Geheimer Krieg:Armee der Wissenschaft

Soldat der US Army

Ein US-Soldat feuert mit seinem Sturmgewehr während eines Gefechts mit Aufständischen im Jahr 2009 im afghanischen Bezirk Barg-i Matal

(Foto: AFP)

Das US-Verteidigungsministerium lässt an zahlreichen Hochschulen in Deutschland für den Krieg forschen. Die Unis berufen sich oft darauf, Grundlagenforschung zu betreiben. Doch die kann schnell in konkreter Wissenschaft im Dienste des Militärs münden. Ist das moralisch vertretbar?

Von Arne Meyer, Frederik Obermaier, Bastian Obermayer und Benedikt Strunz

Man darf Thomas Klapötke, Professor für Anorganische Chemie an der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität, nicht falsch verstehen: Töten soll sein Sprengstoff schon, und zwar mindestens so gut wie der in herkömmlichen Bomben. Aber auf dem Schlachtfeld soll es in Zukunft bitteschön umweltverträglicher zugehen. Seine Erfindung soll, so drückt er es aus, "die gleiche Leistung bringen, aber weniger ökologische und toxikologische Probleme".

Sprengstoff enthält heute - wie schon zu Zeiten des Zweiten Weltkriegs - Hexogen, ein giftiges Nitramin. Es schädigt die Nieren, wenn es ins Blut kommt. Für die Arbeiter, die Truppenübungsplätze von Bombenresten befreien, ist das ein Problem, und natürlich auch für Soldaten und Zivilisten im Krieg. Deshalb hat das US-Verteidigungsministerium Klapötke 2012 fast eine halbe Million Dollar gezahlt - in der Hoffnung auf saubereren Sprengstoff. Der Münchner Professor wurde damit zum Teil des amerikanischen Militärapparats, der längst auch an deutschen Hochschulen für künftige Kriege forschen lässt.

Seit dem Jahr 2000 hat das US-Verteidigungsministerium nach Recherchen des Norddeutschen Rundfunks (NDR) und der Süddeutschen Zeitung Projekte an mindestens 22 deutschen Hochschulen und Forschungsinstituten unterstützt. Darunter sind auch Universitäten, die sich eigentlich zu ausschließlich friedlicher Forschung verpflichtet haben.

Grundlagenforschung - mit eindeutigem Ziel

Manche Projektbeschreibungen klingen beim ersten Lesen wenig militärisch, andere sind klar auf den Krieg zugeschnitten. So forschte die Fraunhofer-Gesellschaft für die US-Armee an Panzerglas und an Sprengköpfen, die Uni Marburg an Mini-Drohnen. Der zivile Nutzen dieser Projekte dürfte überschaubar sein. Gleiches gilt für den Münchner Öko-Sprengstoff. Dieser, sagt Thomas Klapötke, würde bestimmt "zu 80 Prozent" militärisch genutzt.

Insgesamt flossen seit 2000 mehr als zehn Millionen Dollar des US-Militärs in deutsche Forschung. Allein ein Max-Planck-Institut, die Fraunhofer-Gesellschaft, das Alfred-Wegener-Institut und ein Leibniz-Institut erhielten Mittel des Pentagon in Höhe von zusammen 1,1 Millionen Dollar. Ihre Namen tauchen im "Federal Procurement Data System" auf: einer Datenbank, in der die USA alle Zuschläge für Staatsaufträge veröffentlichen, deren Volumen 3000 Dollar übersteigt.

Auch ein 68.198-Dollar-Zuschuss des "Department of the Air Force" an die Universität Marburg ist darin zu finden. Laut Projektbeschreibung geht es um "Nocturnal Visual Orientation in Flying Insects": eine Laborstudie zur nächtlichen Orientierung von Wüstenheuschrecken. Nach Angaben der Uni handelt es sich "um reine Grundlagenforschung". Was das bedeutet, wenn der Partner die amerikanische Luftwaffe ist, lässt sich in einem Projektbericht nachlesen: Die Forschung, heißt es dort, ziele auf eine Anwendung in "zielgelenkter Munition".

Frage der Moral

Mit zielgelenkter Munition töten US-Soldaten jedes Jahr Hunderte Zivilisten in Afrika und am Hindukusch. Diese Toten sind die in Kauf genommenen "Kollateralschäden" in Amerikas Kampf gegen den Terror - und am Ende auch Opfer deutscher Forschung? Ausschließen lässt sich jedenfalls nicht, dass die Arbeit an deutschen Universitäten ein paar Jahre später dazu führt, dass Menschen - noch effektiver - getötet werden. Oder wofür braucht man sonst zielgerichtete Munition und Sprengstoff?

Bei den Vereinigten Staaten ist die Anwendung militärischer Gewalt keine nur akademische Frage. Die USA führen Krieg, in Somalia, in Pakistan, manchmal auch im Jemen. Können, oder sollten deutsche Forscher da zur Hand gehen, ruhig, sachlich - und erfreut über die Anwerbung der begehrten Drittmittel, von Geldern also, die projektgebunden fließen und die zu der spärlichen staatlichen Grundfinanzierung dazukommen?

Ein moralischer Konflikt. Oder nicht? Thomas Klapötke verteidigt seine Forschung: "Entweder man ist Pazifist und schafft die Armee ab. Oder man glaubt an das Nato-Bündnis - und dann ist es natürlich auch nicht verwerflich, seine eigenen Leute mit gutem Material auszustatten." Aber ist es nicht so, dass in Afrika nicht die Nato Krieg führt, sondern Amerika?

Grenzwertige Dual-Use-Forschung

Im universitären Raum wird durchaus Grundsatzkritik laut an der Verbindung von US-Militärgeldern und deutscher Wissenschaft: "Forschen für den Krieg ist ethisch nicht verantwortbar", sagt etwa Reiner Braun von der rüstungskritischen Vereinigung Deutscher Wissenschaftler (VDW). Doch was genau ist Forschung für den Krieg - und was nicht? Wurde nicht die Erfindung von Computern oder Konservendosen maßgeblich durch die Militärforschung vorangetrieben? Viele der vom Pentagon geförderten Vorhaben bewegen sich im Graubereich oder wie es im Fachjargon heißt: im Dual-Use-Bereich. Das bedeutet: Die Ergebnisse der Studien können sowohl militärisch als auch zivil genutzt werden.

Armeen benötigen zum Beispiel auch gute Motoren, sichere Flugzeuge oder verlässliche Navigationsgeräte. All das kann im Krieg wichtig sein - und die Forschung daran deshalb interessant für das Militär.

Die Schwierigkeiten, Militärisches und Ziviles voneinander abzugrenzen, helfen den chronisch klammen Unis, sich herauszureden: Wenn fast alle Forschung auch für den Krieg verwendet werden kann, trifft ja der Vorwurf kaum noch, man betreibe kriegsrelevante Forschung - weil doch fast alles darunter fällt. Reiner Braun sieht das anders: "Auch Dual-Use-Forschung ist zumindest eine Teilforschung fürs Töten und für Krieg - und damit abzulehnen."

Konkrete Wissenschaft im Dienst des Militärs

Ein Beispiel: Die Universität des Saarlandes erhielt im Januar 2013 mehr als 120.000 Dollar vom "Army Research Laboratory", um die mathematische Verarbeitung von Sprachstrukturen zu erforschen. Aus Sicht der Uni handelt es sich dabei um "reine Grundlagenforschung". Die Ergebnisse könnten auf ganz verschiedenen Feldern zu Anwendungen führen, teilt die Uni mit - und ergänzt: "Dass darunter auch militärische sein könnten, liegt in der Natur von Grundlagenforschung."

So können Modelle von Sprache etwa in die Entwicklung von Abhörtechnologie einfließen. Aus "reiner Grundlagenforschung" wird damit ziemlich schnell konkrete Wissenschaft im Dienste von Militär und Geheimdiensten. Und man kann auch andersherum fragen: Warum sollte die US-Armee sonst überhaupt dafür zahlen? Jeder Euro an Militärgeld ist ein Indiz dafür, dass die geförderten Vorhaben zumindest auch militärischen Nutzen haben könnten.

Natürlich lässt nicht nur das US-Militär forschen. Auch das deutsche Verteidigungsministerium überweist den Unis jedes Jahr Millionen für "Wehrforschung, wehrtechnische und sonstige militärische Entwicklung und Erprobung". Aber Deutschland ist nicht die USA - und auch deutsche Militärforschung nicht überall gern gesehen:14 deutsche Hochschulen, darunter Konstanz, Göttingen, Darmstadt und Ilmenau, haben sich über sogenannte Zivilklauseln in ihren Satzungen selbst verpflichtet, nicht für das Militär zu forschen.

Den Anfang machte 1986 die Universität Bremen, als sie beschloss, dass "jede Beteiligung von Wissenschaft und Forschung mit militärischer Nutzung bzw. Zielsetzung" vom Akademischen Senat abgelehnt werden müsse. In der Zivilklausel werden die Mitglieder der Uni aufgefordert, "Forschungsthemen und -mittel abzulehnen, die Rüstungszwecken dienen können."

Freiheit der Forschung

Voriges Jahr wurde die Bremer Regelung sogar noch verschärft - und doch findet sich ausgerechnet diese Universität in der Datenbank amerikanischer Regierungsaufträge. 2011 und 2012 erhielten Wissenschaftler der Hochschule jeweils 40.000 Dollar vom Verteidigungsministerium beziehungsweise der Verwaltung der Luftwaffe: Unterstützung für ein Forschungsprojekt, bei dem es um Metallemissionen in der oberen Atmosphäre geht.

"So ein Geldgeber legt natürlich die Vermutung nah, dass es einen militärischen Hintergrund geben könnte", sagt der Bremer Universitätsrektor Bernd Scholz-Reiter. Er wirkt nicht glücklich über die Förderer aus den USA. Aber letztlich sind ihm die Hände gebunden. Denn trotz Zivilklausel entscheidet immer noch der einzelne Forscher, ob er die Kooperation mit dem Militär eingehen will oder nicht. Verbieten kann es ihm die Uni nicht, sie kann ihm nur abraten: In Deutschland ist die Freiheit der Forschung im fünften Artikel des Grundgesetzes garantiert. Auch wenn das heißt: Forschen für den Krieg.

Mitarbeit: Peter Hornung, Niklas Schenck

Am Dienstag in der SZ der elfte Teil der Serie "Der geheime Krieg": Das Milliardengeschäft der Deutschen mit amerikanischen Geheimdiensten wie CIA und NSA und dem US-Militär.

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