Fall Gurlitt:Mythos vom rechtschaffenen Retter

The House Of Art Collector Cornelius Gurlitt In Salzburg

Klingelschild am Haus von Cornelius Gurlitt In Salzburg. Bislang beharrt er darauf, dass er keines der 1400 Werke aus dem Münchner Kunstfund zurückgeben möchte.

(Foto: Getty Images)

"Freiwillig gebe ich nichts zurück": Gurlitts Haltung in der Münchner Raubkunst-Affäre bildet das Rechtsempfinden seiner Generation ab. Dabei ist das rechtmäßige Handeln, auf das er sich beruft, wohl vor allem eins - ein Mythos aus der Nachkriegszeit.

Von Catrin Lorch

Wie kann ausgerechnet so einer geschichtsvergessen sein? Das fragt sich, wer die Äußerungen von Cornelius Gurlitt in dieser Woche im Magazin Spiegel liest, wo auch ein Auszug aus einer Autobiografie seines Vaters, des Nazi-Kunsthändlers Hildebrand Gurlitt, abgedruckt ist.

Es klingt bizarr, wenn Cornelius Gurlitt bedauert, dass er sein Erbe nicht habe schützen können, so wie der Vater, der es gegen das Feuer der Nazis, Bomben, Russen, Amerikaner verteidigt habe. Er selbst, der die Kunst gemeinsam mit dem Vater zu Bauern im Umland von Dresden und einem Schloss in Süddeutschland gekarrt habe, habe "nie etwas mit der Anschaffung der Bilder zu tun gehabt, nur mit der Rettung". In solchen Sätzen oder auch der Schilderung dieser "Rettung" von Vater Hildebrand Gurlitt, bildet sich noch einmal das ganze Rechtsempfinden dieser Generation ab.

Das ist zum einen der Mythos, man habe sich die Werke als Retter mit Schaufel und dem Handkarren und einer Spur Pfiffigkeit rechtmäßig angeeignet - schließlich wären sie sonst verloren gewesen. "Ich fand die ausgelagerten Reste der Sammlung", schreibt Hildebrand Gurlitt über das Kriegsende, "aber ihre Abenteuer sollten erst beginnen. Aus den Passepartouts herausgerissen, an verschiedenen Orten verteilt, blieb ein Teil in Sachsen", den er "mit einer kleinen List", "einem braven Russen" und "zwei Flaschen Schnaps freibekommen" konnte. Anderes "war in einer alten fränkischen Wassermühle eingemauert".

Und das von den Amerikanern Beschlagnahmte sei zurückgegeben worden. Doch der Mythos vom "Keller", aus dem man die Schätze unversehrt ausgrub, camoufliert vor allem, dass es sich um zwei Verstecke gehandelt haben muss: Im "Keller" rettete man die Kunst zunächst vor den Bomben. Dass man sie dann aber in den gleichen Verstecken ließ, um sie vor treffsicheren Fragen der Alliierten zu verbergen, macht aus dem gleichen "Keller" den Ort des Betrugs - es drohte ja allein der persönliche Verlust.

Quelle für Devisen

Zudem betonten alle in die Nazi-Kunsthändel verstrickten Akteure in der Nachkriegszeit gerne die Behauptung, die SS habe die "Entartete Kunst" zerstören wollen. Die Geschichtsschreibung hatte ja schon die öffentlichen Bücherverbrennungen notiert, den Nazis war alles zuzutrauen - doch mehr, als die verfemte Kunst verhöhnt und verspottet aus den Museen zu werfen, war vielleicht gar nicht geplant; schnell wurde das Verfemte zur Quelle für Devisen.

Hildebrand Gurlitt, inzwischen wieder Verfechter der Moderne und Leiter des Düsseldorfer Kunstvereins, schrieb: "Ich glaube, etwa 80.000 Kunstwerke hat die SS verbrannt", ein Schicksal, das den von ihm an Sammler wie Haubrich in Köln oder Sprengel in Hannover vermittelten Bilder erspart blieb.

Begehrte Trophäen

Die öffentliche Meinung der Nachkriegszeit bestärkte die Klitterungen. Denn nun waren die verfemten Bilder zu begehrten Trophäen geworden. Als könne man das Unrecht beziffern und ihm ein Preisschild ankleben, um sich mit einem Gemälde von Nolde oder Münter, Pechstein oder Kokoschka auf eine verquere Weise symbolisch von der Schuld frei zu kaufen.

Rückblickend verblüfft es, wie wenig das Ansehen der verstrickten Händler-Clique gelitten hat. Erst jetzt, nach dem Schwabinger Bilderfund, erscheint es befremdlich, wie sich die Szene auf "Tradition" beruft.

Ende dieser Woche ruft man im Berner Auktionshaus Stuker beispielsweise mit viel Pomp eine Sammlung auf, die genau den gleichen Kontinuitäten entstammt. Den Katalog ziert der Namenszug der Münchner Kunsthandlung Fischer-Böhler.

Die lange, einleitende Firmenchronik vermerkt zur Epoche des Dritten Reichs und des Kriegs aber nur, dass man diese Jahre insofern gut überstanden habe, als man "große Warenbestände schon vor den ersten Bombardierungen" ausgelagert hatte. Die meisten Provenienzen verkürzen sich auf den Namen des ehemaligen Inhabers "Sammlung Karl Fischer".

Doch, so ein Kenner des Kunsthandels: habe Fischer-Böhler nicht nur "reihenweise Nazi-Villen ausgestattet" und den Obersalzberg beliefert? Die Protokolle der National Archives belegen hervorragende Geschäftsverbindungen. Prominenter Auftrag war die "leihweise" Möblierung eines Stifts bei Linz, wo die Reichsrundfunkgesellschaft eine Niederlassung einrichtete.

Dem wuchtigen Geschmack der Zeit entsprechend, lieferte Fischer-Böhler Barocksofas, Sitzgarnituren aus Nussbaumholz, Schreibtische mit Elfenbeinbeschlag. Große Möbelwagen transportieren die Ware nach dem Krieg wieder nach München in die Lager der Firma Fischer-Böhler.

Forschungsprojekt zum braunen Kunsthandel

Es geht in diesem Fall nicht um die rechtliche Situation, sicher wird das Auktionshaus keine Raubkunst-Gemälde aufrufen. Aber ob sich unter den jetzt gelisteten Losen auch das eine oder andere Reichsrundfunkmöbel befindet?

Die Prosa des Kataloges jedenfalls betont die Kontinuität, wo man beispielsweise eine Rokoko-Vertäfelung (Los 134) anpreist, die Karl Fischer schon während des Dritten Reichs verwenden wollte, dann aber erst in der Nachkriegszeit in der Residenzstraße anbrachte: Die mit Pfauen bemalten Tafeln seien seither "untrennbar mit dem Namen Fischer-Böhler verbunden", heißt es. Los 134 wird übrigens mit einem Schätzpreis von 100.000 bis 150.000 Euro angeboten.

Unterdessen fehlt es denen, die trübe Kapitel nachkriegsdeutscher Kunstgeschichte wissenschaftlich aufarbeiten wollen, an Geld: Meike Hopp, Christian Fuhrmeister und Stefan Klingen hatten als Wissenschaftler der Henkel-Stiftung im vergangenen Jahr ein Forschungsprojekt zum braunen Kunsthandel und seinen Kontinuitäten vorgestellt. Die Stiftung sei begeistert gewesen, berichten sie - doch leider fehlt es dafür an Geld.

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