Nach Kießlings Phantomtor:Mit künstlicher Dummheit belegt

Felix Brych

Schiedsrichter wie Felix Brych stehen immer wieder vor unlösbaren Entscheidungen, technische Hilfsmittel erlaubt ihnen die Fifa allerdings nicht.

(Foto: Carmen Jaspersen/dpa)

Die Fifa gewährt ihren Referees päpstliche Befugnisse: Ihr Pfiff gilt, sei er noch so absurd. Was an diesem Wochenende in Hoffenheim passierte, verdeutlicht wieder einmal, dass der Weltverband sich endlich der Einführung des Videobeweises öffnen sollte.

Ein Kommentar von Thomas Kistner

Ohne die oberste Regelhüterin Fifa geht nichts in Sachen Phantomtor. Daher ist zu hoffen, dass sich die DFB-Richter jetzt nicht servil an deren veraltete Vorgaben klammern - sondern den Weltverband zwingen, in der Sache selbst die letzte Entscheidung zu treffen. Das Phantomtor hat das Potenzial, die mysteriöse Motivlage ans Licht zu holen, die die Fifa daran hindert, den Videobeweis einzuführen, während sie zugleich dem Referee päpstliche Befugnis gibt: Unfehlbarkeit. Sein Pfiff gilt, sei er noch so absurd.

Sollte der DFB die Tatsachenentscheidung kassieren und ein Wiederholungsspiel verfügen, dürfte ihm die Fifa mit dem WM-Ausschluss drohen. Dann würde der DFB wohl den eigenen Spruch wieder kassieren - die WM in Brasilien hätte Vorfahrt vor Hoffenheim. Die Verantwortung für diese Groteske aber läge bei der Fifa. Die keine Argumente dafür hat, warum unerträgliche Fehler, jenseits jeden Irrtums, einem Spielteilnehmer aufzubürden sind. Warum gibt es keine Gerechtigkeit, wo sie mühelos herzustellen wäre? Wo bleibt der Fairplay-Gedanke?

Dass es so weit kommen kann, lenkt den Blick auf die Frage, warum sich der Funktionärs-Clan Fifa im 21. Jahrhundert so rigoros gegen alles wehrt, wovon längst alle anderen, von Tennis bis Hockey, Gebrauch machen: Kameratechnologie. Nur der superreiche Fußball verschließt sich ihr; die Furcht der Sportart Nummer eins vor dem unbestechlichen Oberschiedsrichter ist ihre größte Eigentümlichkeit. Das fällt nicht nur in Fällen wie Hoffenheim auf. Sondern auch, wenn Referees Fehlpfiffe leisten, die keinem Irrtum entspringen. Pfiffe, für die hierzulande etwa Robert Hoyzer stand.

Der Forderung nach dem Videobeweis hält mancher nun die neue Torlinien-Technologie entgegen. Die ist aber eher ein teures Ablenkmanöver für das murrende Publikum. Wann im letzten halben Jahrhundert hätte es diese Technik gebraucht? Klar, in England 1966 beim Wembley-Tor. Doch schon bei der Südafrika-WM 2010 (England traf gegen Deutschland) oder bei der EM 2012 (Ukraine traf gegen England) hätte der Videobeweis genügt, um Klarheit zu schaffen. Das bringt Aufwand und Ertrag der Torlinientechnik in Schieflage, weil ja der Videobeweis viel mehr leisten kann: sofortige Korrektur aller spielrelevanten Szenen wie Tore, Elfmeter, Karten - sobald die Partie unterbrochen ist.

Dass man die Referees künstlich dumm hält und manipulative Vorgänge nicht auf dem sichersten Weg bekämpft, lässt Fragen offen. Auch die, ob die Sachwalter der Milliardenbranche mit dem menschlichen Makel kalkulieren: Solange der Irrtum zum System gehört, ist er ein Instrument darin. Ohne Videobeleg, mit der Unfehlbarkeit des Referees, lässt sich jeder noch so abstruse Fehler verteidigen. Und sportrechtlich durchfechten.

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