Eignungstest für angehende Lehrer:Pädagogen-Parcours in Passau

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Die Universität Passau. Hier gibt es einen Eignungstest für angehende Lehrer.

(Foto: Johannes Simon)

"In Bayern ist es vollkommen irrelevant, ob ein Lehrer Kinder mag", sagt Schulpädagogik-Professor Norbert Seibert. 40 Prozent der Absolventen seien für den Lehrerberuf ungeeignet. An der Universität Passau gibt es deshalb einen deutschlandweit einzigartigen Eignungstest für angehende Lehrer - an dem nicht wenige Bewerber scheitern.

Von Tina Baier

"Ich bin die Lilly", sagt die junge Frau und sieht dabei aus wie ein kleines Mädchen. Die Kamera läuft. Lilly macht ein Gesicht, als würde sie am liebsten umdrehen und wieder zur Tür hinauslaufen, durch die sie gerade den Seminarraum des Lehrstuhls für Schulpädagogik an der Universität Passau betreten hat. Die Mitglieder der Jury schauen sie an. Lilly holt tief Luft und fängt leise an zu sprechen.

Die schüchterne junge Frau ist eine von zwölf Kandidaten und Kandidatinnen (alle Namen geändert), die an diesem Tag in Passau den "Parcours" absolvieren, einen deutschlandweit einzigartigen Eignungstest für angehende Lehrer. 479 Studenten haben sich im Wintersemester in Passau für ein Lehramtsstudium eingeschrieben, 75 von ihnen haben sich freiwillig für den Parcours gemeldet. Getestet wird, ob die Bewerber von ihrer Persönlichkeit her das Potenzial haben, gute Lehrer zu werden.

Dazu gehören fünf Grundeigenschaften, sagt Lehrstuhlinhaber Norbert Seibert, der den Test entwickelt hat: Extraversion, Neugier, Gewissenhaftigkeit, Offenheit sowie "geringer Neurotizismus", anders ausgedrückt, starke Nerven. "Bis zu 40 Prozent der Lehrer sind für diesen Beruf eigentlich ungeeignet", sagt Seibert. Das sei sowohl für die betroffenen Lehrer als auch für ihre Schüler fatal.

Überforderte Lehrer würden oft krank und ihre Schüler lernten nichts. Seibert ist überzeugt, dass es in Bayern zu viele schlechte Lehrer gibt, und dass dies einer der Gründe dafür ist, dass jedes Jahr etwa 21.000 Jugendliche die Schule ohne Abschluss verlassen. "Jeder kann in Bayern Lehramt studieren", sagt er. "Und wird dann auf unsere wertvollste Ressource, die Kinder, losgelassen."

Der Parcours funktioniert wie ein Assessment-Center. Die Bewerber müssen verschiedene Aufgaben bewältigen und werden dabei von einem Expertengremium beobachtet, das sich aus Lehrern, Rektoren, Schulräten und Lehrstuhlmitarbeitern zusammensetzt. Alles wird gefilmt, um es später wissenschaftlich auswerten zu können. Am Ende steht ein Abschlussgespräch. "Manche brechen zusammen, wenn sie erfahren, dass wir sie für ungeeignet halten", sagt Seibert. Sein Team bemüht sich, solchen Bewerbern Alternativen aufzuzeigen.

"Das ist ein Lehrer aus Überzeugung"

Bei Andreas, der später Mathematik und Informatik am Gymnasium unterrichten will, stellt sich die Frage nach Alternativen nicht. Es scheint, als würde er den Auftritt vor der Jury genießen. Er ist begeisterter Mathematiker und schafft es, die Experten mit dieser Begeisterung anzustecken. Am Ende sind sich alle einig: "Das ist ein Lehrer aus Überzeugung". Solche Leute sucht Seibert.

Stattdessen trifft er oft auf Studenten, für die das Lehramt eine Verlegenheitslösung ist. Auf Menschen, die vor allem die Aussicht auf einen sicheren, familienfreundlichen Arbeitsplatz anzieht, oder die sich mit diesem Studium bewusst oder unbewusst selbst helfen wollen. So wie Peter, der aus Polen kommt, schlecht Deutsch spricht, aber unbedingt Deutschlehrer werden will. "Wahrscheinlich weil er hofft, an der Universität besser Deutsch zu lernen", vermutet Martina Hechinger, die das Parcours-Projekt leitet. Auch Lilly, deren Auftritt die Jury ziemlich ratlos zurücklässt, könnte so ein Fall sein. "Mir kommt es vor, als ob sie Lehrerin werden will, weil sie hofft, auf diese Weise ihre Schüchternheit zu überwinden", sagt einer.

"Sie wird scheitern"

Dieser Eindruck verfestigt sich bei der zweiten Aufgabe, einer Gruppendiskussion. Bei Lilly gibt es für die Experten nicht viel zu beobachten. Sie sitzt still da und spricht nur ein einziges Mal - nachdem sie von einer anderen Teilnehmerin dazu aufgefordert worden ist. "Das kann nicht funktionieren, sie wird scheitern", sagt Seibert. "Wir brauchen Leute, die schon sehr viel mitbringen, denn die Lehrerausbildung in Bayern ist schlecht." Seibert bemängelt vor allem, dass im Studium viel zu wenig Wert auf Pädagogik gelegt wird. Bei einem angehenden Gymnasiallehrer zum Beispiel mache der Bereich "Schulpädagogik" nur 1,58 Prozent der Gesamtnote aus. "In Bayern ist es vollkommen irrelevant, ob ein angehender Lehrer Kinder mag oder nicht", sagt Seibert.

Auf genau diesen Punkt zielt die letzte Übung ab. Sind die künftigen Lehrer in der Lage, sich in einen Schüler hineinzuversetzen, auch wenn der sich unmöglich aufführt? Den meisten fällt diese Aufgabe sehr schwer. Zunächst ist eine kurze Filmsequenz zu sehen. Ein halbwüchsiger Schüler weigert sich, die Füße von der Bank zu nehmen. Seine Lehrerin schimpft, schreit und wird immer hektischer. Schließlich droht sie mit dem Gang zum Rektor und mit Schulausschluss. Der Schüler, der zwei Köpfe größer ist, steht gelassen auf und sagt: "Komm, ge'ma Rektorat".

Manche Teilnehmer wirken richtig geschockt als sie anschließend vor der Jury analysieren sollen, warum die Situation derart eskaliert ist. Die Hände des vorher so selbstbewussten Andreas zittern. "Viele Studenten haben ein sehr idealisiertes Bild des Lehrerberufs", sagt Hechinger. Der Film konfrontiere sie mit der harten Realität. Kaum einer der Kandidaten schafft es, sich in die Situation des aufmüpfigen Jugendlichen hineinzuversetzen. Katja versucht es zumindest, tritt dabei aber erst recht ins Fettnäpfchen. Der Schüler sei ja offenbar Türke und habe als Südländer eben ein aufbrausendes Temperament, sagt sie.

Das kommt bei der Jury gar nicht gut an. "Kultursterotype sind immer sehr gefährlich", sagt Robert Schneider, Seiberts Stellvertreter, im Abschlussgespräch. Offenbar hat er den Eindruck, dass sich die junge Frau noch zu wenig mit dem Lehrerberuf auseinandergesetzt hat. "Bedenken Sie, dass Sie als Grundschullehrerin unter Umständen Positionen vertreten müssen, hinter denen Sie persönlich gar nicht stehen, die Sie aber vertreten müssen, weil die Schule dahintersteht oder das System", gibt er Katja mit auf den Weg.

Dass sie selbst einmal durchs Abitur gefallen ist, wird ihr dagegen als Pluspunkt angerechnet. "Das ist eine Erfahrung, die Ihnen helfen wird, Kinder, die in der Schule Probleme haben, besser zu verstehen", sagt Schneider. Am Ende bekommt Katja ihre Empfehlung fürs Lehramt; Andreas sowieso. Und was wird aus Lilly? Bei diesem Abschlussgespräch will Hechinger lieber keine Zuhörer dabei haben.

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