Altersunterschied bei Paaren:Partnerwahl ist keine Privatangelegenheit

Franz Müntefering und Frau Michelle

Kein Vaterstolz: "Das macht sie schon ganz allein", hat Franz Müntefering über den Auftritt seiner Frau Michelle bei einer Preisverleihung gesagt.

(Foto: dpa)

Vier Jahre ist der deutsche Mann im bundesweiten Durchschnitt älter als seine Frau. Ist der Altersunterschied größer oder die Frau gar älter, ist es nicht mehr weit her mit der Akzeptanz. Weil sich der Mensch von allem, was gegen die Norm verstößt, provoziert fühlt.

Von Violetta Simon

Er ist 42, sie 38. Ein ganz und gar durchschnittliches Paar also - zumindest, was den Altersunterschied betrifft. Der beträgt laut einer bundesweiten Studie in Deutschland vier Jahre. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes lag im Jahr 2012 bei Ehepaaren die Altersdifferenz mit 3,9 Jahren etwas niedriger als bei nichtehelichen Lebensgemeinschaften mit 4,5 Jahren. Bei fast jedem zweiten Paar liegen nur ein bis drei Jahre zwischen Mann und Frau. In jeder zehnten Partnerschaft sind beide gleich alt.

Dabei geht mit dem Alter die Schere auseinander: "Die Wahrscheinlichkeit, dass man im Alter von 20 einen gleich alten Partner bzw. eine gleich alte Partnerin kennenlernt, ist noch um einiges größer als im Alter von 40", sagt der Soziologie-Professor Thomas Klein von der Universität Heidelberg. Diese Tatsache unterliege weniger irgendwelchen Vorlieben oder Normen, sondern einer "Gesetzmäßigkeit der Verfügbarkeit". Je älter man sei, desto schwieriger werde es, gleichaltrige Partner zu finden - einfach deshalb, weil diese dann häufiger vergeben seien.

Ein extremer Altersunterschied ist aber nach wie vor die Ausnahme, nur bei sechs Prozent der Paare ist einer von beiden mehr als zehn Jahre älter. Entsprechend groß ist die Aufregung um Paare wie Franz und Michelle Müntefering (Altersunterschied: 40 Jahre), Joschka Fischer und Minu Barati (28 Jahre) oder Sky und Mirja du Mont (29 Jahre). Zwar berichten Medien über ungleiche Paare, auch im Freundeskreis oder im familiären Umfeld gibt es oft jemanden, der einen wesentlich jüngeren Partner hat. Dennoch fühlen sich viele Menschen davon irritiert. "Der Mut, mit einem großen Altersunterschied zu experimentieren und sich außerhalb der Norm zu bewegen, ist gering", sagt die Soziologin Ursula Richter. "Auch wenn es dann insbesondere für Frauen mehr Wahlmöglichkeiten gäbe."

Alter Mann, junge Frau war Standard

Dabei war das Modell "Alter Mann, junge Frau" vor 100 Jahren die Regel. Dass es sich so lange halten konnte, hat historische Gründe: "Es ist noch nicht so lange her, dass die Standardfrage des potenziellen Schwiegervaters lautete: 'Können Sie denn meine Tochter auch ernähren?'", erklärt Paartherapeut David Wilchfort. Heute lauten die Fragen in so einem Fall eher: "Was will das junge Ding mit dem alten Knacker, hat sie einen Vaterkomplex?" oder "Was findet der Alte an einer, die seine Tochter sein könnte, hat er Angst vor erwachsenen Frauen?" Wenn wir uns über Müntefering, Fischer und Co. wundern, dann mitunter deshalb, weil deren Beziehungsmuster aus der Zeit gefallen zu sein scheint. Weil diese Frauen wirtschaftlich unabhängig sind - und sich trotzdem an einen Versorger oder eine Vaterfigur binden.

Dass uns der Anblick zweier Menschen mit gravierendem Altersunterschied so irritiert, liegt aber vor allem daran, dass es gegen eine Norm verstößt. "Wir denken heute: Wen wir lieben und wie wir lieben, wäre völlig frei von sozialen Regeln. Romeo und Julia hatten noch Probleme - heute darf scheinbar jeder mit jedem", sagt Stephanie Bethmann, Soziologin an der Universität Freiburg. In einer Studie untersuchte die Wissenschaftlerin, wie soziale Regeln bis heute die Partnerwahl steuern. Das Ergebnis: "Auch ganz ohne strenge Eltern oder Kirchen heiraten wir brav den, der sozial zu uns passt."

Ein wesentlich älterer Partner passt erst mal nicht in dieses Bild. "In der Regel handelt es sich bei großen Altersunterschieden um eine neue Beziehung nach einer Scheidung oder nach dem Tod des Ehepartners", erklärt Paartherapeut Wilchfort. Der bekannte Freund wirkt mit der neuen, jungen Partnerin so anders als früher. Es ist ein wenig wie Fremdeln. Es ist also das Besondere, Außergewöhnliche, was die Leute bewegt, weil es auffällt." Im Grunde provoziert alles, was sich stark von der allgemeinen Erwartung unterscheidet und von der Norm abweicht.

Die Normen ändern sich unentwegt

Nur, dass sich diese Normen im Laufe der Zeit verändern: Vor 50 Jahren galt Homosexualität in der öffentlichen Meinung als Krankheit. Heute ist die sexuelle Orientierung einer Person in Bezug auf ihre Fachkompetenz, Beziehungsfähigkeit oder gesellschaftliche Stellung für die meisten irrelevant. Im 19. Jahrhundert echauffierte man sich, wenn ein Adeliger eine Bürgerliche heiratete. Heute muss die Öffentlichkeit damit klarkommen, dass ein italienischer Regierungschef öffentlich mit einer minderjährigen Prostituierten verkehrt.

Das heißt nicht, dass uns nichts mehr gegen den Strich geht. "Der Pegel der Aufregung ändert sich nicht - nur der Inhalt", sagt Wilchfort. "Mit jeder gesellschaftlichen Entwicklung werden wir ambitiöser, wollen es noch positiver machen. Je weiter entwickelt und gleichberechtigter wir sind, desto liberaler wollen wir sein."

British designer Vivienne Westwood is kissed by her husband Andreas Kronthaler before the opening of a Vivienne Westwood Boutique in downtown Beirut

In jeder Hinsicht ein ungewöhnliches Paar: Die britische Designerin Vivienne Westwood und ihren Ehemann Andreas Kronthaler trennen 25 Jahre.

(Foto: REUTERS)

So sei es auch mit der Emanzipation gewesen. "In den Fünfzigern war es normal, dass ein Mann seiner Frau verbot, zu arbeiten. 1977, als Johanna von Koczian 'Das bisschen Haushalt' sang, war man sich der Ironie bereits bewusst, die dem Text innewohnte", sagt Wilchfort. Heute könne man das ganze Thema nicht mehr begreifen, weil man darüber längst hinweg sei. Und dabei bliebe es nicht. "Immer mehr Frauen können einen Mann ernähren", sagt Wilchfort. Jetzt könne es durchaus passieren, dass sie nach Hause kommt und ihn fragt: "Was hast Du eigentlich den ganzen Tag gemacht?"

Tabu: Ältere Frau liebt jungen Mann

Immer mehr Frauen leben deshalb eine Beziehungsform, die früher undenkbar gewesen wäre: Sie lieben einen jüngeren Mann. Noch ist diese Beziehungsform außergewöhnlich. Während bei knapp drei von vier Partnerschaften der Mann älter ist als seine Partnerin, ist bei nur 17 Prozent der Paare die Frau älter. Ein Tabu, das nur sehr zögerlich von der Lebenswirklichkeit überholt wird. Trotz zunehmender gesellschaftlicher Akzeptanz rümpft manch einer die Nase, wenn Frauen sich Rechte herausnehmen, die Männer von jeher für sich reklamieren. "Frauen sind anspruchsvoller geworden und bekennen sich dazu, einen jungen oder jüngeren Männerkörper attraktiver zu finden als einen alten", erklärt die Wissenschaftlerin und Buchautorin Ursula Richter. "Tatsache ist jedoch, dass es Frauen nicht wirklich zugestanden wird, diese Wahl zu treffen, auch wenn sich die Rolle der Frau im Vergleich zu früher erheblich geändert hat."

Ihre Fachkollegin Bethmann bestätigt diesen Eindruck: "Der Anblick einer älteren Frau mit einem jüngeren Mann oder auch einer großen Frau mit einem kleineren Partner an ihrer Seite ist ein unverzeihlicher Tabubruch", sagt die Soziologin. "Solche Paare erschüttern geradezu die Ordnung unserer Gesellschaft. Denn sie machen sichtbar, dass eben nicht alle Frauen kleiner, schwächer und kindlicher sind als alle Männer."

Ein solches ganz und gar ungewöhnliches Paar sind etwa die britische Modedesignerin Vivienne Westwood und ihr Ehemann Andreas Kronthaler. Vom bundesweit durchschnittlichen Altersunterschied sind die beiden weit entfernt. Kronthaler ist nämlich nicht vier Jahre älter als seine Frau - sondern vier Jahre jünger als deren Sohn. Die beiden sind seit mehr als 20 Jahren verheiratet. Auch Sängerin Nena und ihr zwölf Jahre jüngerer Lebensgefährte Phillip Palm sind seit Mitte der Neunziger zusammen.

Paartherapeut Wilchfort ist davon überzeugt, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis eine Beziehung zwischen einer älteren Frau und einem jungen Mann kein Aufreger mehr ist. "Wenn Ihre Freundin mit einem Jüngeren daherkommt, fällt Ihnen das natürlich auf. Vielleicht wundern Sie sich sogar", sagt Wilchfort. "Der Unterschied ist: Vor ein paar Jahren hätten Sie das gar nicht erfahren, weil sie ihn verheimlicht hätte. In einigen Jahren werden wir nicht einmal mehr darüber nachdenken, ob jemand älter oder jünger ist."

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