Grünen-Vorstand Gesine Agena:"Das Einknicken der SPD erstaunt mich"

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Applaus in Berlin: Gesine Agena nimmt Glückwünsche zu ihrer Wahl in den Bundesvorstand der Grünen entgegen. (Foto: dpa)

Gesine Agena ist mit 26 Jahren die Jüngste im Bundesvorstand der Grünen. Im Interview spricht sie über ihre Erwartungen an eine große Koalition, warum sich die Grünen anderen Parteien als der SPD öffnen müssen und wie die Partei unkonventionell und frech werden soll.

Von Michael König, Berlin

Gesine Agena, 26, ist auf dem Parteitag der Grünen am Wochenende zum Mitglied im Bundesvorstand und zur frauenpolitischen Sprecherin gewählt worden. Die Parteilinke war bis 2011 Sprecherin der Grünen Jugend und von 2012 bis 2013 Mitglied im Parteirat.

SZ.de: Frau Agena, Sie wollen die Grünen "unkonventionell", "frech" und "charmant-provokant" sehen, so haben Sie es in Ihrer Bewerbung für den Vorstand gesagt. Wer fällt Ihnen ein, wenn Sie an diese Attribute denken?

Gesine Agena: Eigentlich gilt das für die gesamte Partei, wir müssen es nur wieder stärker in den Vordergrund stellen. Im Wahlkampf haben uns Herr Dobrindt (CSU-Generalsekretär; Anm. d. Red.) und manche Medien das Label der Spießer- und der Verbotspartei verpasst, Stichwort Veggie-Day. Wir haben es nicht geschafft, dem etwas entgegenzusetzen. Daran müssen wir arbeiten.

Bei "frech" und "unkonventionell" denken viele Menschen an Claudia Roth. Ist sie zu ersetzen?

Claudia Roth wird uns fehlen. Allen ist klar, dass wir gerade einen großen personellen Wandel erleben, in der Partei und in der Fraktion. Erfahrene Leute wie Renate Künast, Jürgen Trittin, Claudia Roth und Steffi Lemke ziehen sich aus der Führung zurück, damit geht uns auch viel Wissen und Ausstrahlung verloren, einerseits. Andererseits werden sie ja nicht verschwinden, sie sind weiter Teil der Partei. Es ist eine schwierige Phase, aber auch eine Chance für uns. Wir stellen uns jetzt neu auf.

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Die neue Parteivorsitzende Simone Peter wirkt gar nicht frech, eher hölzern. Kann sie aus dem langen Schatten ihrer Vorgängerin heraustreten?

Menschen sind unterschiedlich, das gilt auch für Simone Peter und Claudia Roth. Aber ich fand ihre Rede sehr gut. Sie hat mit 76 Prozent ein respektables Ergebnis erreicht. Ich bin sicher, Simone Peter wird eine großartige Parteivorsitzende und gemeinsam mit Cem Özdemir gute Arbeit leisten.

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Özdemir hat bei seiner Wiederwahl als Parteichef sein bislang schlechtestes Ergebnis bekommen. Sehnen sich die Grünen doch nach mehr Erneuerung?

Warum die Leute wählen, wie sie wählen, kann ich Ihnen nicht sagen. Aber ich finde, 71,4 Prozent sind unter den Umständen kein schlechtes Ergebnis. Wir haben gezeigt, da kommt jetzt ein neuer Bundesvorstand, der hat große Aufgaben vor sich.

Die Grünen sollen sich für neue Koalitionspartner öffnen, so hat es der Parteitag beschlossen. Explizit ist Schwarz-Grün als neue Option genannt. Was heißt das für Sie?

Uns ist im Wahlkampf die Machtoption verlorengegangen, das hat uns für viele Wähler unattraktiv gemacht. Rot-Grün wurde immer unwahrscheinlicher. Deshalb wollen wir uns jetzt öffnen. In beide Richtungen. Nicht nach dem Motto "anything goes", sondern streng nach Inhalten. Unsere Mitglieder haben im Wahlkampf neun Schlüsselprojekte ausgewählt, die ihnen besonders wichtig waren. In den Sondierungsgesprächen mit der Union haben wir gesehen: Mit CDU und CSU hätten wir fast nichts davon umsetzen können.

Wie soll das 2017 anders sein?

Es kommt darauf an, wie sich die Union bis dahin entwickelt hat. Aber auch, wie sich SPD und Linke bis dahin aufgestellt haben. Rot-Rot-Grün scheitert ja auch am Verhältnis der SPD zur Linken. Die SPD will die Linke aus dem Bundestag heraushalten - und macht sie damit nur noch stärker.

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Gemeinsam mit der SPD haben Sie im Wahlkampf gegen das Betreuungsgeld gekämpft. Jetzt sieht es so aus, als würde die SPD die staatliche Geldleistung für Eltern, die ihre Kinder nicht in eine Kita schicken, allenfalls modifizieren wollen. Fühlen Sie sich verraten?

Das Einknicken der SPD erstaunt mich. Vor kurzem haben die SPD-Frauen noch klargemacht, das Betreuungsgeld müsse weg, eine verbindliche Frauenquote her. Sonst gäbe es mit ihnen keine Koalition. Und jetzt finde ich in den zehn Punkten, die die SPD-Parteiführung ihrem Parteikonvent als Verhandlungsbasis vorgelegt hat, nur einen frauenpolitischen. Nämlich die Forderung nach mehr Frauen in Führungspositionen. Das klingt sehr vage, von 50 Prozent ist da keine Rede. Vom Betreuungsgeld auch nicht mehr, dabei ist es ein Symbol für eine völlig fehlgeleitete Familienpolitik. 1,2 Milliarden Euro, die viel besser in Kita-Plätze investiert würden.

Als kleinster Teil einer Mini-Opposition im Bundestag werden Sie daran kaum etwas ändern können.

Wir werden auch in der Opposition dafür kämpfen und klarmachen, dass das Betreuungsgeld nichts mit Wahlfreiheit zu tun hat, sondern der Staat für gute und ausreichende Kita-Plätze sorgen muss. Es hat sich jetzt wieder gezeigt, dass nur wir Grüne Familien- und Frauenpolitik wirklich ins Zentrum stellen. Ich fürchte, die Politik einer großen Koalition in diesen Themen wird nur eines sein - eine riesen Enttäuschung.

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