Abgeordnete mit Migrationshintergrund:"Extrawürste gibt es keine"

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Fremde Wurzeln, deutsche Politik: Im neuen Bundestag sitzen mehr Menschen mit Migrationshintergrund als je zuvor. Cemile Giousouf, Lars Castellucci, Özcan Mutlu und Susanna Karawanskij sprechen über Werte, Quoten und Exotenbonus.

Von Antonie Rietzschel, Berlin

Im Parlament werden ab dem 22. Oktober mehr Abgeordnete mit Migrationshintergrund sitzen als je zuvor. Der Mediendienst Migration hat ermittelt, dass deren Zahl im Vergleich zu 2009 von 21 auf 37 gestiegen ist. Sie machen damit 5,9 Prozent der insgesamt 631 Abgeordneten aus. In der Bevölkerung sind es 19 Prozent.

Besonders auffällig sind die Entwicklungen bei SPD und CDU. Für die Sozialdemokraten saßen zuletzt vier Abgeordnete mit ausländischen Wurzeln im Bundestag, in Zukunft werden es 13 sein. Bei den Christdemokraten gewannen acht ein Mandat - in den vergangenen vier Jahren saß nur ein Abgeordneter mit Migrationshintergrund für die Partei im Bundestag. Süddeutsche.de hat in jeder Partei einen Abgeordneten befragt, welche Rolle die Herkunft in der Politik spielt.

Cemile Giousouf vor der Bundestagswahl in ihrem Wahlkreis in Hagen. (Foto: dpa)

Cemile Giousouf, 35, CDU

"Die erste Muslimin der CDU im Bundestag" - das ist kein Titel auf den ich besonders stolz bin. Ich empfinde mich nicht als Vorzeigeabgeordnete, es gibt in unserer Partei noch mehr Musliminnen, auch auf kommunaler Ebene. Vor allem auf Landes- und Bundesebene ist natürlich noch Luft nach oben, aber es wird immer normaler werden, dass sich Migranten in der Partei engagieren. In zehn Jahren werden wir keine Journalistenfragen mehr dazu beantworten müssen. Mein Mandat ist mir ja auch nicht einfach so in den Schoß gefallen, ich habe hart dafür gearbeitet. Ich komme nicht aus einer Akademikerfamilie, meine Eltern waren einfache Gastarbeiter.

Die CDU galt unter Zuwanderern lange als nicht wählbar. Ich habe schon oft die Frage gehört: "Was haben die denn schon für uns gemacht?" Seit 2005 sehr viel, finde ich. Angela Merkel hat das Thema Integration als Ressort immerhin ins Bundeskanzleramt geholt und damit zur Chefinnensache gemacht. Dass es in Nordrhein-Westfalen religiösen Islamunterricht gibt, ist auch ein Verdienst des früheren Integrationsministers Armin Laschet. Auf Bestreben von Generalsekretär Hermann Gröhe haben wir in diesem Jahr das Netzwerk Integration gegründet. Mir und meinen Parteikollegen mit Migrationshintergrund war es im Wahlkampf sehr wichtig, diese Erfolge herauszustellen. Ich habe in meinem Wahlkreis auch gezielt Zuwanderer angesprochen. Ich denke, es sind auch deren Stimmen, die letztlich zum positiven Abschneiden der CDU beigetragen haben.

Während des Wahlkampfes wurde ich immer wieder gefragt, wie ich als Muslimin in der CDU meine politische Heimat finden kann - nicht zuletzt wegen des "C" im Namen der "Christlich Demokratischen Union". Ich bin ein wertkonservativer Mensch und finde es wichtig, religiöse Werte herauszustellen. Mir ist egal, um welche Religion es sich handelt. Ob Christen, Juden oder Muslime - am Ende geht es doch um dieselben Interessen: Seinen Glauben ohne Schwierigkeiten ausüben zu können, einen schönen Platz zum Beten zu haben und nach den religiösen Riten beerdigt werden zu können. Natürlich gibt es Menschen, die sagen, ich passe nicht zur CDU - aber das wird sich nach und nach ändern.

Lars Castelluci glaubt, dass sich die Situation normalisiert. (Foto: SPD)

Lars Castellucci, 39, SPD

Mein Vater kam der Liebe wegen aus Italien nach Deutschland. Zuhause sprachen wir jedoch kein Italienisch. Meine Mutter, eine waschechte Kurpfälzerin, redete nur Hochdeutsch, damit er die Sprache lernen kann. Deswegen spreche ich nicht mal Kurpfälzisch, was ich sehr schade finde.

Ich dachte tatsächlich, dass ich es mit meinem italienischen Nachnamen in der Politik schwerer haben würde. Aber es hat sich schnell herausgestellt, dass meine Sorgen unnötig waren. In der SPD war ich hochwillkommen und erzielte bei Kommunalwahlen schnell mit die besten Ergebnisse in der Stadt.

Ich glaube, dass es immer normaler wird, dass Migranten und ihre Kinder in die Politik gehen. Ich erlebe in Baden-Württemberg, wie sie sich einbringen. Nicht nur in Vereinen, sondern auch in Parteien. Viele kandidieren zum Beispiel für den Stadtrat. Aber von allein geht das natürlich nicht. Die SPD in Baden-Württemberg achtet schon lange darauf, dass sich auch Menschen mit Migrationshintergrund erfolgreich für ein politisches Mandat bewerben können. Aber: Extrawürste gibt es keine.

Mit dem Thema Integration werde ich mich während meiner Arbeit als Abgeordneter nicht speziell beschäftigen. Ich halte es auch für falsch, das Thema isoliert zu sehen. Man kann sich auch im Wirtschaftsausschuss für die Belange von Migranten einsetzen.

Özcan Mutlu gehört zu den dienstältesten Politikern mit Migrationshintergrund. (Foto: Rainer Christian Kurzeder; Grüne)

Özcan Mutlu, 45, Die Grünen

Ich bin einer der dienstältesten Politiker mit Migrationshintergrund in Deutschland: Seit 13 Jahren bin ich bildungspolitischer Sprecher bei den Grünen in Berlin. Für viele Menschen bin ich vor allem der türkischstämmige Politiker. Ich selbst sehe mich aber gar nicht so: Migrations-, Flüchtlings- und Ausländerpolitik habe ich immer gemieden. Auch meine Partei hat sich in den neunziger Jahren schwer getan, das zu akzeptieren. Doch inzwischen sind Abgeordnete wie Cem Özdemir oder Omid Nouripour als Politiker mit ihren jeweiligen Schwerpunkten anerkannt. Unsere Herkunft ist innerhalb der Partei egal.

Da sind wir Grünen weiter als die CDU, die sich zur ersten Muslimin im Bundestag, zur ersten türkischen Ministerin in Niedersachsen gratuliert und das Soll damit als erfüllt sieht. Dabei ist das überhaupt nicht die Frage. Statt den ethnischen oder religiösen Hintergrund der Menschen in den Vordergrund zu stellen, sollte man eine ordentliche Partizipationspolitik machen, die diese Gruppe auch einschließt. Menschen mit Migrationshintergrund sollten mit ihren Qualifikationen so anerkannt werden, wie sie sind und nicht auf ihre Herkunft reduziert werden. Dann entwickelt sich das auch.

Auch wenn mir da konservative Politiker widersprechen werden: Ich finde, die Integration ist in unserem Land gelungen - das sieht man nicht nur bei Mesut Özil, der für Deutschland Tore schießt, oder dem erfolgreichen Filmemacher Fatih Akin. Das sieht man auch bei Migranten, die morgens um sechs Uhr aufstehen, um zu arbeiten und die ihre Steuern zahlen. Wir konzentrieren uns in der Diskussion immer nur auf das Kopftuch, Ehrenmorde oder gewalttätige Jugendliche. Diese Probleme gibt es - aber man sollte auch die helle Seite der Medaille betrachten.

Ich war fünf Jahre alt, als ich mit meiner Familie aus der Türkei nach Deutschland gekommen bin und wurde 1990 deutscher Staatsbürger. Ich fand es so wundervoll, dass sich nach einer friedlichen Revolution die deutschen Völker diesseits und jenseits der Mauer friedlich vereinigt haben. Da entschloss ich mich zu diesem Schritt. Kurz danach bin ich auch den Grünen beigetreten. Ich wollte politische Verantwortung übernehmen.

Susanna Karawanskij ist seit 2008 in der Linken. (Foto: Die Linke)

Susanna Karawanskij, 33, Die Linke

Mein Vater stammt aus dem östlichen Teil der heutigen Ukraine. 1980 kam er wegen meiner Mutter nach Leipzig - aus der Verbindung bin ich entstanden. Dass mein Vater kein Deutscher ist, hat bisher keine große Rolle gespielt. Natürlich habe ich mich im Russischunterricht leichter getan als alle anderen, weil ich die Sprache konnte - meine Mitschüler baten mich deshalb schon mal um Hilfe.

Während des Wahlkampfes wurde ich auch gelegentlich auf meinen Nachnamen angesprochen, aber wirklich ungewöhnlich ist es nicht, in dieser Region "Karawanskij" zu heißen. Hier im Osten entstanden zu DDR-Zeiten viele Misch-Ehen, slawische Namen sind überall zu finden. Wahrscheinlich wäre es etwas anderes, wenn ich einen türkischen Namen hätte. Das wäre eher exotisch, da es in der DDR keine türkischen Migranten gab.

Mein Migrationshintergrund interessierte mich vor allem aus der Forscherperspektive. Während meines Politikwissenschaftsstudiums habe ich mich mit der Identitätsfindung in postkommunistischen Ländern beschäftigt und einen Essay über die ukrainische Frau geschrieben. Es ging darum, inwiefern der Wegfall der Deutungsmacht eines sozialistischen Staates das Wertesystem verändert.

Natürlich würde ich mir in der Politik eine offenere Debatte über Migration wünschen - aber das mache ich nicht an meiner Herkunft fest. Ich würde mich freuen, wenn wir anfangen würden, uns als Europäer zu verstehen - als eine Gesellschaft, in der es Migration schon immer gegeben hat. Denn das hat sie. Wo kämen sonst all die slawischen Namen wie mein eigener her?

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