Klage gegen ZDF-Staatsvertrag:Zu viele Freunde

Bundesverfassungsgericht verhandelt über ZDF-Staatsvertrag

Als Mainzelmännchen verkleidete Demonstranten vor dem Bundesverfassungsgericht. Das Gericht prüft, ob Staat und Parteien zu viel Einfluss beim Sender haben.

(Foto: dpa)

Vor dem Bundesverfassungsgericht hat die Verhandlung über die Klage gegen den ZDF-Staatsvertrag begonnen. Die Richter stellen viele Fragen zum Parteienklüngel. Vieles deutet schon jetzt darauf hin, dass im Fernsehrat bald weniger Politiker mitreden.

Von Wolfgang Janisch, Karlsruhe

Reinhard Gaier ist Verfassungsrichter und zudem ein Mensch mit Einfühlungsvermögen. Nachdem an diesem Dienstag also einige Mitglieder des ZDF-Fernsehrats dem Bundesverfassungsgericht eine Stunde lang eindringlich versichert hatten, wie effektiv, wie kooperativ, wie harmonisch das angeblich politisch aufgeladene Aufsichtsgremium zusammenarbeite, wollte er die Herren (als Verteidiger des Fernsehrats traten vorwiegend Herren auf) sanft zum Thema zurückführen: "Wir entscheiden nicht, ob die Arbeit derzeit nutzbringend oder gut ist. Sondern ob die Staatsferne gewährleistet ist."

Es ist eine Klage der Länder Rheinland-Pfalz und Hamburg, die diese Frage vor den Ersten Senat des Karlsruher Gerichts gebracht hat. Eine Frage, die sich durch die nackten Vorschriften des ZDF-Staatsvertrags geradezu aufdrängt. 40 Prozent der 77 Fernsehrats-Mitglieder sind direkt von Bund, Ländern oder Parteien benannt, hinzu kommen drei Vertreter der kommunalen Spitzenverbände - ein Quantum Staat, das beispielsweise zur Verhinderung eines Intendanten genügt.

Auch bei der Auswahl der übrigen Mitglieder hat der Staat irgendwie die Finger drin: Die Vertreter der Verbände dürfen sich die Ministerpräsidenten aus einer von der jeweiligen Organisation vorgelegten Dreierliste aussuchen. Und wer für bestimmte gesellschaftlich relevante Bereiche steht, entscheiden die Landesregenten freihändig. Im ZDF-Verwaltungsrat, in dem sechs von 14 Mitgliedern von Bund und Ländern benannt sind, schaut es nicht besser aus.

Für alle offen

Staatsferne? Dafür sorgen wir schon selbst, beteuerten Leute wie Johannes Beermann, als sächsischer Staatsminister im Fernsehrat. Die "Freundeskreise" etwa, zwei nach politischer Färbung sortierte inoffizielle Gremien zur Vorbereitung der Fernsehratsitzungen, seien für alle offen, sagte Beermann. Bei den Konservativen hätten sich gelegentlich auch Grüne eingefunden oder Vertreter von Umweltverbänden. "Es wird niemand zurückgewiesen."

Es werde auch niemand "vergattert", sagte Hans-Günter Henneke vom Deutschen Landkreistag, oder gar "vergewaltigt", wie Peter Heesen (dbb Beamtenbund und Tarifunion) anfügte. Franz Josef Jung, Ex-Verteidigungsminister und Vorsitzender dieses, wie er sich ausdrückte, "bürgerlichen" Freundeskreises, blies ins selbe Horn: "Der Eindruck, der hier erweckt wird, dass ein Diktat der Politik stattfindet, ist völlig abwegig." Was Richterin Gabriele Britz zu der Frage brachte: Wenn da nichts politisch vorsortiert werde - wozu brauche man die nirgendwo geregelten Freundeskreise überhaupt?

Geschlossene Veranstaltung

Dass dieses geradezu "idyllische" Bild der Freundeskreise, wie Verfassungsrichterin Susanne Baer ironisch anmerkte, überhaupt entstanden war, lag vermutlich daran, dass das Gericht zunächst die Frösche nach der Sumpfaustrocknung gefragt hatte. Das Bild wurde dann aber doch nachhaltig getrübt. Die Bundestagsabgeordnete Gesine Lötzsch (Linke) machte den Auftakt. Freundeskreise seien "geschlossene Veranstaltungen", sie selbst habe sich bewusst gegen einen Eintritt entschieden.

Der Mainzer Professor Dieter Dörr zitierte aus der Biografie des früheren ZDF-Intendanten Dieter Stolte: Hinter den Freundeskreisen steckten "politische Strukturen mit großem Einfluss"; deren Vorsitzende hätten für "Fraktionsdisziplin zu sorgen. Und der ehemalige rheinland-pfälzische Ministerpräsident Kurt Beck - Vorsitzender im ZDF-Verwaltungsrat - sekundierte: Auch wenn die Mehrzahl der Entscheidungen im Konsens falle, gebe es mitunter eine "konzentrierte politische Einflussnahme" - etwa bei der Verlängerung von Direktorenverträgen. Der ZDF-Intendant Thomas Bellut umschrieb die Rolle der Gremien zwar diplomatisch, sagte dann aber doch: "Die Begleitung ist intensiv."

"Gewisse Plausibilität"

Wer bis zu diesem Punkt noch geglaubt hatte, das Gericht könnte den ZDF-Staatsvertrag vielleicht doch unangetastet lassen, der musste seine Hoffnung begraben, als Johannes Masing das Wort ergriff, der als Berichterstatter im Senat die Verhandlung vorbereitet hat. Warum hätten in vier von sechs Ausschüssen - dort wird die eigentlich Sacharbeit für den Fernsehrat gemacht - eigentlich staatsnahe Mitglieder den Vorsitz? Und könnte man die Staatsquote in den Ausschüssen - derzeit meist bei mindestens der Hälfte - nicht auf ein Drittel deckeln, so wie beim WDR?

Nachdrücklich wurde Masing, als er auf die sogenannte R-Gruppe zu sprechen kam, also die von den Ministerpräsidenten benannten Vertreter gesellschaftlich relevanter Themenkreise von Bildung und Wissenschaft über Kultur bis zum Verbraucherschutz. Fünf Namen aktueller und früherer Mitglieder zählte Masing auf, die Europa-Abgeordneten Angelika Niebler und Doris Pack sowie die Landtagsabgeordneten Holger Zastrow, Katrin Budde und Ralf Holzschuher: "Können wir erfahren, für welche gesellschaftliche Gruppe sie stehen?" Und wüssten die gesellschaftlichen Gruppen überhaupt davon? Antwort: Jedes Bundesland benennt ein Mitglied. Und bei der Auswahl sei allenfalls "eine gewisse Plausibilität" der Nähe zu diesen Gruppen maßgeblich, gestand Kurt Beck.

Wenn der Erste Senat in einigen Monaten sein Urteil verkündet, dürfte er also bei der Frage der Staatsferne nicht stehen bleiben, sondern auch ein "Update der gesellschaftlichen Gruppen" (Baer) vornehmen - deren Farbigkeit sich ja letztlich im Programm widerspiegeln soll. Frauen sind derzeit deutlich unterrepräsentiert, Migranten fehlen völlig, Muslime ebenfalls: "Wenn der Islam in Deutschland angekommen ist, so ist er im ZDF-Fernsehrat jedenfalls noch nicht angekommen", kommentierte Reinhard Gaier.

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