Abgelehnte Münchner Olympiabewerbung:Wie das IOC die Menschen verprellte

Bürgerentscheid Olympiabewerbung 2022

Die bayerischen Bürger haben sich festgelegt: Winterspiele im Jahr 2022 wollen sie in ihrer Heimat nicht.

(Foto: dpa)

Das Nein in München zu den Winterspielen richtet sich nicht gegen Olympia generell. Vielmehr dürfte es die Quittung sein für eine Sportpolitik, die sich lieber auf Kungelei verlässt.

Von Thomas Kistner

Im Mai in Berlin, da waren sich alle einig. "Wir, die Ministerinnen und Minister, rufen die Sportveranstalter auf, Bereiche zu bestimmen, in denen sich die finanziellen, technischen und politischen Anforderungen an Sportgroßveranstaltungen absenken lassen, um Länder zur Abgabe von Angeboten zu ermutigen und mehr Länder in die Lage zu versetzen, Gastgeber zu sein, ohne nationale Prioritäten und Nachhaltigkeitsziele riskieren zu müssen."

So lautet die Erklärung von mehr als 50 Teilnehmern zum Abschluss der 5. Unesco-Weltsportministerkonferenz in Berlin. Den Kontrast dazu bildet der enttäuschte Unterton, der eingedenk des bayerischen Bürgervotums gegen Spiele 2022 nun in Berlin anklingt; Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) ließ sogar Bedauern ausrichten.

Was bezweckte der Sportministerappell, wenn dann Bürger konkret gegen so ein Sportevent votieren - und die Politik pikiert ist? Es gab ja seitdem keine Zugeständnisse durch das Internationale Olympische Komitee. Das war doch gerade wegen seines Gigantismus, des Mangels an Transparenz und einer einseitigen Verteilung der finanziellen Risiken ins Visier der Minister geraten.

Vielleicht also war das nicht so ganz ernst gemeint, bei der Sportministerkonferenz im Mai. Oder die Politik, der treueste Bündnispartner der Sportverbände, ist schlicht schockiert darüber, dass ihr jetzt ein wesentliches Instrument für landesweites Entertainment und nationale Identitätsstiftung wegzubrechen droht. Die Verstörung über ein eindeutiges Bürgervotum ist bezeichnend - im Sport selbst herrscht nun anhaltendes Entsetzen.

Denn das Nein zu München richtete sich ausdrücklich nicht gegen den Sport oder Olympia generell, wie die Gegner vor und nach der Abstimmung darlegten. Sondern im Kern gegen das IOC und die Art, wie der globale Spitzensport heute geführt und vermarktet wird. Ein Spitzensport, der just vor zwei Monaten einen neuen Präsidenten gekürt hat. Der kommt aus Deutschland, heißt Thomas Bach und hat den nationalen Sport über die letzten 15 Jahre dominiert, von 2006 an war er Chef des Deutschen Olympischen Sportbunds (DOSB). Wenig Vorzeigbares oder Sinnstiftendes ist aus diesen Jahren überliefert.

Kaum aber hat Bach die DOSB-Spitze geräumt, beraten die Koalitionsparteien CDU/CSU und SPD erstmals über ein hartes nationales Anti-Doping-Gesetz, wie es in vielen Ländern Europas längst wirksam ist. Hierzulande jedoch war es stets am Widerstand Bachs und seiner Funktionäre gescheitert. Der Schluss, dass Bach keinen Glaubwürdigkeitsbonus aus der Heimat ins IOC-Spitzenamt mitnahm, liegt aber auch nahe, weil er ja bei der Winterbewerbung 2018 noch Münchens Frontmann im IOC war.

Das Glaubwürdigkeitsdefizit reicht tief in die nationale Sportpolitik hinein. Das dürfte zur größten Hypothek für den organisierten Sport aus dem München-Desaster werden. Unter dem Wirtschaftsberater Bach war die DOSB-Politik stark auf Lobbyismus ausgerichtet; in Michael Vesper gelangte ein Generaldirektor an die Verbandsspitze, dem wenig Fachkenntnis, aber rustikales Durchsetzungsvermögen auf der politischen Bühne nachgesagt wurde. Wie in der großen Sportpolitik üblich, wurden wichtige Prozesse auch hierzulande gern im Hinterzimmer verhandelt.

Zu viele Deals im Hinterzimmer

Der groteske Höhepunkt dieser Führungskultur war im August 2012 zu erleben, als während der Londoner Sommerspiele das Innenministerium von Journalisten per Gerichtsurteil gezwungen wurde, die Medaillen-Zielvereinbarungen mit dem DOSB offenzulegen. Das sind nationale Erfolgsvorgaben, die andernorts in schönen Broschüren publiziert werden; immerhin geht es dabei um die Effizienz der verwendeten öffentlichen Mittel. In Deutschland schuf die Justiz Transparenz; so, wie die Politik nun endlich gesetzliche Instrumente schaffen will, mit denen dopenden Athleten beizukommen ist.

"Es gibt kein Hintertürchen", sagte Vesper nach dem Votum resignierend, "es ist die Aussage der Bürger." Die Arbeit im DOSB wird nicht einfacher werden. Beim Bundestag am 7. Dezember wird Alfons Hörmann als Interims-Nachfolger für Bach an der DOSB-Spitze installiert.

Der Firmenchef aus dem Allgäu ist Präsident des Deutschen Ski-Verbands, er stößt nun auf viele Probleme - und in ein Vakuum, das Bach hinterließ und Vesper verwaltet. Auf nur ein Jahr ist sein Mandat begrenzt, 2014 wird turnusgemäß ein DOSB-Präsident auf vier Jahre gewählt. Da wäre manches leichter gefallen, hätte er das Amt mit einer Winterspielbewerbung im Kreuz antreten können: etwa die anstehende Debatte mit dem BMI um mehr Geld für den Sport.

Abzuwarten bleibt, ob Hörmann im neuen Umfeld ein Profil entwickeln kann, das ihm bisher nicht zu eigen war. Auch am Abend nach der Wahl hinterließ er einen farb- und ratlosen Eindruck, im Bayerischen Fernsehen verteidigte er die allseits als Knebelverträge empfundenen Veranstalter-Kontrakte des IOC so stur und trotzig, dass ihm sogar ein Verbündeter in die Parade fuhr: Christian Ude schlug sich demonstrativ auf die Seite des Olympia-Gegners Ludwig Hartmann und rügte die olympischen Vertragswerke. Münchens Oberbürgermeister hatte dafür ja vor Jahren bereits den Begriff "Zumutung" geprägt.

Ein Sport im Schmollwinkel wird das Vertrauen der Bevölkerung kaum zurückgewinnen können. Zumal da die Verbündeten in der Politik vorsichtig geworden sind. Und dass gewisse Prominente für Großevents werben, nehmen die Bürger der modernen Zivilgesellschaft eher als Folklore wahr.

"Das Land Bayern hat eine große Chance vertan, sich der Weltöffentlichkeit zu präsentieren", befand Franz Beckenbauer nach dem Olympia-Aus. Tage zuvor hatte er die globale Kritik an einem anderen Großereignis zurückgewiesen, der Fußball-WM in Katar. Er selbst habe dort, so lautete Beckenbauers Expertise, "noch nie einen Sklaven gesehen".

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