Größter Fischmarkt der Welt in Tokio:Das Chaos von Tsukiji

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Der erste Thunfisch des Jahres ist immer der teuerste: Dieses Exemplar aus dem Jahr 2012 kostete mehr als eine halbe Million Euro. (Foto: Akio Kon/Bloomberg)

In Tokio ist der größte Fischmarkt weltweit, die Auktionen dort haben Einfluss auf die Preise rund um den Globus. Schon lange ist es zu eng in den alten Hallen, die Sehenswürdigkeit soll in zwei Jahren umziehen - doch es gibt noch nicht einmal Pläne.

Von Christoph Neidhart, Tokio

Die Makrelen kommen aus Island, der Lachs kommt aus Norwegen und Chile. Der Thunfisch aus dem Atlantik, die Königskrabben aus Russisch-Fernost. Aus japanischen Fängen stammt weniger als die Hälfte der fast 2000 Tonnen Fisch und Meeresfrüchte, die täglich in Tsukiji gehandelt werden. Der größte Fischmarkt der Welt ist heute vor allem ein Umschlagplatz für verderbliche Luftfracht. Die frühmorgendlichen Auktionen beeinflussen die Preise weltweit.

Doch Tsukiji ist am Ende, eigentlich schon seitdem die Stadtregierung vor zwölf Jahren beschloss, den 1935 im Bauhausstil errichteten Großmarkt für Fisch und Gemüse zu verlegen. "Etwas muss geschehen", meint der Sohn des Inhabers von Ikeda, einem auf Thun spezialisierten Großhändler, während einer Rauchpause in einer Nische am Stand. "In zwei Jahren sollen wir umziehen. Aber es gibt nicht einmal Pläne vom neuen Markt."

Die Stahlfachwerke der im Viertelrund angelegten Hallen von Tsukiji sind baufällig, der Eis-Schredder ist ein Monster aus dem frühen Industriezeitalter; die wertvollen Thunfische werden mit Haken über den Boden gezerrt. Unmöglich, in Tsukiji modernen Ansprüchen an Hygiene zu genügen.

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Tsukiji lag bei seiner Gründung am Hafen hinten in der Bucht von Tokio. Heute liegt der Markt, weil viel Land künstlich aufgeschüttet wurde, zwischen Hochhäusern mitten in der Hauptstadt. Die Regierung möchte den Grund, 43 Fußballfelder groß, bebauen lassen. Für die Olympia-Kandidatur 2016 hatte sie vorgesehen, ein Medienzentrum an der Stelle des Fischmarkts zu errichten. Das Konzept für die Spiele 2020 sieht einen anderen Ort vor.

Tsukiji ist ein wichtiger Wirtschaftsfaktor. Direkt und indirekt bietet der Markt mehr als 60.000 Leuten Arbeit, hier werden jährlich für fast vier Milliarden Euro Fisch verkauft.

Aber die Zahlen sind rückläufig, Japans Supermarktketten und auch Großhandelskonzerne wie Mitsubishi, weltweit der wichtigste Thunfisch-Händler, versuchen, Tsukiji zu meiden. Auktionen gibt es auch in anderen Fischerhäfen Japans. Zudem umgehen die Großhändler die Versteigerungen nach Möglichkeit, sie ziehen feste Geschäftsverbindungen mit stabilen Preisen vor.

Lange bevor Tsukiji um drei Uhr früh öffnet, rumpeln Hunderte Lkw an die Rampen der vorderen Hallen. Die Feinverteilung der Waren besorgen die ratternden Tareto, dreirädrige Lastesel mit Zweitaktmotor. Früh um halb sechs beginnen die Auktionen, zuerst der Thun. Ein mächtiger Fischkörper nach dem anderen wird verkauft.

Der Auktionator schnorrt in einem Jargon die Preise runter, den selbst Japaner nicht verstehen. Mit kaum sichtbarem Handzeichen bieten die Einkäufer. Sobald jemand den Zuschlag erhält, klatscht ein Helfer die Etikette auf den tiefgefrorenen Fisch.

Bei den täglichen Auktionen werden keineswegs jene legendären Preise erzielt, die zuweilen Schlagzeilen machen. Umweltschützer sagen, der Thunfisch sei sogar zu billig. Die jeweiligen Rekordpreise haben nichts mit der Qualität des Fisches zu tun, sie dienen der Werbung.

Jedermann weiß, dass der Käufer des ersten Thunfischs nach Neujahr in allen japanischen Medien erwähnt wird. Am 5. Januar 2013 zahlte Kyoshi Kimura, Chef einer Sushi-Restaurantkette, deshalb 155 Millionen Yen für den ersten Fisch, damals etwa 1,4 Millionen Euro, oder 5800 Euro pro Kilo.

Nach der Thun-Auktion geht es um sieben Uhr weiter mit der Versteigerung von kleineren Fischen, Seesternen, Seegurken, Seeschnecken, Muscheln, sogar Seetang.

Bis ein Fisch im Sushi-Restaurant auf den Teller kommt, hat er neunmal den Besitzer gewechselt, davon in wenigen Stunden vier- oder fünfmal in Tsukiji. Bei der Anlieferung gehörte er einem Broker, dann der Auktionsfirma, danach dem Käufer, der ihn ersteigert hat, meist ein Zwischenhändler. Dieser verkauft ihn an einen Großhändler weiter, der ihn schließlich den Einkäufern kleiner Fischläden und Restaurants anbietet, heute die wichtigsten Kunden in Tsukiji.

Sie kaufen bis gegen neun Uhr ein, dann wird es ruhig, an vielen Ständen wird bereits gefegt. Jetzt stolpern vor allem Touristen durch den Markt, unter ihnen viele Russen und Chinesen.

Bis vor etwa zehn Jahren war Tsukiji ein Geheimtipp. Die wenigen Besucher hatten freien Zugang, auch zu allen Auktionen. Doch Jahr für Jahr kamen mehr Zuschauer, sie verstellten den Auktionsteilnehmern den Weg. Manche traten sogar auf die Fischkörper. Zugleich begann sich der sogenannte äußere Markt zu verändern.

Viele schlichte Läden, die einst Instrumente wie Messer verkauften, und die Imbissbuden, an denen Leute vom Markt billig essen konnten, sind von Souvenirläden und Sushi-Restaurants für Touristen verdrängt worden. Es gibt inzwischen sogar Hotels in der Umgebung, mit auf Tsukiji-Touristen abgestimmten Angeboten.

Irgendwann wurde der Trubel der Leitung des Marktes zu groß, sie sperrte alle Fremden bis neun Uhr morgens aus. Doch das wollte das Tokioter Tourismusamt nicht hinnehmen. Man einigte sich auf einen Kompromiss: Jeden Morgen gibt es zwei geführte Kurzbesuche der Thunfisch-Auktionen. Wer mit will, muss sich vor fünf Uhr früh im Marktbüro melden.

Im neuen Fischmarkt dürfte niemand mehr zu den Auktionen zugelassen werden, vermutet der junge Ikeda. "Oder dann hinter einer Glasscheibe." Das fände er gut.

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Was mit dem äußeren Markt passiert, ist noch nicht klar. Die Stadt macht Pläne für einen Detailhandels-Fischmarkt, nicht zuletzt in der Hoffnung, es würden weiterhin Touristen herbeiströmen. Bei Muramatsu jedenfalls, einem Traditionsladen für Bonito-Flocken, der wichtigsten Zutat für alle japanischen Suppen, ist man überzeugt: "Wir bleiben hier."

Der Großmarkt dagegen hätte schon längst auf die künstliche Insel Toyosu, zwei Kilometer weiter südlich, verlegt werden sollen. Doch im Jahr 2007 entdeckte man, dass der Boden dort mit Schwermetallen verseucht war. Er musste zuerst saniert werden.

Als neues Umzugsdatum legte sich die Stadt zunächst auf 2014 fest und schrieb dafür Bauvorhaben für eine Gesamtsumme von mehr als 500 Millionen Euro aus. Doch für vier von fünf Projekten erhielt sie kein einziges Gebot.

Der finanzielle Rahmen, den sie vorgab, war den Bauunternehmen zu eng. Deshalb musste die Stadt den Umzugstermin nun noch einmal verschieben, im April 2015 soll es nun so weit sein - falls die Hallen, für die es noch nicht einmal Pläne gibt, bis dahin wirklich fertig sind.

© SZ vom 10.12.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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