Bayern-Gegner Guangzhou:Tore fürs Politbüro

Guangzhou Evergrande FC v Al-Ahly SC - FIFA Club World Cup Quarter Final

Guangzhous Linpeng Zhang freut sich über den Halbfinal-Einzug bei der Klub-WM

(Foto: Getty Images)

Sie ist Gegner des FC Bayern bei der Klub-WM - und sie ist für Klubchef Xu das Werkzeug, um in China politischen Einfluss zu erlangen: Die Fußballmannschaft Guangzhou Evergrande und ihr italienischer Startrainer Marcello Lippi sollen der chinesischen Seele gut tun.

Von Marcel Grzanna, Shanghai

Wäre Religion nicht so verpönt in China, wäre Marcello Lippi hier längst ein Fußballgott. Der italienische Startrainer von Guangzhou Evergrande FC hat nach über 20 Jahren Schmach und Schande für die Volksrepublik endlich wieder einen chinesischen Verein an die Spitze des asiatischen Fußballs geführt: zum Gewinn der AFC Champions League.

Damit nicht genug: Nach dem 2:0-Sieg bei der Klub-WM in Marokko über Al-Ahly aus Ägypten am vergangenen Samstag trifft Guangzhou jetzt in einem echten Pflichtspiel auf Bayern München. Normalerweise spielen chinesische Mannschaften nur im Rahmen von Marketingreisen der Weltklubs nach Fernost gegen solche Kaliber. An diesem Dienstag aber wird es ernst: Halbfinale. Nichts tut der geschundenen chinesischen Seele so gut wie das Gefühl, dabei zu sein in der Liga der ganz Großen. Im Fußball und anderswo. Man ist wieder wer.

Weil es so selten etwas zu feiern gibt für chinesische Fans, vergessen auch die Anhänger aus Peking oder Shanghai ihren Hass auf den neureichen Serienmeister aus dem Perlflussdelta. Hauptsache irgendwer erntet international mal etwas anderes außer Gelächter. Das Final-Rückspiel von Guangzhou gegen den FC Seoul sahen 120 Millionen Menschen im Fernsehen. Selbst die Wettbewerbe bei Olympia 2008, als es Goldmedaillen für China hagelte, erreichten keine solche Quote.

"Die Fans haben endlich wieder das Gefühl, dass sie nicht immer zu den Verlierern gehören", sagt der Chefkorrespondent von Tencent Sport, Norman Li, der aus Guangzhou stammt. Lippi spinnt das Rad noch weiter: Er will gegen die Bayern gewinnen. Es gebe eine winzige Chance, sagt er.

Stammplätze gegen Geld

Dank Lippi wagen die Fans in ganz China wieder zu träumen. Yinhu, Silberfuchs, hat man ihn getauft. Wegen seiner grauen Haare und schlauer Taktik. Es wird spekuliert, wann er die Nationalmannschaft übernimmt. Sein Vertrag läuft noch eine Saison. Man wünscht ihm, der Kelch zieht an ihm vorüber. Chinas Auswahl zu verantworten, zählt zu jenen Abenteuern, die sich ältere Herren nicht mehr zumuten sollten. Der letzte große Name, der kläglich scheiterte, ist Spaniens Idol Camacho. Das Geflecht von Interessen und Beziehungen im Nationalverband, wo sich Vereine Stammplätze in der Nationalmannschaft kaufen, hat noch alles und jeden zermürbt.

In Guangzhou genießt Lippi freie Hand. Geld spielt keine Rolle. Der chinesische Bauunternehmer Xu Jiayin übernahm den Klub im Februar 2010, wenige Tage nach dem Zwangsabstieg wegen Spielverschiebung. Er kaufte mehr als die halbe chinesische Nationalmannschaft und sündhaft teure Ausländer.

Seitdem gab es fast nur Erfolge: Wiederaufstieg, drei Meistertitel, Champions League. Früher waren schon mal die Pharmaindustrie und der Autobauer Geely die Geldgeber. Jetzt heißt der Klub Evergrande - so wie das Bauimperium des Unternehmers. Niemand investiert so viele Milliarden Yuan wie Xu, der in den Top 30 der reichsten Menschen Chinas geführt wird. Der Fußball ist für ihn ein Vehikel seiner Geschäftsinteressen. Er verschafft sich Zugang und Sympathien auf höchster politischer Ebene.

Reger Austausch mit dem Politbüro

Staatschef Xi Jinping ist ein riesiger Fußballfan, auch andere aus der Führungselite. Denen Freude zu bereiten, öffnet Türen. Xu genießt schon jetzt großen Einfluss. Er ist Mitglied der Konsultativkommission des Nationalen Volkskongresses. Dort steht er im Austausch mit Mitgliedern des Politbüros, dem Machtzentrum der autokratischen Diktatur.

Stufe eins seines Plans hat Xu vollendet: ein internationaler Titel. Dafür zahlt er Lippi zehn Millionen Euro im Jahr. Der Argentinier Dario Conca soll ebenfalls mehr als zehn Millionen kassiert haben. Das Bayern-Spiel ist sein letztes im Dress von Evergrande, wenn es verloren geht. Er verlässt den Klub nach zwei Jahren in Richtung Brasiliens Topklub Fluminense.

Andere Stars stammen aus Brasilien: Muriqui und Elkeson gehören zu den tragenden Säulen und Großverdienern, die maßgeblichen Anteil am Erfolg des Klubs haben. Auch der Ex-Dortmunder Lucas Barrios spielte ein Jahr für den Verein. Der Paraguayer wechselte im Sommer vorzeitig zu Spartak Moskau, wegen eines Streits um Geld. Als Barrios im 2012 zu Guangzhou kam, hätte der Verein eigentlich einen anderen Ausländer abgeben müssen.

Dubiose Zweidrittelmehrheit

Stattdessen beantragte Guangzhou eine Satzungsänderung der Liga, um die Zahl der Ausländer im Kader von fünf auf sieben erhöhen zu können. Die Regel sollte jedoch nur für Klubs der Champions League gelten, also nur für Evergrande. Trotzdem erreichte der Antrag die nötige Zweidrittelmehrheit. "Es bleibt Spekulation, wie Guangzhou die anderen Vereine überzeugt hat", sagt Journalist Li. Spekuliert wird, dass viel Geld geflossen ist, um die Entscheidung zu begünstigen.

Doch Evergrande-Boss Xu wandelt auf einem schmalen Pfad. Das Parteiorgan Volkszeitung kritisierte bereits, dass der chinesische Fußball von den Millioneninvestitionen auf nationaler Ebene nicht profitiere. Ein chinesischer Spitzenklub, der nur wegen seiner Ausländer konkurrenzfähig ist, kann auch Zielscheibe chinesischer Nationalisten werden.

Deshalb hat Unternehmer Xu Stufe zwei seines Plans entwickelt und in Guangzhou im vergangenen Jahr ein Fußballinternat eröffnet. Real Madrid ist als Pate des Projekts. Mehrere Tausend Kinder und Jugendliche sollen dort pro Jahr am Ball ausgebildet werden und ihren Schulabschluss machen können. Langfristig will Xu hier die Talente rekrutieren, die er für den Erfolg braucht.

Bis dahin müssen sich Chinas Fußballer wohl noch eine Weile Hohn und Spott gefallen lassen, sogar die besten von ihnen. Guangzhous Nationalspieler Zheng Zhi, der zu Asiens Fußballer des Jahres gewählt wurde, wird beim Internetportal Tencent im Vergleich mit Philipp Lahm ein einziger Vorteil zugesprochen: beim Foulen. Und Guangzhous Stürmer Gao Lin, ebenfalls Nationalspieler, wird im Duell mit Franck Ribéry ein Kräfteverhältnis von fünf zu 95 Prozent attestiert. Er sei aber besser als Ribéry, wenn es darum geht, den Ball übers Tor auf die Tribüne zu dreschen.

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