle und Ängste. Zudem sei das Forschungsprojekt wegweisend: In vielen Archiven gebe es zahlreiche weitere, ebenfalls in Gabelsberger-Kurzschrift verfasste Handschriften, sagte Wirsching. Bislang würden diese ein "Schattendasein" fristen: Es könne sie einfach niemand entziffern.

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