Doku-Spiel "Fort McMoney":Stadt mit zwei Gesichtern

Harte Arbeit, reich belohnt - oder Absturz in Armut und Drogenmissbrauch: Das Dokumentarspiel "Fort McMoney" erforscht die Auswirkungen der Ölförderung in der kanadischen Stadt Fort McMurray - und lässt den Spieler entscheiden: Was ist wirklich dran am Mythos von der boomenden Erdöl-Stadt, in der jeder sein Glück machen kann?

Von Matthias Huber

Es wäre so einfach gewesen, die Geschichte von Fort McMurray nur in einem Dokumentarfilm zu erzählen. Eineinhalb Stunden Streifzug durch die Stadt, eingestreute Interviewfetzen mit verschiedenen Protagonisten, vom Obdachlosen über den Öl-Lobbyisten bis hin zur Bürgermeisterin. Alles entsprechend montiert, und am Ende steht eine klare Aussage: Die industrielle Ölförderung schadet Fort McMurray mehr als sie nutzt. Oder umgekehrt.

Doch genau das wollte David Dufresne, der Autor des Doku-Spiels Fort McMoney, vermeiden. Der Zuschauer soll die Möglichkeit haben, sich selbst eine Meinung zu bilden, sich nicht durch die Auswahl der Bilder und Gesprächsfetzen manipuliert fühlen. Also haben Dufresne und sein Team 60 Tage gedreht und Material gesammelt - und all das in ein Spiel verpackt, in dem das Publikum selbst entscheiden kann, welche Informationen es zur Kenntnis nehmen möchte, und welche es lieber ignoriert.

Das reale Fort McMurray in Kanada bildet die Ausgangslage, mit der das Spiel beginnt - und sich nach dem Willen der Teilnehmer entfaltet. Die Spieler erkunden die Gegend um die mittlerweile gar nicht mehr so kleine Stadt im Norden der kanadischen Provinz Alberta, klicken sich dabei durch eine Reihe kurzer Videoclips und interaktive Schauplätze. Zwischendurch gibt es immer wieder die Gelegenheit, einzelne Bewohner von Fort McMurray mit verschiedenen Fragen zu konfrontieren - und, wenn man nicht behutsam ist, auch zu verärgern. So bricht beispielsweise der Lobby-Vertreter der örtlichen Ölindustrie das Gespräch nach einer Reihe kritischer Fragen unvermittelt ab, womöglich lange bevor der Spieler von ihm alle gewünschten Informationen erhalten hat.

"Spieler können sich für Extreme entscheiden"

Die interaktive Recherche ist aber nur die Voraussetzung für den anderen, noch umfangreicheren Aspekt des Doku-Spiels. Denn die Teilnehmer sind nicht darauf beschränkt, nur auf eigene Faust die Fakten und Eindrücke aus Fort McMurray aufzunehmen. Sie sollen auch das Schicksal der Stadt beeinflussen - oder wenigstens das Schicksal einer fiktiven Version davon, die auf der realen Situation aufbaut.

"Die Spieler werden die Möglichkeit haben, sich für Extreme zu entscheiden", sagt Dufresne im Interview. "Sie können die Ölproduktion im virtuellen Fort McMurray lahmlegen - das wäre der Erfolg der Umweltschützer. Sie können aber auch die boomende Stadt und die Produktion von fünf Millionen Barrel Öl am Tag am Laufen halten - das wäre der Erfolg der Industrie."

Dazu ist in das Spiel eine Diskussionsplattform integriert. Spieler nehmen an der Debatte zu bestimmten Fragen teil, beispielsweise: "Sollten die Steuern auf Erdölerzeugnisse erhöht werden?" Spieler können diskutieren, argumentieren, und ihren Standpunkt sogar mit Belegen versehen: Es lassen sich einzelne Videos oder digitale Fundstücke aus Fort McMurray mit den Diskussionsbeiträgen verknüpfen, oder sogar auf externe Quellen verlinken - beispielsweise bei Süddeutsche.de.

Bestimmen die Informierten und Engagierten das Schicksal der Stadt?

Haben die Spieler ihren Standpunkt klargemacht, gibt es in jeder der vier Spielwochen eine Reihe von Abstimmungen. Um daran teilzunehmen, sammeln sie bei ihren Recherchen sogenannte Einflusspunkte - je mehr Videos sie ansehen, je mehr Interviews sie führen, je mehr sie ihre Ergebnisse in sozialen Netzwerken wie Facebook oder Twitter mit ihren Freunden diskutieren, desto größer ist das eigene Punktekonto. Und jeder dieser Punkte hat den Wert einer Stimme bei den Debatten. Stimmt also ein besonders fleißiger Spieler für eine Erhöhung der Steuern, so hat das deutlich mehr Wirkung, als wenn ein Neueinsteiger an die virtuelle Wahlurne tritt.

Also bestimmen die Informierten und Engagierten das Schicksal der Stadt? Nicht unbedingt. Denn Fort McMoney, das Spiel, ist reich an Details, bietet Stoff für stundenlange Recherchen und hitzige Debatten. Nicht jeder wird sich die Mühe machen, alle Fakten und Meinungen anzuhören und auszuwerten. Sondern wird vielleicht der Verlockung schnellen Reichtums erliegen, die so viele nach Fort McMurray ruft. Die Meinung vieler könnte bei der Abstimmung viel mehr Gewicht haben als der eigentlich höhere Einfluss weniger. "Hinter all der Diskussion über das Öl sprechen wir aber eigentlich über den Kampf, in dem wir uns alle ständig befinden", sagt Dufresne. "Fort McMoney ist ein Spiel über den Kapitalismus."

Süddeutsche.de und Le Monde sind Medienpartner von Arte bei dem Doku-Game. Es wird von der kanadischen Medienförderung CMF/FMC mitfinanziert, vom kanadischen Filmboard ONF/NFB und der Firma Toxa produziert.

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