Wegwerfen oder behalten:Der Preis des Plunders

Menschen trennen sich nur schwer von ihrem Besitz, weil sie dessen Wert maßlos überschätzen.

Nikolas Westerhoff

Mein Auto, mein Haus, meine Handtasche. Menschen hängen an ihren Besitztümern. Und sind sie doch bereit, sich von einem Ding zu trennen, fordern sie oft Fantasiepreise - selbst wenn es sich um Stücke handelt, die weder einen emotionalen noch einen materiellen Wert haben. Der Ökonom Richard Thaler von der Universität Chicago hat diesem irrationalen Verhalten bereits vor 28 Jahren einen Namen gegeben: Endowment- oder Besitztumseffekt.

Wegwerfen oder behalten: Für den einen ist das Plunder, für den anderen wertvolle Sammlerstücke.

Für den einen ist das Plunder, für den anderen wertvolle Sammlerstücke.

(Foto: Foto: Istock)

"Er besagt, dass wir ein Gut, das wir unser eigen nennen, für wertvoller halten als ein identisches oder vergleichbares Gut, das nicht zu unserem Eigentum zählt", sagt der Ökonom Georg Kirchsteiger von der Université Libre de Bruxelles. Wer etwas besitzt, der überschätzt den Wert dieses Besitzes mindestens um den Faktor zwei - zumindest aus Sicht potentieller Käufer.

Lange Zeit war der Endowment-Effekt Gegenstand akademischer Kontroversen. Doch die Indizien häufen sich, dass Thaler ein schlüssiges Konzept entworfen hat. Nun ist es dem Psychologen Brian Knutson von der Stanford University gelungen, den Effekt im Gehirn zu lokalisieren: Menschliches Besitzstandsdenken hat eine neurophysiologische Basis (Neuron, Bd.58, S.814, 2008).

Knutson gab 24 Probanden je 60 Dollar Spielgeld. Dann sollten sich die Testpersonen aus sechs Elektronik-Produkten zwei aussuchen. Zur Auswahl standen Digitalkameras, MP3-Spieler und USB-Sticks. Die Preise dieser Waren legten die Wissenschaftler fest. Anschließend sollten sich die Probanden gegenseitig ihre Besitztümer verkaufen. Während der Kauf- und Verkaufsentscheidungen registrierte der Psychologe die Hirnaktivität der Testpersonen mittels Magnetresonanztomografie (fMRT). So ließ sich zeigen, welche Hirnareale bei Kauf und Verkauf besonders stark durchblutet sind.

Der Trennungsverlust wiegt schwerer als der Verkaufsgewinn

Die Probanden verhielten sich, wie von Thaler postuliert. So wollten sie etwa ihren MP3-Spieler für 70 Dollar verkaufen, aber nur 35 Dollar für das Exemplar eines Mitspielers zahlen. Sie verlangten einen weit höheren Preis als sie selbst bereit waren, dafür zu zahlen. Bei manchen Probanden fiel der Besitztumseffekt stärker aus, bei anderen schwächer. Konnten sich Probanden besonders schwer von ihrem Besitz trennen, zeigte sich eine besonders starke Durchblutung der Inselrinde. Das ist die Hirnregion, in der Schmerzen verarbeitet und emotional bewertet werden.

Tut es weh, eigene Dinge zu verkaufen? "Es ist erstaunlich, dass der Verkauf eines persönlichen Gutes als Verlust empfunden wird. Schließlich erhält der Verkäufer ja eine geldwerte Gegenleistung", sagt der Psychologe Helmut Jungermann von der Technischen Universität Berlin. Der Trennungsverlust wiege offenbar schwerer als die Belohnung durch den erzielten Verkaufsgewinn.

Wer Eigenes verkauft, der erlebt diesen Verkauf als schmerzhaften Verlust. Dass Schmerz- und Verlusterfahrungen in denselben Hirnregionen verarbeitet werden, hat der Neurowissenschaftler Ben Seymour vom Wellcome Trust Center for Neuroimaging in London nachgewiesen. Ebenso wenig wie ein Mensch seinen Besitz verlieren möchte, will er Schmerzen zugefügt bekommen, interpretierte Seymour seine Ergebnisse. Generell reagieren Menschen empfindlicher auf Verluste als auf Gewinne. "Deshalb freut sich Otto Normalverbraucher beispielsweise über einen um 10 Cent gesunkenen Milchpreis weniger als er sich über einen um 10 Cent gestiegenen Preis ärgert", sagt Jungermann.

Dem so genannten Coase-Theorem zufolge lässt sich der Wert eines Gegenstandes unabhängig davon bestimmen, wem er gehört. Eine Tabakpfeife ist eben eine Tabakpfeife, egal wer sie stopft und raucht. Doch die Realität sieht anders aus. Der Raucher, dem die Pfeife gehört, findet sie besonders wertvoll. Auf jeden Fall wertvoller als eine vergleichbare Pfeife eines Kollegen. Und zwar aus einem denkbar einfachen Grund: Weil es seine Pfeife ist. "Was in unserem Besitz ist, steigt allein deshalb an Wert, weil es in unserem Besitz ist" sagt Jungermann.

"Nun seid ihr Besitzer dieser Gegenstände!"

Der Mensch ist eben kein Homo oeconomicus, auch wenn die Wirtschaftswissenschaften dies hartnäckig behaupten. Der Mensch kalkuliert nicht rational, sondern emotional. Das zeigte der Psychologe Daniel Kahneman von der Princeton University bereits Anfang der 1990er Jahre in einem Experiment. Der Ökonomie-Nobelpreisträger verteilte Kaffeebecher an Versuchspersonen mit den Worten: "Nun seid ihr Besitzer dieser Gegenstände!"

Dann bat er sie, auf einer Liste anzukreuzen, zu welchem Preis sie bereit wären, die Becher zu verkaufen. Die Liste legte er einer Käufergruppe vor, die angeben sollte zu welchem Preis sie die Becher kaufen würde. Die Kaffeebecher-Besitzer forderten im Schnitt 7,12 Dollar, die Käufer wollten jedoch nur 2,87 Dollar zahlen. Wer einen Becher hat, hält ihn für wertvoller als derjenige, der ihn nicht besitzt. "Dadurch ist der Handel zwischen Verkäufer und Käufer erschwert", sagt Kirchsteiger. Das zeigte sich bei einer ähnlichen Studie. Die Probanden bekamen Äpfel oder Orangen und wurden aufgefordert zu tauschen. "Fast niemand hat getauscht'", sagt Kirchsteiger. Es schien, als würden Menschen denken: "Mein Apfel ist mehr wert als deine Orange."

An Äpfeln, Orangen, Kaffeebechern und anderen Beispielen zeigt sich auch, dass der Endowment-Effekt unabhängig davon ist, wie viel wirtschaftliches Wissen Menschen haben. Sobald sich Menschen als Besitzer fühlen, steigt der Wert ihres Besitzes subjektiv. Das machen sich Handelsketten zunutze, indem sie Kunden die Möglichkeit geben, beispielsweise einen Fernseher mehrere Wochen zu testen. Auf diese Weise beginnen die Kunden, sich als Quasi-Besitzer zu fühlen. Der subjektive Wert des Produktes steigt und damit auch die Kaufbereitschaft der Kunden.

Die Stärke des Besitztumseffekts hängt von der Stimmungslage ab. Sind Menschen positiv gestimmt, dann fällt das Besitztumsdenken schwächer aus, wie die Psychologin Ayelet Fishbach von der Tel Aviv University experimentell zeigen konnte. Lassen sich Verkäufer von anderen Personen beraten, verringert sich der Effekt gleichfalls. Bringen sich Menschen nur in Besitz eines Gutes, um es sogleich weiter zu verkaufen, so sind sie ebenfalls davor gefeit, ihre Besitztümer zu überteuerten Preisen anzubieten.

Tausche Apfel gegen Orange?

Verlustangst und Endowment-Effekt hängen miteinander zusammen. Aus Sicht von Psychologen bedingt die Verlustangst den Besitztumseffekt. Je mehr jemand den Verlust seines Besitzes fürchtet, desto höher fallen seine Entschädigungsforderungen aus. In Experimenten legte man Probanden zwei verschiedene Szenarien vor. In der Variante A hieß es: "Stell Dir vor, alle 25 Bäume in deiner Wohnstraße werden abgeholzt. Wie viel müsste man Dir zahlen, damit Du diesen Verlust akzeptierst?" In Variante B hieß es: "Stell Dir vor, in deiner Straße werden 25 Bäume gepflanzt. Wie viel wärst Du bereit, dafür zu zahlen?"

Der Verlust wog für die meisten Probanden erheblich schwerer. Die Versuchspersonen verlangten durchschnittlich 199,80 US-Dollar Entschädigung, sollten die Bäume abgeholzt werden. Neue Bäume wären den Probanden dagegen nur 9,60 US-Dollar wert gewesen. Verluste wiegen schwerer als Gewinne, und ohne Verlustangst gäbe es keinen Endowment-Effekt.

Der Effekt könne in Verhandlungssituationen vorteilhaft sein, so Kirchsteiger. Denn Menschen, die hohe Endowment-Werte aufweisen, verhandeln oft hart und erfolgreich. Zusammen mit dem Ökonomen Steffen Huck vom University College London konnte Kirchsteiger bereits vor einigen Jahren nachweisen, dass es dieser Menschengruppe am ehesten gelingt, den eigenen Besitz zu mehren.

Dies deckt sich mit einer Erklärung zum Ursprung des Endowmenteffekts, die Owen Jones anbietet. Der Biologe und Jurist von der Vanderbilt Universität hat mit der Primatologin Sarah Brosnan Schimpansen dabei beobachtet, die ebenso wenig auf Tauschgeschäfte eingehen wollten wie menschliche Probanden. Bei Tieren sei das Zustandekommen eines fairen Tausches einfach zu unsicher. Keine Verträge, keine Gesetze schützen den Affen, der einem Artgenossen einen Apfel zum Tausch gegen eine Orange anbietet - es gilt das Recht des Stärkeren. Die erfolgreichste Strategie im Tierreich lautet: Wer hat, der sollte besser nicht hergeben, will er sein Leben schützen. Dieses Denken steckt wohl auch noch im Menschen.

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