Wuppertal:"Oma Gertrud" auf freiem Fuß

Oma Gertrud vor Gericht

"Oma Gertrud" steht wegen Schwarzfahrens in 22 Fällen in Wuppertal vor Gericht.

(Foto: dpa)

In Wuppertal musste sich eine 87-jährige Rentnerin wegen Schwarzfahrens in 22 Fällen verantworten. Das Gericht hat das Verfahren kurz nach dessen Beginn ausgesetzt. Ein Gutachten soll über die Fortsetzung des Prozesses entscheiden.

Schwarzfahren in 22 Fällen - 87-jährige Rentnerin - Untersuchungshaft: Schon ist das Interesse des geneigten Lesers geweckt. Und das des Rechtsstaats. Der ist in diesem Fall in Gestalt des Wuppertaler Amtsgerichts aufgetreten. An diesem Donnerstag sollte sich "Oma Gertrud" dort verantworten.

Kurz nach Beginn hat das Gericht die Angeklagte auf freien Fuß gesetzt. "Das Verfahren wird ausgesetzt", sagte Richter Markus Schlosser am Donnerstag. Es müsse in einem ergänzenden Gutachten geklärt werden, ob die Frau verhandlungsfähig ist. "Sie sind frei und können gehen", sagte der Richter zu der alten Dame.

Daraufhin brandete im Gerichtssaal Applaus auf. "Ich danke Euch", rief die Seniorin den Zuschauern zu. In der Verhandlung hatte der Psychiater Ulrich Lange als Gutachter die Verhandlungs- und Schuldfähigkeit der Rentnerin angezweifelt. Er attestierte ihr eine Denkstörung, die es ihr sehr schwer mache, sich zu verteidigen. Sie sei sehr sprunghaft in ihren Gedankengängen.

Die 22 Fälle von Beförderungserschleichung in Zügen der Deutschen Bahn, vulgo: Fahren ohne Fahrschein, gerieten dabei zur Nebensache. In einem ihrer Zwischenrufe hatte die Angeklagte ihre Schuld bestritten. Sie habe eine Fahrkarte gehabt, aber die habe man ihr weggenommen.

Die alte Frau war im September einer Gerichtsverhandlung ferngeblieben, war deswegen mit Haftbefehl gesucht worden. Gemeldet ist sie bei ihrem Sohn, dort war sie aber nie angetroffen worden. Sie schlafe "mal da und mal da", sagte die inzwischen offenbar obdachlose Frau. In der vergangenen Woche wurde sie schließlich in Untersuchungshaft genommen.

Der Fall der armen alten Frau, die zuletzt sogar noch putzen ging, weil sie mit ihrer kargen Rente nicht über die Runden kam, hatte in der Bevölkerung großes Mitleid ausgelöst. Ihr Verteidiger erklärte, man habe ein Konto für die alte Dame eingerichtet. Zahlreiche Bürger hatten sich in den vergangenen Tagen gemeldet, um die 87-Jährige freizukaufen und ihr die Haft zu ersparen.

400 Euro Strafe bei 560 Euro Rente

Bereits im Juni war die betagte Frau wegen Schwarzfahrens zu 400 Euro Geldstrafe verurteilt worden. Eine Boulevardzeitung hatte damals die Strafe bezahlt und ihr so die eigentlich als Ersatz fällige Haft erspart. Angeblich muss die Frau mit 560 Euro Rente auskommen, von denen 350 Euro allein für die Miete abgehen.

Keinem der beteiligten Beamten sei die Festnahme jetzt leicht gefallen, sagte ein Sprecher der Bundespolizei. Auch der Amtsrichter bemerkte, dass er den Haftbefehl nur "schweren Herzens" erlassen habe.

Die rot-grüne nordrhein-westfälische Landesregierung will seit Längerem eine bundesweite Reform der Strafgesetzgebung anstoßen. In entsprechenden Fällen sollen Richter als Strafe künftig auch gemeinnützige Arbeit verhängen können.

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