Hans Taschner:Zeuge eines Jahrhunderts

Er war der letzte Zeitzeuge, der noch über die Anfänge des KZ berichten konnte. Der ehemalige Häftling und Gewerkschafter Hans Taschner ist im Alter von 102 Jahren gestorben.

Von Helmut Zeller

Schlagenhofen Hans Taschner

Hans Taschner, einer der ersten Häftlinge des Konzentrationslagers Dachau, ist im Alter von 102 Jahren gestorben. Sein Leben lang blieb der Widerständler seiner Vision von einer gerechten Gesellschaft treu.

(Foto: Georgine Treybal)

Hans Taschner wurde in das Zeitalter des Hasses hineingeboren. Es war der 5. Juni 1911, als der Sohn einer sozialdemokratischen Familie in München auf die Welt kam. Ein Europa, das von sozialer Ungerechtigkeit, Antisemitismus und nationalistischem Größenwahn geprägt war und auf die Katastrophe des Ersten Weltkriegs zusteuerte. Schon mit 16 Jahren stand Hans Taschner als Gewerkschaftsmitglied auf der Seite derjenigen, die gegen den Hass für die Ideale des menschlichen Fortschritts stritten. Das blieb so bis zu seinem Tod: Hans Taschner, einer der ersten Häftlinge des Konzentrationslagers Dachau, ist am 11. Dezember im Alter von 102 Jahren in Inning am Ammersee gestorben.

Ernst Raim, ein enger Freund und Weggefährte, sagt von ihm: "Hans Taschner war ein Mann mit Grundsätzen, die sein langes Leben bestimmten." Taschner bekämpfte als Mitglied des "Internationalen sozialistischen Kampfbundes" (ISK) Hitlers Nationalsozialisten - und bis in seine hohes Alter hinein trat er den Neonazis entgegen. Als ehemaliger Dachau-Häftling mit der Nummer 8851 war Hans Taschner der letzte Zeitzeuge, der noch über die Anfänge des KZ berichten konnte. Gestapo-Beamte verschleppten ihn vor Weihnachten 1935 in das Lager, damals noch sechs Blöcke in der aufgelassenen Munitionsfabrik, nachdem in seinem Briefkasten angeblich ein Flugblatt über die Flucht des Kommunisten Hans Beimler aus dem KZ gefunden worden war. Er wurde Zeuge des Neubaus des Lagerkomplexes für zunächst 6000 Menschen mit 34 Baracken, Jourhaus, Wirtschaftsgebäuden und Arrestbau. Bis zu seiner Begnadigung am 20. April 1939 aus Anlass von Hitlers Geburtstag erlitt Taschner den Terror im Lager.

Seine humane Einstellung und seine politischen Überzeugungen aber können die Nazis nicht brechen. Die Solidarität unter Gesinnungsgenossen im KZ hilft ihm überleben: Hans Taschner bekommt nach den schweren Arbeitskommandos Arbeit in der Kleiderkammer, dann wird er Läufer der SS, der ihre Befehle an Häftlinge weiterzugeben hat. Das bringt ihm Bewegungsfreiheit im Lager und wertvolle Informationen - für Aktionen des Widerstands. Mit Kurt Schuhmacher und seinen Münchner Freunden der SPD baut er intensive Kontakte auf. Nach seiner Entlassung wurde Hans Taschner in die Wehrmacht eingezogen, in eine Augsburger Funkereinheit, die kurz vor Stalingrad den Befehl zum Rückzug erhält.

An seinem früheren Arbeitsplatz, einer Münchner Krawattenfabrik, wurde Hans Taschner nach Kriegsende von der US-Armee als Treuhänder eingesetzt. Er arbeitete in gutem Einvernehmen mit den Eigentümern, erwarb schließlich die kleine Firma und wurde Schatzmeister der bayerischen Bekleidungsindustrie. Die Gewerkschafter, einige kannten ihn noch aus dem KZ Dachau, waren überrascht, dass einer von ihnen nun auf der anderen Seite saß. Doch bald wurde ihnen klar: Hans Taschner hatte seine Vision von einer gerechten Gesellschaft nicht aufgegeben und brachte manche Tarifverhandlung zu einem guten Ende. Jahrzehntelang war Taschner Mitglied des Vorstandes im Landesrat für Freiheit und Recht, der Vorgängerorganisation des Bundes Widerstand und Verfolgung Bayern. Der 90-Jährige wurde schließlich zum Ehrenvorsitzenden gewählt. Taschner, der auch Mitglied in der Lagergemeinschaft Dachau war, wurde am 12. Juli 2011 im Münchner Gewerkschaftshaus mit einem großen Festakt geehrt. Grußworte sprachen der Münchner Alt-Oberbürgermeister Hans-Jochen Vogel und die frühere Leiterin der KZ-Gedenkstätte Dachau, Barbara Distel. Er war gerade 100 Jahre alt geworden. Geboren im Jahrhundert der Gewalt, hat er sich bis zuletzt für Freiheit und Frieden eingesetzt.

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