Nach den Sondierungsgesprächen:Wie Union und SPD zusammenfanden

Die Einigung zeichnete sich bereits auf einem Balkon ab: Bereits am kommenden Mittwoch soll die erste offizielle Koalitionsrunde zwischen Union und SPD stattfinden. Auch NRW-Ministerpräsidentin Kraft, bisher größte Gegnerin von Schwarz-Rot, unterstützt den Kurs von Parteichef Gabriel. CSU-Chef Seehofer sagt: "Es passt."

Von Susanne Höll und Robert Roßmann, Berlin

Es ist ein Bild, das das Ergebnis der Sondierung schon zwei Stunden vor deren Ende vorwegnimmt. Auf dem Balkon der Parlamentarischen Gesellschaft tauchen auf einmal fünf Teilnehmer des Gesprächs auf. Hermann Gröhe, Peter Ramsauer und Ronald Pofalla sind da zu sehen. Aber die Blicke richten sich auf Hannelore Kraft und Alexander Dobrindt. Die Ministerpräsidentin aus Nordrhein-Westfalen und der CSU-Generalsekretär aus Bayern galten spätestens seit der Sondierungsrunde am Montag als größte Antipoden in einer möglichen großen Koalition.

Heftig gefetzt

In der Runde hatten sich die beiden heftig gefetzt. Kraft soll sich anschließend sogar bei der Kanzlerin über Dobrindt beschwert haben. Doch jetzt stehen die beiden auf dem Balkon, als ob es den Konflikt nie gegeben hätte. Wissend um die Kameras, die auf sie gerichtet sind, scherzen die beiden miteinander. Und dann reichen sie sich sogar die Hand. Es ist das Bild zu diesem Tag: SPD und Union wollen es miteinander probieren.

Als die Sondierung dann tatsächlich vorbei ist, tritt SPD-Chef Sigmar Gabriel als erster vor die Presse. Und schon nach wenigen Sätzen wird klar, dass Kraft ihren Widerstand gegen ein Bündnis mit der Union wirklich aufgegeben hat - zumindest vorerst. Sondierungen seien noch keine Koalitionsverhandlungen, sagt Gabriel. Es sei jetzt nur darum gegangen festzustellen, ob Koalitionsverhandlungen mit der Union erfolgreich sein können. Und die Sondierungsgruppe der SPD habe "einstimmig beschlossen, dass die Aufnahme Sinn macht". Einstimmig - damit es wirklich jeder mitbekommt, wird Gabriel das Wort später noch einmal wiederholen -, das heißt mit Unterstützung Krafts. Die Ministerpräsidentin, bisher größte Gegnerin einer großen Koalition, ist also mit im Boot.

"Es stimmt"

Etwas später greift Dobrindt die Geschichte mit seiner neuen Freundin selbst noch einmal auf. Der Generalsekretär steht mit seinem CDU-Kollegen Gröhe vor den Kameras. Man sieht ihm schon an, dass er sich freut, etwas loszuwerden. Und dann erzählt Dobrindt seine Anekdote. Unionsfraktionschef Volker Kauder habe Kraft und ihm in der Sondierung empfohlen, sich doch auszusöhnen. "Frau Kraft hat dann gesagt, das haben wir doch längst gemacht, auf dem Balkon." Er, Dobrindt, habe in der Sitzung dann nichts mehr dazu gesagt - "aber es stimmt".

Am Montag hatte die SPD-Delegation noch Zweifel, jetzt ist sie sich offenbar sicher, erfolgreich vor ihren Konvent treten zu können. Es gebe bei den strittigen Themen zwar noch keine konkreten Ergebnisse, sagt Gabriel. "Aber wir glauben, dass wir eine gemeinsame Basis mit der Union finden können, um Koalitionsverhandlungen auch zu einem erfolgreichen Ende zu bringen."

Ob das fast einstündige Dreier-Gespräch der Parteichefs zum Auftakt der Sondierung den Durchbruch gebracht habe, will ein Reporter von Gabriel wissen. "Den Durchbruch gebracht haben nicht Einzelgespräche, sondern alle Sondierungsgespräche, die wir gemacht haben", beteuert der SPD-Chef.

Horst Seehofer sieht das aber ganz anders. Der CSU-Chef verlässt als einer der wenigen die Parlamentarische Gesellschaft durch den Haupteingang. Er ist sichtlich gut gelaunt. Haben die drei Parteichefs für das Einvernehmen gesorgt? Seehofer nickt heftig mit dem Kopf. Was dort genau verabredet wurde, soll aber nicht publik werden. Das hat man sich versprochen. Nur so viel weiß man zunächst: Das Gespräch kam auf Bitten Gabriels zu Stande, den die SPD-Delegation wegen der schwierigen Lage um eine solche Spitzenrunde gebeten hatte.

Um den Mindestlohn ging es in der Dreier-Runde - und um ein paar Dinge mehr. Dabei scheint genügend Vertrauen zwischen den Chefs entstanden zu sein, dass man am Ende der Koalitionsverhandlungen zu Lösungen kommen kann, die allen drei Parteien genügen. Nur einen Hinweis will Gabriel geben: "Die Union weiß, dass ein flächendeckender gesetzlicher Mindestlohn von 8,50 Euro eine zentrale Aufgabe ist, ohne die am Ende eine Koalition für die SPD keinen Sinn machen würde."

Sogar Kraft lächelt

Seehofer hat dann doch noch einiges zu erzählen. Dass er zufrieden sei, sehr sogar. Auch die SPD könne zufrieden sein - und Kraft sei es auch. "Sie hat am Ende gelächelt, und auch am Anfang schon", sagt Seehofer. Das will etwas heißen. Seltene Harmonie. Es wird mit Sicherheit auch wieder anders werden - wenn die Koalitionsverhandlungen am kommenden Mittwoch tatsächlich beginnen. Aber jetzt präsentiert sich Seehofer, der im August noch erklärt hatte, eine Koalition mit der SPD werde es nicht geben, erst mal als großer Freund der Sozialdemokratie.

Ob er denn auch die Seele jener Genossen verstehe, die nicht so zufrieden sind mit der Aussicht auf Schwarz-Rot, will jemand wissen. Seehofer lächelt milde. Natürlich, sagt er - "schließlich hat man mich in Bayern schon mal als den letzten Sozialdemokraten bezeichnet". Er steht ohne Mantel da - und will jetzt nach Hause. Ein letzter Satz noch. "Es passt", sagt Seehofer. Er meint die große Koalition.

Und was sagt die Kanzlerin zu alldem? Öffentlich erst einmal nichts. Aus der Telefonschaltkonferenz des CDU-Präsidiums verlautet, Merkel habe die Gespräche als "fair und intensiv" bezeichnet. Zentrales Anliegen einer neuen Regierung müsse es sein, Beschäftigung zu sichern. Das war's.

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