UN-Klimakonferenz in Warschau:"Mehr als hundert Milliarden Dollar pro Jahr sind nicht drin"

Dürren, Überschwemmungen, Landverlust: In manchen Regionen wird der Klimawandel dramatische Folgen haben. Wenn sich diese schon nicht verhindern lassen, sollten sie finanziell kompensiert werden, fordern die Betroffenen. Thomas Hirsch von "Brot für die Welt" über die Chancen von "Loss and Damage" bei der Klimakonferenz in Warschau.

Von Benjamin von Brackel

Überschwemmung in Bangladesh

Überflutungen wie diese werden in Bangladesch aufgrund des Klimawandels vermutlich häufiger und schlimmer

(Foto: AFP)

Am Montag beginnt in Warschau die nächste UN-Klimakonferenz. Eines der wichtigsten Themen wird "Loss and Damage" (Verluste und Schäden) sein, also die Frage, wie mit den Schäden umzugehen ist, die der von Menschen verursachte Klimawandel verursacht hat. Ein Experte für diese Frage ist Thomas Hirsch, Entwicklungspolitischer Beauftragter von "Brot für die Welt".

Süddeutsche.de: Warum steht "Loss and Damage" jetzt erst ganz oben auf der Agenda?

Thomas Hirsch: Extreme Wetterereignisse wie Dürren, Stürme und Fluten haben deutlich zugenommen. Gleichzeitig lernen wir immer mehr über Klimaschäden, etwa wenn hochgezüchtete Kulturpflanzen schon mit leichten Temperatur- und Niederschlagsschwankungen nicht mehr zurechtkommen. Lange haben aber die Industrieländer eine rote Linie gezogen: Wenn wir anerkennen, dass es nicht abwendbare Schäden durch den Klimawandel gibt und wir uns verpflichten zu haften, dann kommen in den nächsten Dekaden hohe, unkalkulierbare Kosten auf uns zu. Alles was nach Kompensation riecht, wurde strikt abgelehnt.

Die Staaten können sich ja nicht einmal darauf einigen, was "Loss and Damage" genau ist. Wie sieht Ihre Definition aus?

Für mich sind das Schäden und Verluste, die auf den vom Menschen gemachten Klimawandel zurückzuführen sind und sich nicht durch Anpassung vermeiden lassen. Etwa Dürren in der Sahelzone: Die Häufigkeit von Dürren nimmt zu, aber Millionen von Bauern können nicht einfach so evakuiert werden.

Welche Länder sind denn von "Loss and Damage" am stärksten betroffen?

Von den Flächenstaaten Bangladesch. Das Land hat eine hohe Bevölkerungsdichte und eine gefährliche Geographie: Der Meeresspiegel steigt im Golf von Bengalen relativ schnell an, um bis zu acht, neun Millimeter pro Jahr. Das hat neben der globalen Erwärmung noch andere Gründe wie der Plattentektonik.

Und von den Inselstaaten?

Der Meeresspiegel steigt in Teilen des Pazifiks über zwei Zentimeter pro Jahr. Dort liegen viele Inseln, die auf Korallenriffen stocken und nicht mal einen Meter aus dem Meer gucken. Bei drei Atollgruppen von Papua-Neuginea ist die Umsiedlung bereits Thema, etwa den Carteret-Inseln mit etwa 3000 Einwohner. Das sind sieben Inseln, die seit den 1970er Jahren schon etwa 40 Prozent ihrer Fläche verloren haben.

Sie waren im Dezember 2010 selbst dort. Wie war, wie ist die Situation?

Eine Insel ist zerbrochen. Auf keiner der Inseln gibt es noch Süßwasser, weil der Salzwasserspiegel so hoch ist, dass er bei Flut in den Süßwasserstock eindringt - dann bleibt nur noch Regenwasser. Wenn Trockenphasen herrschen, gibt es gar keine stabile Wasserversorgung mehr, dann trinken die Einwohner nur noch Kokosmilch. Feldfrüchte lassen sich nicht mehr anbauen, weil der Boden komplett versalzen ist. Und um Weihnachten kommen Sturmfluten, dann müssen die Bewohner manchmal auf Kokospalmen klettern, sich anbinden und tagelang ausharren.

Gibt es keinen Schutz für sie?

Die Inseln liegen etwa hundert Kilometer von den nächstgrößeren Inseln entfernt, sie haben kein Funk, kein Frühwarnsystem. Und hochwassersichere Gebäude fehlen.

Warum werden die Menschen nicht umgesiedelt?

Der Staat weiß nicht wohin. Land ist knapp in Papua-Neuginea und das System von Landrechten hochkomplex. Auf der nächstgroßen Insel Bougainville tobte bis vor wenigen Jahren Bürgerkrieg, heute kämpft die Insel mit Kriminalität, Drogen und Prositution - da will keiner hin. Umgesiedelt sind bislang neun Familien, bezahlt von Brot für die Welt und auf Ländereien der Katholischen Kirche. Aber für 3000 Menschen reichen weder unsere finanziellen Mittel, noch können wir genügend Land zur Verfügung stellen.

Kann man denn immer klar sagen, welchen Anteil der Klimawandel an den Schäden hat?

Nein. Wir haben eine Überlagerung von menschgemachten Ursachen, die nichts mit dem Klimawandel zu tun haben, und den Klimafolgen. Zum Beispiel wieder Bangladesch: Etwa 17 Prozent der Landesfläche liegt höchstens einen Meter über der Meeresoberfläche. Die Weltbank hatte ganz massiv die Krabbenzucht für den Export gefördert; Dämme wurden so gebaut, dass sie dazu beitrugen, die küstennahen Flächen zu fluten und zu versalzen.

"Entweder ihr bewegt euch, oder ...

Im vergangenen Jahr haben die Verhandler in Doha beschlossen, in Warschau Institutionen zu schaffen, um mit "Loss and Damage" umzugehen. Wie wahrscheinlich ist es, dass es dazu kommt?

Ich halte es für sehr wahrscheinlich, dass die Teilnehmer intensiv darüber verhandeln und auch etwas beschließen. Ich halte es aber für ganz und gar unwahrscheinlich, dass auf der Konferenz in Warschau ein robuster Mechanismus ausgearbeitet und verabschiedet wird. Dafür haben die Vorarbeiten gefehlt, weil die Industrieländer keinen politischen Willen dazu aufbringen. Auf der anderen Seite gibt es die Entscheidung von Doha und hohe Erwartungen vor allem der kleinen Inselstaaten und Afrikas. In dieser Kombination dürfte "Loss and Damage" ein ganz heißes Eisen in Warschau werden.

Was passiert, wenn sich die Industrieländer nicht bewegen?

Sollte es überhaupt kein Fortschritt geben, halte ich es für sehr wahrscheinlich, dass die am wenigsten entwickelten Staaten mit Unterstützung der Inselstaaten die Verhandlungen scheitern lassen. Schon in Doha haben diese beiden Staatengruppen gesagt: Entweder ihr bewegt euch oder wir stimmen nirgends zu.

Die Länder streiten auch darüber, woher das Geld für den Ausgleich und die Begrenzung der Klimaschäden kommen soll. Da böte sich doch der Green Climate Fonds an, der hundert Milliarden Dollar pro Jahr vorsieht?

Das ist fürs Erste wohl der aussichtsreichste Weg. Wir brauchen den Deckel der hundert Milliarden Dollar pro Jahr, dann ist das finanzielle Risiko für die Industrieländer begrenzbar. Und dann werden sie vermutlich auch ihre rote Linie verschieben und konstruktiv an einem Mechanismus mitarbeiten.

Wie könnte solch ein Mechanismus aussehen?

Erst einmal müssen wir Risikoprävention und Katastrophenschutz ausbauen. In Bangladesch kommen durch extreme Zyklone, die seit den 1970er Jahren stark zugenommen haben, zehntausende Menschen ums Leben. Wenn eine Flutwelle über das völlig flache Land angerast kommt, braucht es Schutzgebäude, die wie Bunker auf Stelzen mit Stahltüren ausschauen. Im Augenblick haben etwa zehn Prozent der Betroffenen Zugang zu einem solchen "Cyclone Shelter". Um auch den Rest zu schützen, sollte ein internationaler Mechanismus den Bau solcher sturm- und hochwassersicheren Schutzgebäude finanzieren. Bangladesch mit seinem Etat, der gerade eineinhalb mal so groß ist wie der von Hamburg, ist heillos überfordert.

Ein anderer Punkt sind die Kompensationen für Verluste. Kann man sich gegen Klimawandel versichern?

Rein privatwirtschaftlich geht das nicht - das Risiko ist einfach zu hoch. Aber ein Land wie Äthiopien könnte eine Pflichtversicherung einführen. Da nicht alle von Dürren bedroht sind, mindert das das Risiko der Versicherung. Staatliche Banken, in Deutschland etwa die KfW, könnten als Risikokapitalgeber noch etwas drauflegen.

Wo liegen hier die Grenzen?

Die Carteret-Inseln, die zu Papua-Neuguinea gehören, wird niemand mehr versichern. Die sind verloren. Deshalb baucht es noch eine Absicherung der Verluste, die sich nicht versichern lassen. Hier lauern allerdings die größten finanzielle Risiken. In Bangladesch leben bereits heute 30 Millionen Menschen in der Deltaregion, die bis Ende des Jahrhunderts überflutet ist. Dämme wie in den Niederlanden oder Deutschland schützen dort nicht mehr.

Schon heute ziehen pro Woche 20.000 Menschen aus dem Süden in die Hauptstadt Dhaka - zum Teil wegen des Klimawandels. Alle Experten gehen davon aus, dass Umwelt- und Klimaveränderungen in den nächsten Dekaden die mit Abstand größten Ursachen für Migration sein werden. Zwischen 50 Millionen und mehreren hundert Millionen Flüchtlinge werden erwartet. Klar ist: Bei einem so dicken Brett kommt auch ein Green Climate Fonds schnell an seine Grenzen. Sich aber deswegen dem Problem ganz zu verweigern, führt erst recht nicht weiter.

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