NSU-Prozess:"Völlig inkompetent"

Nach dem Mord am Griechen Theodoros Boulgarides in München sahen sich zwei Männer in einem grünen Jaguar am Tatort interessiert um. Obwohl die beiden mit führenden Neonazis verkehrten, verfolgten die Ermittler die Spur in die rechte Szene nicht weiter. Dafür muss sich der leitende Beamte von der Nebenklage heftige Kritik gefallen lassen.

Aus dem Gericht von Annette Ramelsberger

Es ist immer wieder frappierend, welche Fragen die Polizisten bei den Ermittlungen um die zehn Toten des NSU gestellt haben - und welche nicht. Da wurde die Lebensgefährtin des in München ermordeten Griechen Theodoros Boulgarides gefragt, ob sie die Pille nehme. Was das mit der Aufklärung der Mordtat zu tun haben sollte, erschließt sich nicht.

Dafür aber fragte die Polizei nicht ernsthaft, was die zwei Rechtsradikalen am Tatort zu suchen hatten, die drei Tage später mit ihrem grünen Jaguar dort vorfuhren und sich sehr interessiert umsahen. Während die Polizei wochenlang die Ehefrau des Ermordeten beschatten und belauschen ließ, gab sie sich im Fall der beiden Rechten damit zufrieden, dass deren Kontakte zu den Größen der Münchner Naziszene "rein privater Natur" waren.

In dieser Woche ging es im NSU-Prozess vor dem Münchner Oberlandesgericht auch um den Mord an Theodoros Boulgarides. Er hatte gerade einen Schlüsseldienst-Laden an der Donnersberger Brücke eröffnet, als ihn die Mörder am Abend des 15. Juni 2005 erschossen. Schon am Tag danach war klar, dass die Tatwaffe die gleiche war wie bei den sechs Serienmorden zuvor. Und dennoch wurde vor allem in der Familie des Toten ermittelt. Dass die Neonazigrößen Martin Wiese und Norman Bordin in einer Nazi-WG direkt in Sichtweite des Tatorts wohnten, kann Zufall sein oder auch nicht. Das Interessante ist: Es hat die Polizei nicht interessiert.

Es verfestigt sich der Eindruck, dass die Polizei nicht sehr viel Ahnung hat von der rechtsradikalen Szene. Die Soko, die sich um den Mord kümmerte, zog niemanden vom Staatsschutz hinzu, dafür aber Beamte, die sich um Organisierte Kriminalität kümmern. Sie gab sich zufrieden, dass die Männer im Jaguar sagten, sie gingen nur mit Wiese und Bordin kegeln, aber nicht auf politische Kundgebungen. "Es gab keinerlei Anlass, an ihrer Aussage zu zweifeln", sagte der Ermittlungsführer. "Einer sagte, er habe einen Moslem als Freund, sie hätten nur mal mit Skinheads sympathisiert."

Nebenklage vermutet Verbindung zur regionalen Neonaziszene

Die Münchner Anwälte Yavuz Narin und Angelika Lex, die die Familie Boulgarides vertreten, gehen davon aus, dass der NSU aus den regionalen Neonaziszenen Unterstützung bekam und vielleicht auch Tipps für Anschlagsziele. Zu beweisen ist das bisher nicht, aber die Versäumnisse bei den Ermittlungen sind auffallend. Alle Bezüge zu Rechtsextremen wurden von der Polizei geradezu ausgeblendet.

Anwalt Narin nannte den Polizisten "völlig inkompetent". Er erkenne rechte Bezüge nicht, "selbst wenn die Leute mit Bordin und Wiese verkehren". Auch Angelika Lex kritisierte am Mittwoch, die Vernehmung der beiden Rechten sei "ohne jegliche Sachkunde" erfolgt. Der Beamte habe sich abspeisen lassen und keinerlei Nachfragen beim Staatsschutz veranlasst. So sei wieder eine Spur, die zum NSU hätte führen können, nicht verfolgt worden. Dafür habe man nach dem Schema einer Beziehungstat ermittelt, obwohl längst klar war, dass der Mord an Boulgarides Teil einer Serie war. Vor allem aber bemängelte Anwältin Lex eines: Der Ermittlungsführer habe in der Verhandlung für die Familie kein Wort des Bedauerns und der Entschuldigung gefunden.

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