Datenschutz:Was uns Merkel schuldet

Snowden enthüllt erschreckende Details. Doch, dass die USA spionieren, war bekannt - wohl auch unseren Sicherheitsbehörden. Die Bundesregierung hat viel zu lange weggeschaut und eine europäische Datenschutzverordnung blockiert statt gefördert. Begreift Kanzlerin Merkel es nicht?

Ein Gastbeitrag von Gerhart Baum

Der FDP-Politiker Gerhart Baum, 81, war von 1978 bis 1982 Innenminister unter Bundeskanzler Helmut Schmidt. Er gehörte zu den frühesten Verfechtern strenger Datenschutzgesetze.

Mit der Enthüllung der Ausspähung der Bundeskanzlerin durch die NSA hat der Skandal eine neue Dimension bekommen - aber die Praktiken der NSA sind seit Langem bekannt. Seit 2001 baut sie ein weltweites Netz flächendeckender Überwachung von Kommunikationsinhalten und -verbindungen auf.

Der Etat der National Security Agency beträgt ungefähr 10,8 Milliarden Dollar, 40.000 Mitarbeiter sollen weltweit die elektronische Kommunikation überwachen, entschlüsseln und auswerten. Bereits 2007 enthüllte die Washington Post, dass die NSA auch in den USA Daten ausspähte.

Ich werfe unseren Regierungen vor, nicht schon damals der naheliegenden Frage nachgegangen zu sein, inwieweit Grundrechte unserer Bürger betroffen waren. Auch die Medien haben zu lange geschwiegen. Man wusste doch: Die USA haben sich seit 2001 über rechtsstaatliche Prinzipien rücksichtslos hinwegsetzt, sogar durch Folter. In ihrem Gesetz zur Terrorismusbekämpfung haben sie 2001 die NSA auch ermächtigt, auf die Daten der ausländischen Töchter von Facebook und anderen Netzen zuzugreifen. In Zusammenhang mit dem riesigen Bau der NSA in Fort Mead, der im September eingeweiht wurde, warnten US-Medien vor einer gigantischen, unkontrollierbaren Datenbank.

Ich habe Mitte 2012 auf diese Tatsache öffentlich hingewiesen. Auf dem Kongress des Computer Chaos Clubs im Dezember 2012 in Hamburg hat Jacob Appelbaum vor 6000 Zuhörern Ziele und Arbeitsweise von NSA beschrieben und die damit verbundene permanente Verletzung des Prinzips der Menschenwürde kritisiert.

Warum hat niemand Alarm geschlagen?

Edward Snowden hat mit der Enthüllung von Einzelheiten verdienstvollerweise das große Erschrecken ausgelöst. Das Prinzip aber war bekannt, wohl auch unseren Sicherheitsbehörden. Warum haben sie nicht Alarm geschlagen? Durften sie nicht?

Generell haben die Bundesregierungen das Thema Datenschutz nicht ernst genommen. 1983 hat das Bundesverfassungsgericht im Volkszählungsurteil das "Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung", die "Magna Charta" des Datenschutzrechtes definiert. Aber die rasante technologische Entwicklung hat dieses Recht ausgehöhlt. Wir können gar nicht mehr über unsere Daten bestimmen, weil wir nicht mehr wissen, was mit ihnen geschieht. Ohne gesetzlichen Schutz sind wir schutzlos. Seit mehr als 20 Jahren fordern die deutschen Datenschutzbeauftragten eine grundlegende Reform des Datenschutzrechts. Jetzt übernimmt diese Aufgabe die EU. Der geringe Stellenwert des Themas lässt sich auch daran ablesen, dass der Persönlichkeitsschutz auf keinem der Parteitage vor der Wahl und in keiner Diskussion mit den Kandidaten eine Rolle gespielt hat.

Völlig veraltetes Recht

In einer Serie von 14 Urteilen hat das Bundesverfassungsgericht nach 2001 dem Datensammeln Grenzen gesetzt. Nur unter bestimmten, eng gefassten Voraussetzungen dürfen Daten gesammelt und verwertet werden. Über diese Voraussetzungen setzen sich die NSA und andere Dienste hinweg. Ich vermisse, dass unsere Regierung das Grundgesetz auf diesem Felde konsequent zum Maßstab ihres Handelns macht.

2008 hat das Bundesverfassungsgericht ein Computergrundrecht etabliert, um den Schutz eigengenutzter elektronischer Systeme zu gewährleisten. Obwohl wir im Alltag immer stärker solche Systeme nutzen, vom Auto bis zum Herzschrittmacher, hat der Gesetzgeber nichts zu unserem Schutz unternommen. Auch ein Arbeitnehmerdatenschutzgesetz ist bisher nicht zustande gekommen.

Ich werfe der Bundesregierung vor, den seit Januar 2012 vorliegenden Entwurf einer europäischen Datenschutzgrundverordnung eher blockiert als gefördert zu haben. Diese Verordnung soll die Persönlichkeitsrechte der Europäer generell besser schützen, auch gegenüber den Aktivitäten hier tätiger amerikanischer Firmen.

Merkel hat nicht geschafft, uns zu schützen

Alle aus Europa stammenden Daten, wo auch immer sie verarbeitet werden, sollen europäischem Recht unterworfen werden. Bei Nichtbefolgung drohen erhebliche Strafen. Damit soll auch die unselige Verbindung zwischen NSA und privater Datenverarbeitung unterbunden werden.

Vor Kurzem hat sich das Europäische Parlament in einem akzeptablen Kompromiss einstimmig über diese neue Verordnung geeinigt. Es läge nun nichts näher, als dass die europäischen Regierungen diese Einigung zur Grundlage der Entscheidung des Ministerrats machen und noch vor den Europawahlen im Mai zu einer Entscheidung kommen. Sonst verschiebt sich das Inkrafttreten der Verordnung bis ins Jahr 2015. Das noch geltende europäische Recht ist nach 20 Jahren völlig veraltet. Angela Merkel hat es nicht vermocht, uns gegen Angriffe auf die deutsche Souveränität und die Grundrechte zu schützen. Hier nun könnte sie handeln.

Begreift Merkel es nicht?

Das hätte eine enorm praktische wie symbolische Wirkung. Es würde die Europäer gegenüber den USA stärken. Nun hat Frau Merkel das Gegenteil getan: Sie hat sich vor wenigen Tagen in Brüssel geweigert, auf einer Verabschiedung vor der Wahl zu bestehen - anders als andere Regierungen. "Die US-IT-Industrie konnte ihr Glück kaum fassen", beschrieb ein journalistischer Beobachter die Situation. Begreift Frau Merkel nicht, dass sie uns nach so vielen Versäumnissen nun wirklich etwas schuldig ist? Dies gilt auch für die SPD.

Soeben wird bekannt, dass sich die Bundesregierung mit den USA über Grundzüge eines No-Spy-Abkommen geeinigt hat. Da ist erhebliche Skepsis angebracht. Wenn künftig etwas verboten werden soll, was wird dann erlaubt? Werden die Deutschen in das Überwachungsnetz eingebunden, das zwischen Großbritannien, Neuseeland, Kanada, Australien und den USA besteht? Davor kann nur dringend gewarnt werden - auch vor der naiven Hoffnung, mit Abkommen allein könnten Nachrichtendienste gebändigt werden.

Rechtsstaatliche Schranken fehlen in der Terrorismusbekämpfung der USA

Entscheidend ist der politische Wille der beteiligten Staaten, das Vertrauensverhältnis nicht weiter zu belasten. Die USA müssen ihre Antiterrorgesetze ändern. Vor Kurzem ist eine starke Minderheit im Kongress in dem Bemühen gescheitert, die eigenen Bürger besser zu schützen - wieso soll dann den Deutschen umfassender Grundrechtsschutz gewährleistet werden? Was auch immer die USA jetzt ändern mögen: Sie haben eine Sicherheitsstrategie, die von unserer europäischen und deutschen weit entfernt ist. Terrorismusbekämpfung ist für sie Krieg, in dem wichtige rechtsstaatliche Schranken fallen.

Vergessen wir nicht: Bei allem geht es um die Menschenwürde. Es geht um das sittliche Prinzip, das unsere Verfassung und auch das Völkerrecht bestimmt - im Übrigen auch die amerikanische Unabhängigkeitserklärung von 1776!

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