Subvention von Biokraftstoffen in der EU:Mörderischer Sprit

Biosprit

Noch immer wird die Herstellung von Biosprit von der EU subventioniert.

(Foto: Oliver Berg/dpa)

Immer noch werden Agrarkraftstoffe europaweit als umweltfreundlich gefördert. Für Biosprit werden Unmengen an Grundnahrungsmitteln verbrannt und damit Umwelt und Menschenleben zerstört. Die deutsche Regierung verhält sich bislang wie ein Söldner der Agroindustrie.

Ein Gastbeitrag von Jean Ziegler

Am 12. Dezember entscheiden die Mitgliedstaaten der EU, ob die europäische Gemeinschaft weiterhin Agrarkraftstoffe fördert, den Biosprit also. Bundeskanzlerin Angela Merkel und der deutsche Umweltminister müssen die Förderung von Agrosprit beenden, um Umwelt und Menschen vor den Folgen zu schützen. Hunderte Millionen Tonnen an Grundnahrungsmitteln für die Herstellung von Agrosprit zu verbrennen ist ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Seit 2007 haben die Regierungen der EU und der USA die Agrarindustrie großzügig darin unterstützt, Autotanks mit Essen zu füllen - mit verbindlichen Zielen, Steuervergünstigungen und Subventionen, die sich auf Milliarden Dollar und Euro pro Jahr belaufen. Das Resultat? Hunger, Landraub und Umweltschäden haben zugenommen, Hunderttausende Menschenleben sind zerstört.

Die verheerenden Folgen haben die EU-Kommission dazu bewogen, eine Begrenzung der Förderung von Agrosprit in der EU auf sieben Prozent des gesamten Spritverbrauchs vorzuschlagen. Das ist zu wenig. Die Förderung von Agrokraftstoffen, die in Nahrungskonkurrenz stehen und die Umwelt zerstören, muss schnellstmöglich komplett abgeschafft werden.

Der deutsche Umweltminister Peter Altmaier und Kanzlerin Angela Merkel haben noch die Chance, der Agrosprit-Idiotie Einhalt zu gebieten. Es ist ihre Pflicht, dies zu tun - in einer Zeit, in der alle fünf Sekunden ein Kind unter zehn Jahren an Hunger oder seinen unmittelbaren Folgen stirbt und in der 843 Millionen Menschen schwerst unternährt sind, so die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen FAO.

Die Signale, die die Regierung momentan aussendet, sind jedoch alarmierend. Deutschland setzt sich auf EU-Ebene dafür ein, die Menge an Agrosprit in der EU auszuweiten und die Förderung um zehn Jahre, bis 2030, auszudehnen. Nachdem Deutschland die EU-Kommission anfänglich darin unterstützt hat, Agrosprit in der EU zu begrenzen, macht sich die Bundesregierung nun zum Söldner der Agroindustrie, die seit Monaten Sturm läuft gegen eine Begrenzung von Agrosprit. Die Regierung handelt auch gegen den Willen der eigenen Bevölkerung, die die Förderung der zerstörerischen Kraftstoffe mit großer Mehrheit ablehnt.

Kleinbauern werden vertrieben, Wälder abgeholzt - zum Nutzen der Spekulanten, nicht des Klimas

Es ist paradox, dass Agrokraftstoffe noch immer von einigen transnationalen Konzernen als umweltfreundliche, nachhaltige Alternative zu fossilen Treibstoffen beworben werden. Außer denen, die unmittelbar von einer Agrosprit-Politik profitieren, glauben nur noch wenige an ökologische oder gar soziale Vorzüge dieser Kraftstoffe. Das Gegenteil ist richtig: Die Profitmaximierung durch Agrosprit ist eine der vielen Formen der rücksichtslosen Ausbeutung von Ressourcen. Um ein Beispiel zu geben: Für die Herstellung von einem einzigen Liter Agrosprit werden 2500 Liter Wasser benötigt.

Seit 2008 haben die deutsche und die europäische Politik den Märkten Lebensmittel entzogen, um den Agrosprit zu fördern - auf Geheiß der mächtigen Agroindustrie, in ihrem Streben nach privatem Profit. Die Verwendung großer Mengen an Nahrungs- und Nutzpflanzen für relativ geringe Mengen an Treibstoff hatte drei desaströse Folgen. Die erste ist die Zunahme des Hungers in der Welt. Fast alle Agrarkraftstoffe in Europa werden aus Nahrungspflanzen gemacht, die für die rasch ansteigende Weltbevölkerung essenzielle Nahrungsquellen sind - aus Weizen, Soja, Ölpalmen, Raps und Mais. Europa verbrennt in seinen Kraftstofftanks momentan so viele Kalorien, wie 100 Millionen Menschen für ihre Ernährung bräuchten.

Hinzu kommt, dass wegen der Agrosprit-Ziele der EU (die gegenwärtig überprüft werden) die Preise wichtiger Nahrungsmittel bis 2020 steigen: Ölsaaten bis zu 20 Prozent, Pflanzenöl bis zu 36 und Mais bis zu 22 Prozent. Für eine Milliarde hungernde Menschen, die in den Slums dieser Welt mit ganz wenig Geld ihre Nahrung kaufen müssen, sind diese Preissteigerungen eine Katastrophe.

Die Bundesregierung macht sich zum Mittäter in einem Verbrechen gegen die Menschlichkeit

Die zweite Folge ist die verstärkte Nachfrage nach Land, wodurch sowohl kleinbäuerliche Betriebe als auch Lebensräume für Menschen, Pflanzen und Tiere zerstört werden. Flächenspekulanten, Hedge-Fonds und Agrarenergie-Konzerne bilden die Spitze eines neuen weltweiten Ansturms auf Land, der Hunderttausende Kleinbauern von ihren Feldern verdrängt, ihnen die Existenzgrundlage und die Wasserversorgung nimmt. Dies geschieht überall auf der Welt und besonders stark in Lateinamerika, Afrika und Asien, wo die Monopolisierung des Landes durch internationale Agrosprit-Konzerne auch von Gewalt begleitet wird. Die Opfer sind wieder einmal eingeborene Bauern und ihre Familien.

Die dritte Folge ist die Umweltzerstörung. Um die EU-Agrosprit-Vorgaben zu erfüllen, wird zusätzliche Ackerfläche in der Größe von Irland benötigt - abgeholzte Wälder, geplünderte Torfmoore und umgebrochenes Grünland sind die Folge. Es gibt immer mehr Belege dafür, dass die meisten Agrarkraftstoffe kaum oder gar keine Klimavorteile bringen.

Jean Ziegler

Der Schweizer Jean Ziegler, 79, war von 2000 bis 2008 UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung. Er sitzt im beratenden Ausschuss des UN-Menschenrechtsrats.

(Foto: C. Bertelsmann)

Durch den Einsatz von Düngemitteln, Landrodung und die Verdrängung anderer Feldfrüchte werden die Kohlenstoffdioxid-Emissionen nicht verringert. Im Gegenteil, Millionen Tonnen zusätzliches Treibhausgas gelangen so in unsere Atmosphäre. Auch die deutsche Regierung sperrt sich dagegen, dass diese Emissionen in die Klimabilanz der Agrokraftstoffe einbezogen werden. Denn damit würde offensichtlich, dass der Einsatz von Agrosprit nicht dem Klima dient. "Wirtschaftsförderung" wäre der weitaus zutreffendere Begriff.

Der Verbrauch fossiler Energieträger muss ohne Zweifel schleunigst reduziert werden. Die Lösung sind allerdings nicht die Agrarkraftstoffe, die zusätzliches Land beanspruchen und so viele schädliche Folgen haben. Die Lösung wäre ein geringerer Energieverbrauch sowie die Förderung öffentlicher Verkehrsmittel und alternativer, sauberer Energiequellen.

Genug ist genug. Es ist an der Zeit, den Agrosprit-Wahnsinn zu stoppen, der einigen wenigen internationalen Konzernen riesige Profite beschert, während er auf der anderen Seite Umweltzerstörung und Millionen hilflose Opfer verursacht. Wenn sie am 12. Dezember in Brüssel über die Zukunft der mörderischen Agrarkraftstoffe abstimmen, müssen die Vertreter der EU-Staaten unverzüglich alle Zielvorgaben und Unterstützung für solche Agrarkraftstoffe abschaffen, die mit Lebensmitteln konkurrieren.

Tun sie das nicht, macht sie das zu Mittätern in einem Verbrechen gegen die Menschlichkeit.

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